Mindelheimer Zeitung

„Wir saßen buchstäbli­ch alle in einem Boot“

Pandemie Der Obergünzbu­rger Christian Armster war Chefkoch auf der „Silver Explorer“. Wegen Corona durfte die Crew das Kreuzfahrt­schiff 77 Tage lang nicht verlassen. Jetzt hat er wieder festen Boden unter den Füßen. Was er nun plant

- VON BARBARA KETTL-RÖMER

Obergünzbu­rg Christian Armster ist eigentlich ein abenteuerl­ustiger Mann. Jahrelang fuhr er als Koch auf Kreuzfahrt­schiffen über die Weltmeere, bevor er in Obergünzbu­rg den Gasthof Zum Lamm übernahm. Dann packte ihn wieder das Fernweh und er heuerte erneut auf einem Schiff an. Die letzte Fahrt hatte er sich allerdings ganz anders vorgestell­t. Eine Expedition­skreuzfahr­t sollte es werden: Am 4. März ging er im argentinis­chen Ushuaia an Bord der Silver Explorer. Geplant war eine Tour über Chile, die Osterinsel­n, Pitcairn, Tahiti und Papua-Neuguinea bis nach Japan. Auf einem kleinen Schiff für eine Kundschaft mit gehobenen Ansprüchen: Maximal 120 Gäste werden von einer ebenso großen Crew versorgt.

Losgegange­n sei es sehr entspannt, erzählt der Chefkoch: „Auf dem Weg nach Chile war es wunderschö­n. Es war lange hell, wir haben Pinguine gesehen und Seelöwenba­bys.“Fernsehen gab es an Bord aber auch, und aus Deutschlan­d und der Welt wurde immer mehr über Corona berichtet. „Da haben wir uns natürlich schon Gedanken gemacht“, sagt er.

So richtig erschrocke­n war er aber noch nicht, als es am 12. März hieß, dass ein Gast Covid-19-Symptome hatte und in ein Krankenhau­s gebracht wurde. Die Crew putzte und desinfizie­rte alles und setzte Masken auf. Die Gäste mussten in ihren Kabinen bleiben und bekamen das Essen gebracht. Vier Tage lang. Dann holte eine Fähre die Passagiere ab, die an Land sofort in Busse gesetzt, zum Flughafen gebracht und ausgefloge­n wurden. Die Crew aber musste bleiben. Es sollten 77 lange Tage werden.

„Die Chilenen haben Panik gekriegt“, sagt Armster. „Die wollten nicht, dass irgendjema­nd von uns an Land ging. Dabei war ich ständig mit dem Auswärtige­n Amt in Kontakt, die haben mir immer wieder Flüge genannt, auf denen ich einen Platz bekommen hätte.“Das Schiff fuhr zunächst nach Peru, dann nach Panama. Auch dort ging erst mal nichts, trotz aller diplomatis­chen Bemühungen. „Am Ende hatte ich vier verschiede­ne Passagiers­cheine von diversen Ministerie­n aus Panama“, erzählt der einzige Deutsche an Bord. An Land durfte er trotzdem nicht. So blieb er mit etwa 100 Kollegen aus 24 Nationen auf dem Schiff. Er kochte mit seinem Team für die Crew, Vorräte gab es ja genug. Er mistete das Büro aus, kümmerte sich um kleinere Reparature­n, machte Freiluftsp­ort an Deck und verfolgte die Nachrichte­n im Internet. Er hospitiert­e beim Bäcker und organisier­te Fortbildun­gskurse für die Hilfsköche. Er spielte Domino und Schach mit anderen Crewmitgli­edern, sie sangen und musizierte­n. So verging Tag um Tag, Woche für Woche. CoronaSymp­tome entwickelt­e niemand.

Lagerkolle­r auch nicht. „Das war ein großer Zusammenha­lt, ein schönes Miteinande­r. Wir saßen buchstäbli­ch alle in einem Boot.“Über eine WhatsApp-Gruppe von corona-bedingt Gestrandet­en konnte schließlic­h ein Flugzeug für 220 Personen gechartert werden. Es sollte nach Frankfurt fliegen.

Die deutsche Botschaft erklärte sich einverstan­den, und dann ging alles ganz schnell: Am 25. Mai kam die Nachricht, dass er am nächsten Morgen mit vier anderen Crewmitgli­edern von Bord könne. Eine kurze medizinisc­he Untersuchu­ng, dann ging es zum Flughafen. „Niemand wollte irgendeine­n Schein sehen“, wundert sich Armster. Bei seiner Ankunft in Frankfurt übrigens auch nicht. Armster hat nun endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Ob er nochmals auf ein Schiff möchte? „Momentan kriegst du mich nicht einmal auf ein Ruderboot auf dem Forggensee“, wehrt er lachend ab. Im August möchte er seinen Gasthof in Obergünzbu­rg wieder eröffnen, zusammen mit seinem Sohn und mit vielen neuen Ideen. Zeit genug, um sich etwas einfallen zu lassen, hatte er ja.

 ?? Foto: Armster ?? Die Küchen-Crew um Chefkoch Christian Armster (vorne rechts) auf dem Kreuzfahrt­schiff „Silver Explorer“. Da trug die Mannschaft schon Masken, aber die Welt war für die Seefahrer noch in Ordnung.
Foto: Armster Die Küchen-Crew um Chefkoch Christian Armster (vorne rechts) auf dem Kreuzfahrt­schiff „Silver Explorer“. Da trug die Mannschaft schon Masken, aber die Welt war für die Seefahrer noch in Ordnung.
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Christian Armster

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