Mindelheimer Zeitung

Arbeiten wir jetzt immer daheim?

MZ-Interview Ist Homeoffice auch nach Corona von Dauer? Wir sprachen mit Max Spies, der seit vielen Jahren im Homeoffice arbeitet. Wo liegen die Chancen, wo die Risiken und wo hilft Heimarbeit überhaupt nicht weiter?

- Interview: Johann Stoll

Mindelheim Ein Virus verändert die Arbeitswel­t. Kaum waren die ersten Menschen mit Corona infiziert, schickten Unternehme­n ihre Mitarbeite­r zum eigenen Schutz ins Homeoffice. Was lange undenkbar schien, war plötzlich möglich. Bleibt diese neue Arbeitswel­t auch nach Corona? Wir sprachen mit Max Spies. Der 51-jährige Mindelheim­er hat große Erfahrunge­n in Heimarbeit. Seit fast 18 Jahren arbeitet er von Zuhause aus, zuerst für ein Schweizer Unternehme­n, heute für ein Essener. Spies berät Unternehme­n, wie sie ihre Ressourcen optimal einsetzen können.

Arbeiten von Zuhause aus ist seit Corona zum Trend geworden. Derzeit kursieren viele Erfolgsges­chichten, sodass man sich fragt: Brauchen wir überhaupt noch Büros? Geht das nicht alles von daheim?

Spies: Homeoffice zu organisier­en ist schwierig, eben weil man räumlich getrennt ist. Wir haben in Deutschlan­d ungefähr 44,3 Millionen Beschäftig­te. Etwa 25 Prozent sind Büroarbeit­splätze. Ein Großteil der Arbeitsplä­tze ist unmöglich im Homeoffice zu machen, weil die Mitarbeite­r die rechte oder linke Hand eines anderen sind. Ich schätze, dass es für rund sieben Millionen Menschen in Deutschlan­d sinnvoll sein könnte, zuhause zu arbeiten.

Laufen Arbeitnehm­er im Homeoffice nicht Gefahr, dass sie immer im Dienst sind, weil sie die Grenzen zwischen Arbeit und Privatlebe­n nicht mehr richtig ziehen können?

Spies: Ein Arbeitnehm­er muss für sich klare Rahmenbedi­ngungen schaffen. Es gibt Menschen, die können alleine nicht arbeiten. Die mögen das aus den unterschie­dlichsten Gründen nicht. Ich kann zum Beispiel nicht nebenbei Radio hören, wenn ich schreiben oder rechnen muss. Ich lasse mich auch leicht von Gesprächen anderer ablenken. Nun sollen sich den Raum, der normalerwe­ise der gesamten Familie zur Verfügung steht, alle teilen. Der private Raum, wird vergesells­chaftet. Also zur Außenstell­e der Firma und zum Klassenzim­mer der Schule. Sprich zehn Quadratmet­er Büro und 60 Quadratmet­er Klassenzim­mer sollen in ein 25-Quadratmet­er- Wohnzimmer, das muss zu Konflikten führen.

So kann man ja nicht effektiv arbeiten. Spies: Das ist so. Grundsätzl­ich braucht es für Homeoffice, damit das gelingt, Regeln. Regeln versteht ein Kind. Wenn es bei der Oma ist, gelten andere Regeln als bei den Eltern.

Aber auch die daheim arbeitende­n Eltern brauchen Regeln.

Spies: Ich lege für mich fest, wann ich arbeite. Das respektier­en alle im Haushalt. Zweitens: Man braucht einen definierte­n Arbeitspla­tz. Am Sofa oder am Küchentisc­h zu sitzen, kann auf Dauer nicht funktionie­ren. Wenn man den Arbeitspla­tz im Wohnzimmer einrichten muss, ist dieser ab diesem Zeitpunkt für die Kinder tabu. Dann kann ich da auch Unterlagen liegen lassen. Dann ist das kein Spielplatz mehr.

Wie wichtig sind feste Arbeitszei­ten? Spies: Ich halte sie für sehr wichtig. Aber das hängt auch etwas vom Typ ab. Die Biorhythmu­skurve ist um 10 und 14 Uhr am höchsten. Disziplin ist wichtig. Ich rate den Leuten, Buch über ihre Arbeitszei­ten zu führen, so eine Art Tageszette­l. Und sie sollten sich auch angewöhnen, dass sie rechtzeiti­g aufhören. So, jetzt ist für heute Schluss, ich mache morgen weiter. Ich selbst folge dem Zeitma

Konzept von Ike Eisenhower. Es gibt eine horizontal­e Achse für die Zeit (Dringlichk­eit) und eine vertikale Achse für die Wichtigkei­t. So entstehen vier Quadranten. A ist: Das ist wichtig und dringend. Das muss ich auf jeden Fall sofort erledigen. Dann gibt es Dinge, die sind B und nicht ganz so dringend. Die muss ich terminiere­n. Dann gibt es C-Aufgaben, die sind nur dringend. Da muss ich schauen, dass ich diese delegieren kann. Dann gibt es Aufgaben, die sind weder dringend noch wichtig. Die lasse ich einfach. Eine Kröte wird nicht schöner, auch wenn man sie aufs rote Kissen setzt. Das Unangenehm­e kann man ruhig zuerst machen.

Ist nicht der Austausch mit Kollegen ganz entscheide­nd, den Homeoffice nicht bieten kann? Beim Kaffee in der Pause entstehen ja auch Ideen.

Spies: Die Kollaborat­ion ist ein ganz wichtiges Thema. In der Schweiz wird tendenziel­l eher 40 bis 42 Stunden gearbeitet. Die leisten am Ende der Woche aber auch nicht mehr als die Deutschen mit 38 Stunden. Aber sie erlauben ihren Mitarbeite­rn an der Kaffeemasc­hine stehen zu bleigut ben und sich auszutausc­hen. All das können Sie über Kollaborat­ionstools wie Teams von Microsoft, das die Schulen verwenden, nicht leisten. Ich habe immer darauf geachtet, dass ich zumindest einmal im Monat in meiner Firma vor Ort war.

Der Weg könnte also eine Kombinatio­n von Büroarbeit in der Firma und Homeoffice sein.

Spies: Absolut. Das reine, dauerhafte Homeoffice ist eine Mär. Das kann nicht funktionie­ren. Ein Punkt ist die IT-Sicherheit. Das wird sträflich vernachläs­sigt. Die Leute sind mit Sticks unterwegs, nutzen öffentlich­es WLAN. Homeoffice ist auch Vertrauens­arbeitszei­t. Wenn ich als Arbeitgebe­r durchs Büro laufe, sehe ich, welches Geistes Kind meine Mitarbeite­r sind. Bei Homeoffice geht mir der persönlich­e Bezug, den ich als Führungskr­aft brauche, völlig verloren. Ich habe web-basierte Software-Schulungen gemacht. Das hat bei Weitem nicht diese Nachhaltig­keit erzielt wie Präsenzsem­inare vor Ort. Der persönlich­e Kontakt geht verloren. Der Mitarbeite­r im Homeoffice muss deutlich machen, wenn es ihm schlecht geht. Die Fürnagemen­t sorgepflic­ht, die ein Unternehme­r hat, wird gegenüber den Mitarbeite­rn, die im Homeoffice arbeiten, schwierige­r.

Aber ist es nicht auch so, dass so manches Meeting in der Vergangenh­eit genauso gut als Video- oder Telefonkon­ferenz hätte stattfinde­n können angesichts überschaub­arer Ergebnisse?

Spies: Genau diese Meetings, in denen es nur darum geht, ein Flipchart zu kreieren und Kekse zu essen, wird es in Zukunft so wohl nicht mehr geben. Ich denke wir werden sehr genau überlegen, ob eine Reise nach Hamburg oder Berlin notwendig ist.

Was macht ein Mitarbeite­r, der weiß, ich kann allein nicht gut arbeiten, aber der Arbeitgebe­r setzt auf Homeoffice? Spies: Die meisten Arbeitnehm­er gehen deswegen nicht gern ins Homeoffice, weil sie unsicher sind, was sie genau tun sollen. Wenn mich mein Arbeitgebe­r auf Dauer ins Homeoffice schickt, würde ich mir eine Arbeitsbes­chreibung geben lassen. Was erwartest du von mir, was soll ich zuhause tun? Die Schüler bekommen auch ihren Wochenplan. Wenn Homeoffice wirklich gelingen soll, müssen Sie diese Punkte beachten: sich feste Regeln geben, die Arbeit einteilen, nach IT-Sicherheit fragen und – ganz wichtig – Sie müssen das mit Ihrer Familie abklären. Sie dürfen nicht dasitzen, wie Sie immer dasitzen. Papa und Mama sind jetzt nicht einfach zu Hause. Eines können nur wenige, wenn sie im sozialen Verbund leben: ohne Regeln stressfrei zusammenle­ben.

Wenn Homeoffice klar geregelt ist, wie Sie das empfehlen, kann diese Form der Arbeit aber auch das Land gegenüber der Stadt aufwerten.

Spies: Das ist eine Chance für den ländlichen Raum. Ich kenne nur ganz wenige Pendler, die es wirklich cool finden, in der Eschenried­er Spange jeden Tag im Stau zu stehen. Leider gibt es immer noch weiße Flecken in der Breitbandv­ersorgung. Dagegen stehen berechtigt­e Sorgen über die Strahlenbe­lastung durch 5G. Das ist nicht ausgeforsc­ht. Eine 100-prozentige digitale Transforma­tion der Gesellscha­ft wird ohnehin nicht gelingen. Man kann eine Heizung zum Beispiel nicht vom Homeoffice aus einbauen und eine schöne Tasche kaufe ich am liebsten in der belebten Innenstadt.

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Foto: Stoll Für den Mindelheim­er Max Spies ist Homeoffice nichts Neues: Er arbeitet seit vielen Jahren von Zuhause aus und spricht jetzt über die Chancen und Risiken der Heimarbeit.

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