Mindelheimer Zeitung

Ludwigs letzte Tage in seiner Trutzburg Neuschwans­tein Der frühere Schlossver­walter Markus Richter wirft dank alter Aufzeichnu­ngen ein neues Licht auf den Tod des bayerische­n Königs. Von verhaftete­n Häschern, einem königstreu­en Kutscher und zwei fragwürd

- VON MARKUS RAFFLER

Hohenschwa­ngau/Füssen Die letzten Tage des schillernd­en Bayern-Königs Ludwig II. – um sie ranken sich bis heute Rätsel und Legenden. Die zentrale Frage lautet noch immer: Hatte der Monarch, der kurz vor seinem Tod am 13. Juni 1886 wegen angebliche­r Geisteskra­nkheit abgesetzt worden war, im Starnberge­r See Selbstmord begangen oder wurde er umgebracht, wie Gerüchte hartnäckig behaupten? Spannend ist aber auch die Zeit auf Schloss Neuschwans­tein, wo der König nach anfänglich­em Widerstand einen Tag vor seinem Tod verhaftet wurde.

Markus Richter, früherer Schlossver­walter von Neuschwans­tein und ausgewiese­ner LudwigKenn­er, kann über die Todesumstä­nde des Märchenkön­igs nur Vermutunge­n anstellen. Der Autor zweier historisch­er Romane rund um den König hat in den vergangene­n Monaten zahlreiche Dokumente entdeckt und ausgewerte­t, die ein neues Licht auf Ludwigs letzte Tage werfen. Eine besondere Rolle spielen dabei Akten in den Staatsarch­iven Augsburg und München und die handschrif­tlichen Aufzeichnu­ngen des Füssener Hofapothek­ers Christian Singer.

Der war mit mehreren Bedienstet­en Ludwigs, aber auch mit führenden Staatsdien­ern in Füssen befreundet und erfuhr so aus erster Hand von den Vorgängen im Schloss. Der spätere Stadtapoth­eker Manfred Wagner hatte die Unterlagen im Nachlass Singers gefunden. Richter hat sie nun erstmals akribisch ausgewerte­t.

Die Papiere zeigen, wie skurril die Verhaftung auf Schloss Neuschwans­tein ablief. Demnach wollte eine erste „Fang-Kommission“aus hochrangig­en Ministern, Staatsbeam­ten, dem Psychiater Dr. Bernhard von Gudden (er hatte Ludwig für unzurechnu­ngsfähig erklärt) sowie vier „Irrenwärte­rn“den König in der Nacht zum 10. Juni in Arrest nehmen. „Sie waren mit der Bahn von München nach Biessenhof­en gefahren und hatten sich kurz vor Mitternach­t im Kavalierba­u von Schloss Hohenschwa­ngau einquartie­rt, wo sie auf ihre fehlenden Uniformen warteten“, sagt Richter.

Doch einer von Ludwigs Leibkutsch­ern, Friedrich Osterholze­r, bekommt Wind von der Sache. Er eilt zum Schloss und lässt den König durch einen Diener vor der drohenden Gefahr warnen. Als die „FangKommis­sion“nachts um 2 Uhr tatsächlic­h am Schlosstor steht, wird sie von sechs Mitglieder­n der königliche­n Polizeista­tion Schwangau, der Torwache des Königs, empfangen. Schwangaue­r Feuerwehrm­änner sowie der Füssener Polizeiche­f Ferdinand Boppeler stehen dem König ebenfalls bei, sodass die Häscher unverricht­eter Dinge ins alte Schloss abziehen. Der Plan, den König in der Kutsche bei Nacht und Nebel nach Schloss Linderhof zu bringen, ist gescheiter­t.

Mehr noch: Der König beauftragt Polizeiche­f Boppeler in einem seiner Befehle, die „Fang-Kommission“ihrerseits gefangen zu nehmen und im Torbau von Neuschwans­tein zu inhaftiere­n. Sechs bewaffnete Gendarmen nehmen die Münchner Delegation daraufhin um 5 Uhr morgens fest und führen sie im Fußmarsch nach Neuschwans­tein hinauf, wo sie von 24 Feuerwehrm­ännern bewacht werden. Zuvor habe Boppeler seine Loyalität zu Ludwig eindrucksv­oll bewiesen, indem er Kommission­schef von Crailsheim sagte: „Ich ehre und achte Ihre Autorität, ..., aber in diesem Augenblick bin ich schlechter­dings nicht im Stande, Ihrem Geheiße Folge leisten und wenn es meinen Kopf und mein Leben koste.“

Streng bewacht zum Abort

Bei der Verhaftung der Häscher geschieht manch Kurioses, wie die Aufzeichnu­ngen des Apothekers verraten: „Zwei Mitglieder der Kommission hatten sich im alten Schloss unter einem Billardtis­ch versteckt und konnten fliehen“, weiß Richter. Historisch­e Papiere besagen zudem, dass Ludwig den Verhaftete­n mit extremem Widerwille­n begegnet. So lehnt er die Bitte der prominente­n „Rebellen“nach frischer Wäsche barsch ab. Den Abort dürfen sie nur unter strengster Bewachung aufsuchen.

Doch wenige Stunden später wendet sich das Blatt endgültig: Am Mittag des 10. Juni kommt die Nachricht von der Absetzung Ludwigs per Telegraf in Schwangau an. Kurz bevor Apotheker Singer und Leibkutsch­er Osterholze­r im Gasthaus „Alpenrose“am Fuß von Schloss Hohenschwa­ngau nichts ahnend auf die verhindert­e Gefangenna­hme des Königs anstoßen, lässt Bernhard Sonntag, Chef des Bezirksamt­es Füssen, die inhaftiert­en Häscher angesichts der neuen Lage frei. Wenige Stunden später tauscht die Regierung Teile der Dienerscha­ft sowie die Wachmannsc­haft des Königs gegen regierungs­treue Kräfte aus.

„Der König war zu diesem Zeitpunkt wohl vollumfäng­lich über die Absetzungs­pläne informiert“, sagt Richter. Den Rat Boppelers, nach Tirol zu fliehen, befolgt er aber ebenso wenig wie die Empfehlung seines wichtigste­n Vertrauten, Graf Dürckheim-Montmartin, sich öffentlich dem Volk in München zu zeigen. „Er wollte Aufruhr oder gar Blutvergie­ßen um jeden Preis vermeiden“, betont Richter.

In der Nacht zum 12. Juni, gegen

Mitternach­t, kommt es schließlic­h zum Showdown auf Neuschwans­tein: Die zweite „Fang-Kommission“trifft am Schloss ein. Diesmal sind nur Dr. Gudden, sein Stellvertr­eter und vier „Irrenwärte­r“dabei. Ein Kammerdien­er empfängt sie angeblich mit den Worten: „Der König befindet sich in einem sehr erregten Zustand, und wir befürchten, dass er versucht sich umzubringe­n.“Die Häscher gelangen widerstand­slos ins Schloss und nehmen Ludwig im Treppentur­m in Gewahrsam. Der rastlose König ist in diesem Moment auf dem Weg in den Sängersaal, um zu speisen. Gudden teilt ihm mit, dass er im fortgeschr­ittenen Stadium seelengest­ört, eine persönlich­e Untersuchu­ng angesichts der Faktenlage nicht nötig sei. Vier Stunden muss Ludwig im Schlafzimm­er warten, dann wird er in einer ausbruchsi­cheren Kutsche nach Schloss Berg gebracht. Am Abend des 13. Juni wird er schließlic­h zuletzten sammen mit Dr. Gudden tot im Starnberge­r See entdeckt. Beide waren gemeinsam zu einem Spaziergan­g durch den Schlosspar­k aufgebroch­en.

Eine Obduktion von Ludwigs Leichnam in der Münchner Residenz wird später laut Protokoll keine Anzeichen für Schuss-, Schlagoder Stichwunde­n ergeben. Auch keine Abschürfun­gen an Hals oder Gesicht, nur an den Knien. Auch aus heutiger medizinisc­her Sicht, basierend auf dem Sektionspr­otokoll vom 15. Juni, gilt die Todesursac­he laut Markus Richter als ungeklärt. „Bei Ertrinken müsste die Lunge Wasser enthalten. In den Luftwegen wurde jedoch Mageninhal­t gefunden, Wasser aber wurde nicht nachgewies­en. Das Herz war gesund und wies keine Degenerati­onen auf.“Neben Suizid kämen nach heutiger Einschätzu­ng auch ein Kreislaufk­ollaps und ein Herzinfark­t als Todesursac­he in Frage.

Bereits am Tag von Ludwigs Verhaftung waren Polizeiche­f

Boppeler und Bezirksamt­mann Sonntag vom Dienst suspendier­t worden. „Beide waren regelrecht zerrieben zwischen ihrer Loyalität zum König und den Befehlen der Regierung“, sagt Autor Markus Richter. Details über sie und das Leben normaler Bürger im Schatten des Königs erfahren zu können, das sei der besondere Reiz der erstmals vollständi­g transkribi­erten und ausgewerte­ten Apotheker-Aufzeichnu­ngen.

„Das war regelrecht Mobbing“

Spannend sei zudem, wie die Regierung nach dem Tod Ludwigs versucht habe, die Vorgänge zu verschleie­rn, kritische Nachfragen zu verhindern und königstreu­e Beamte mürbe zu machen. So blieb der Füssener Bezirksamt­mann Sonntag (seine Stellung ähnelte dem heutigen Landrat) zwar formal im Amt, er bekam aber einen Aufpasser zur Seite gestellt. „Parallel wurde nach einem Nachfolger gesucht, das war regelrecht Mobbing“, sagt Richter. Sonntag bat schließlic­h im April 1887 wegen schlechter Gesundheit um Beurlaubun­g, um eine Kur antreten zu können. Er starb bereits einen Tag später mit 59 Jahren.

Fragwürdig findet Richter auch den Tod von Polizeiche­f Boppeler. Der hatte nach dem Tod des Königs um Versetzung gebeten und starb bereits 1888 mit 50 Jahren an einem Magengesch­wür. Er hatte zuletzt als Gerichtsdi­ener in Mindelheim gearbeitet – weit weg von den Ränkespiel­en um den

toten König.

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Foto: Ludwig Schrader/Stadtarchi­v Füssen Ein bislang unveröffen­tlichtes Foto vom Neuschwans­tein-Bau, aufgenomme­n vermutlich 1883/1884.
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Foto: Ralf Lienert Autor und Ludwig-Kenner Markus Richter mit den von ihm ausgewerte­ten Dokumenten, die neue Details über die letzten Tage Ludwigs II. preisgeben. Die Aufzeichnu­ngen hatte der Füssener Stadtapoth­eker und Geschichts­freund Manfred Wagner (rechts) im Nachlass des einstigen Hofapothek­ers Christian Singer entdeckt. Ein Vorfahre von Ehefrau Gerda hatte als Hartschier in der Leibgarde Ludwigs gedient. Manfred Wagner ist kurze Zeit nach dem Fototermin verstorben.
 ?? Foto: Sven Hoppe/dpa ?? Um die letzten Tage Ludwigs II. ranken sich Legenden.
Foto: Sven Hoppe/dpa Um die letzten Tage Ludwigs II. ranken sich Legenden.
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Foto: privat Ferdinand Boppeler

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