Darf der Staat vorschreiben, wie wir Weihnachten feiern?
Den Staat geht vieles nichts an. Das Private sollte, so gut es geht, vor Blicken der Allgemeinheit geschützt werden. So weit, so richtig. Wie Friedrich Merz Weihnachten feiert, ob es Gans, Foie gras oder Kartoffelsalat mit Würstchen gibt, interessiert natürlich niemanden. Wie viele Gäste sich allerdings um die Merz’sche Festtafel versammeln, ist in einer noch lange nicht überstandenen Pandemie sehr wohl relevant – und deshalb haben die Ministerpräsidenten richtig entschieden. Das weiß auch der Möchtegern-Parteivorsitzende der CDU.
Seit Anfang November bemüht sich der Staat, also wir, die zweite Infektionswelle zu brechen. Der erhoffte Erfolg ist noch nicht eingetreten, also müssen alle weiter im Lockdown light durchhalten. Das nervt, das nimmt dem anstehenden Advent seine frohe Erwartung, aber es nützt einfach nichts. Um die Pandemie einzudämmen, helfen nun mal vor allem Kontaktbeschränkungen.
Recht hat Merz, wenn er kritisiert, die Bundesregierung solle längerfristige Perspektiven kommunizieren. Es war sicher falsch, Anfang November zu sagen: Kinder, seid brav, dann dürft ihr auch groß Weihnachten feiern.
Zwar war den meisten bereits damals klar, dass die Kontaktbeschränkungen nicht so schnell wieder aufgehoben werden würden. Aber es frustriert dennoch, wenn die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht werden. Keiner will einsame Weihnachten. Erst recht aber will niemand, dass nach Weihnachten die Infektionszahlen wieder nach oben schnellen. Das ist aber die absehbare Bescherung, wenn wir uns nach Merz’scher Manier zum Fest verhalten.
Der Mann, der Kanzler werden will, hat mit seiner Äußerung die Frustrierten weiter bestärkt. Das schadet der Akzeptanz für die Corona-Regeln. Staatsmännisch ist es erst recht nicht.
Weihnachten ist das Fest der Familie – auch in digitalen Zeiten. Corona wirft die Frage auf: Wie weit darf sich der Staat einmischen?
Nennen wir sie die Müllers. Vater Heinz, 88 Jahre, Mutter Helga, 83 Jahre, zwei Töchter, zwei Schwiegersöhne, fünf erwachsene Enkel. Seit Jahren feiern die Müllers gemeinsam Weihnachten, zusammen sind sie zu elft – und damit einer mehr, als es ein paar übereifrige Ministerpräsidenten jetzt erlauben wollen. Trotzdem müssen die Müllers an Weihnachten gemeinsam feiern dürfen.
Es ist eine bizarre Diskussion, die Deutschland da gerade führt. Wenn die Bevölkerung nicht mitziehe, hat Markus Söder vor ein paar Wochen schon gesagt, „wird es ein einsames Weihnachten“. Wie bitte? Entscheidet Herr Söder jetzt, wer sich an den Feiertagen mit wem trifft? Ist der Politik inzwischen nicht einmal mehr der Heilige Abend heilig? Wir Deutschen sind ein staatsgläubiges Volk, die meisten von uns haben es gerne, wenn andere die Dinge für sie regeln, also die Politik. Mit Kontaktsperren an Weihnachten aber wäre eine rote Linie überschritten, die kein Politiker überschreiten sollte. Oder, frei nach Friedrich Merz: Es geht den Staat nichts an, mit wem ich Weihnachten feiere.
Ganz abgesehen davon, dass die eigene Wohnung und die Familie unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes stehen: Weihnachten ist nicht irgendein Tag und die Bescherung in der Familie auch keine Après-Ski-Party. Die meisten Menschen sind vernünftig genug, um auf sich und auf andere achtzugeben. Dass Söder und seine Kollegen trotzdem die Kontakte innerhalb der Familie begrenzen wollen, spricht jedenfalls Bände. So nötig es sein mag, im Alltag, im Beruf und in der Freizeit Abstand zu halten, so verräterisch ist die Zehn-Personen-Regel, die die Länder sich für Weihnachten ausgedacht haben. Vor dem Corona-Staat ist offenbar nicht einmal mehr das Innerste einer Familie sicher. In ihm stirbt die Freiheit scheibchenweise.