Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (113)
In die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli giösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt.
Ich kann mich nicht erinnern, so etwas schon in einem Zeitungsartikel oder in einem Buch gelesen zu haben. Sie sagte: Die alten Diktaturen haben die Leuten stumm gemacht, die neuen zwingen sie, dauernd zu reden, aber gezielt nur dummes, oberflächliches Zeug, so dass das Hirn zu einer Müllhalde wird. Sie brabbeln und lärmen, um zu überdecken, dass sie das Wesentliche verschweigen.
Wie recht sie hat! Wenn ich nicht nur Talkrunden im Fernsehen, sondern das Heer der Smartphone-Telefonierer sehe, deren Gespräche ich mit anhören muss, wird mir schlecht.
Der Bischof, der Ehemann und der Schönheitschirurg sitzen in Isolationshaft. Major Suleiman hat meinem Wunsch entsprochen. Der Bischof ist offiziell verreist. Das ist ein Kompromiss, den Major Suleiman mit dem Patriarchen ausgehandelt hat, so dass die christliche Gemeinde nicht beunruhigt wird, bevor das Urteil feststeht. Aber er sitzt nicht in einem bequemen Haus, sondern in einer Gefängniszelle.
Ich habe den katholischen Patriarchen angerufen, um ihn höflich, aber genau zu informieren. Ich dachte, er wäre vielleicht sauer auf mich, doch da hatte ich mich vollkommen geirrt.
Er lud mich zu einem vertraulichen Gespräch ein. Bei der Begrüßung strahlte er und bestellte eine Kanne Kaffee. Ich versicherte ihm, dass ich als Privatperson da sei und alles, was er mir erzählen wird, für mich behalten werde, aus Dankbarkeit für seine Offenheit.
„Es tut mir leid“, sagte er, „es tut mir wirklich leid, dass ich so lange gebraucht habe, um diesen üblen Typen zu durchschauen. Major Suleiman hat mir alles dargelegt. Er ist zweifellos schuldig. Ich möchte Ihre Arbeit mit meinen Mutmaßungen nicht stören und werde jede Stellungnahme verweigern. Aber ich habe die Nase voll. Vor etwa vier Jahren hat er uns in eine äußerst peinliche Situation gebracht, die den Ruf der katholischen Kirche beinahe ruiniert hätte, wenn die betroffene Familie nicht so großartig reagiert hätte. Er hat das Beichtgeheimnis nicht gehalten und bei einem Fest die heimliche Affäre eines Mannes ausgeplaudert, so dass sich die Ehefrau von ihm trennen wollte. In fünf ausführlichen Gesprächen haben wir die Ehe gerettet und erreicht, dass die Sache nicht an die Öffentlichkeit gelangte. Bischof Tabbich schwor mir, dass er nicht der Verräter war. Mein Herz aber sagte mir, dass er log. Nur konnte es niemand beweisen.
Nun aber will ich ihn keinen Tag länger mehr hier dulden. Ich werde seiner Heiligkeit, Papst Benedikt, vertraulich berichten und, sobald das Urteil feststeht, fällt auch unsere Entscheidung. Übrigens habe ich das höfliche Angebot deines Chefs abgelehnt, den Bischof in einem Haus am Rande der Stadt unter Bewachung zu setzen. Er ist ein Krimineller und soll wie alle Kriminellen ins Gefängnis.“
Ich bedankte mich und wollte aufbrechen, da hielt der Patriarch meine Hand fest. „Ich werde für Sie beten, dass Sie diese Schande aufklären. Ich schäme mich so sehr, dass ein Gast bei uns ermordet wurde!“
„Sie können mir glauben, Exzellenz, das ist der Motor meines Handelns“,
erwiderte ich. „Sonst hätte ich den Fall längst aufgegeben.“
Nach dem Treffen informierte ich Mancini, dass der Patriarch auf unserer Seite steht. Ich war verwundert, dass Mancini nicht begeistert reagierte, sondern dem Patriarchen gegenüber immer noch skeptisch blieb.
Mancini und ich haben unabhängig voneinander festgestellt, das schwache Glied dieser Verbrecherbande ist der Schönheitschirurg. Also werden wir beim Verhör zu einer List greifen: Wir werden ihm zunächst zu verstehen geben, dass er als Täter eigentlich nicht infrage kommt und dass chirurgische Eingriffe an einer Leiche nicht strafbar sind. Vielleicht wird er uns dann den Mörder nennen und als Zeuge aussagen.
Mancini hat beschlossen, bei der Vernehmung nicht dabei zu sein. Ich soll die mutmaßlichen Mörder allein verhören. Mancini soll für sie weiterhin der Journalist bleiben. Wenn sie herausfinden, dass er Kriminalkommissar ist, meinte er, würden sie das Verhör durch einen Ausländer als verletzend empfinden. Recht hat er.
Ich schlafe schlecht, weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass Major Suleiman nicht mit offenen Karten spielt. Bei der Morgenbesprechungen und auch in den Gesprächen unter vier Augen hat er die Kooperation mit dem Geheimdienst kein einziges Mal mehr erwähnt, und als ich ihn danach fragte, meinte er nur knapp: „Nimmt alles seinen Gang.“
Wir haben die Mörder, und seine Arbeitsgruppe sucht noch!!!
Ich habe Mancini unter vier Augen gesagt, dass wir ein Maximum an Informationen bekommen werden, je schneller wir handeln. Der Geheimdienst ist ein großer, träger Apparat. Wenn wir ihm irgendwann in die Quere kommen, wird er uns sofort ausbremsen. Das geschieht, sobald Zeugen eine oder mehrere Personen der obersten Kaste nennen, die von uns vernommen werden müssten. Mancini lachte und meinte, Syrien käme ihm italienisch vor. Den Mord haben die Verbrecher nicht nur aus Hass begangen. Dann hätte man den Kardinal für immer und ewig verschwinden lassen, man hätte ihn tief begraben oder im nahen Meer versenken können. Nein, die Mörder wollten Rom eine unmissverständliche Botschaft zukommen lassen. Sogar an das Detail, den Kardinalsring als Zeichen der Degradierung vom rechten auf den linken Ringfinger zu stecken, haben die Täter gedacht.
Merkwürdig, wie Erinnerungen funktionieren. Ich habe dieser Tage viel nachgedacht, und plötzlich stieg die Erinnerung an eine Geschichte auf, die mir Schukri vor Monaten über die Heilerin Dumia erzählt hat. Ich habe sie auch Nariman erzählt, und wir haben viel gelacht.
Schukri erzählte, dass der ehemalige Verteidigungsminister Yasser Ballas ein Verhältnis mit der Heilerin hatte. Einmal, sie war noch sehr berühmt, standen die Menschen wieder Schlange, als eine Armada von Staatskarossen angefahren kam. Und wer stieg aus der großen schwarzen Limousine? Yasser Ballas mitsamt seiner ganzen Militärführung. Die wartende Menge erstarrte vor Furcht. Ballas trat ins Haus, begrüßte die Heilerin und bat laut lachend, mit dem heiligen Öl gesalbt zu werden. Er kniete vor ihr nieder, und die gesamte Generalität tat es ihm gleich. Die Heilerin Dumia ölte einen nach dem anderen, fast geistesabwesend, als stünde sie unter Drogen. Giftzahn Schukri hat damals dreckig gelacht: Jetzt müsse sich Israels Armee warm anziehen. Sie habe es mit einer gesalbten feindlichen Armeeführung zu tun.“Und er lachte so laut, dass sich mehrere Gäste im Café zu uns umdrehten.
46. Eine unheilige Allianz
Der Chirurg saß elend in seiner Gefängniszelle herum und wartete.