Abschied vom Schäferwagen und seiner Initiatorin
Religion Die „Kirche am Weg“rollt künftig ohne Jutta Maier weiter. Die Mindelheimerin geht in den Ruhestand und blickt zurück auf besondere Begegnungen, bei denen auch „Sex and Crime“eine Rolle spielten
Mindelheim Ein letztes Mal sperrt Jutta Maier die Tür ihres Schäferwagens ab, dann wird er abgeholt, um künftig anderswo in der Diözese Augsburg unterwegs zu sein. Drei Jahre lang ist die Gemeinde- und Bildungsreferentin der Katholischen Landvolkbewegung mit ihm durch das Dekanat Mindelheim gerollt, um die Kirche zu den Leuten zu bringen. Nicht, um ihnen ihren Glauben aufzudrücken, sondern um zu zeigen, was Kirche auch sein kann: ein Angebot zum Reden, ein Zuhörer, eine Auszeit im hektischen Alltag – Seelsorge im Wortsinn eben. Doch jetzt steht ein neues Kapitel an.
„Ich bin einfach da, um da zu sein“, hatte Jutta Maier beim Start der „Kirche am Weg“angekündigt – und viele wussten das zu schätzen. Länger als eine halbe Stunde war die 62-Jährige in ihrem Schäferwagen jedenfalls nie allein: In der Früh kamen oft Kindergartengruppen, nachmittags dann teils die gleichen Kinder mit ihren Eltern oder Großeltern, Senioren und Jugendliche, Gläubige – auch anderer Konfessionen – und manchmal sogar die, die mit Kirche rein gar nichts am Hut haben, aber doch neugierig waren auf Jutta Maier und ihren Schäferwagen.
Der soll auch künftig im Bistum Augsburg unterwegs und „Kirche am Weg“sein, dann aber ohne seine Initiatorin: Nach fast 40 Jahren im kirchlichen Dienst verabschiedet sich Jutta Maier zum 1. März in den passiven Teil ihrer Altersteilzeit. Ob sie den Schäferwagen vermissen wird, kann sie jetzt noch nicht sagen. Doch ein bisschen Wehmut ist schon dabei. „Aber weil die Diözese bereit ist, das weiterzuführen, kann ich gut loslasWas will man mehr?“, fragt sie. Was sie auf jeden Fall vermissen wird, sind die „Stammkunden“, die immer kamen, wenn sie im jeweiligen Dorf Station machte. „Das tut mir leid, dass ich die nicht mehr besuchen kann.“Oft waren es die Kinder aus der Stellplatz-Nachbarschaft, auf die der Schäferwagen eine ungeheure Anziehungskraft ausübte. Sie spielten davor, schauten immer mal wieder zu Jutta Maier hinein und ließen sich von ihr eine biblische Geschichte erzählen. Zum Beispiel die von Abraham und Sarah, denen Gott prophezeit, dass sie trotz ihres hohen Alters noch einen Sohn bekommen werden – und die darüber erst einmal herzhaft lachen müssen. Zusammen mit den Kindern hat die Gemeindereferentin ausprobiert, wie das geklungen haben könnte und sich auch überlegt, wie sich wohl das Lachen Gottes anhört. „Wenn ich dieses Gotteslachen spürbar machen konnte, dann war’s ein besonders schöner Tag“, sagt Jutta Maier.
Ebenfalls im Gedächtnis geblieben sind ihr die Jugendlichen damals bei „Pfaffenhausen leuchtet“. Weil es draußen in Strömen regnete, kamen sie mit ihren Bierflaschen und der Coolness der Halbstarken eigentlich nur in den Wagen, um sich aufzuwärmen. „Zu denen hab ich gesagt: Ihr kriegt’s eine Bibelgeschichte mit Sex and Crime: David und Batseba“, sagt Jutta Maier und lacht. Die jungen Männer suchten danach zwar schnell das Weite, doch wer weiß: „Ich hab’ sie nicht vergessen und vielleicht haben sie auch mich nicht vergessen – und dass da mal was Nettes mit der Kirche war“, hofft Jutta Maier.
Andere kamen gezielt, um sie um ein Gebet zu bitten für die Prüfung am nächsten Tag, für einen kranken Angehörigen oder vor einer schweren Entscheidung. Und wieder andere nutzten die Gelegenheit, um quasi im Vorbeigehen ihren geballten Kirchenfrust loszuwerden. „Nichts gesen. gen Sie, aber ...“, begannen diese Gespräche meist, die für Jutta Maier genauso dazugehörten. Schließlich wollte sie nie nur eine „spirituelle Hüpfburg“sein. „Das wäre mir zu wenig gewesen.“
Und so stand sie eben nicht nur neben Kirchen, sondern auch mal vor dem Mindelheimer Hallenbad oder in Tussenhausen auf dem Supermarkt-Parkplatz, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen, ohne konkreten Anlass, einfach so.
„Die Landseelsorge, das ist schon meins“, hatte Jutta Maier schon festgestellt, als sie nach mehreren Jahren als Diözesanreferentin wieder als Gemeindereferentin an die Basis, nämlich in die Pfarreiengemeinschaft Nassenbeuren zurückkehrte. Davor war die Mindelheimerin auch schon in Neu-Ulm und Schongau tätig, hat drei Jahre als Missionarin auf Zeit im Urwald des heutigen Kongos verbracht und 30 Tage in einer WG in Berlin-Kreuzberg gelebt. Dem neuen Lebensabschnitt, der nun beginnt, will sie mit der gleichen Offenheit begegnen. „Ich will in einen Leerraum gehen, der nicht schon mit Vorhaben voll ist“, erklärt sie. Es wird eine feste Tagesstruktur geben mit viel Zeit für Glaube und Spiritualität, auch für Bewegung, der Rest wird sich zeigen.
Corona hat ihre Arbeit in den vergangenen Monaten oft erschwert und Pläne über den Haufen geworfen. Doch in gewisser Weise hatte die Pandemie auch ihr Gutes. Sie hat Jutta Maier den Abschied ein bisschen erleichtert: Schichtdienst und Video-Konferenzen haben schon vor Wochen für mehr Abstand zu den Kollegen gesorgt, der Schäferwagen musste früher ins Depot als geplant, gewissermaßen ein Abschied auf Raten. „Das ist ein Rausschleichen, ein leises Hinausgehen“, sagt Jutta Maier, der das nur recht ist. Ein letztes Mal sperrt sie den Schäferwagen ab, dann beginnt für beide ein neues Kapitel.