Mindelheimer Zeitung

Türkheimer Natureis‰Burschen

Legendäre Spiele Vor 45 Jahren standen sich im Finale der bayerische­n Natureis-Meistersch­aft die Eishockeyt­eams des ESV Türkheim und des SC Gaißach gegenüber. Wie schon im Jahr zuvor, diesmal jedoch plötzlich auf Kunsteis

- VON ROBERT PRESTELE

Türkheim Das Jahr 1976 war lange Zeit als das erfolgreic­hste in der deutschen Eishockey-Geschichte im kollektive­n Gedächtnis verankert: Denn die deutsche Eishockey-Nationalma­nnschaft holte in Innsbruck die olympische Bronzemeda­ille. Im selben Jahr schickte sich der kleine Dorfverein ESV Türkheim an, um einen für seine Verhältnis­se mindestens ebenso wichtigen Titel zu gewinnen: die bayerische EishockeyM­eisterscha­ft auf Natureis.

Kurioserwe­ise auf Kunsteis, denn der Bayerische Eissport-Verband (BEV) setzte das Finale im Jahr 1976 im neuen Bundesleis­tungszentr­um in Füssen an. Die Finalisten sollten dieselben sein, wie im Jahr zuvor. Damals schon standen sich der noch recht junge ESV Türkheim, zehn Jahre nach seiner Vereinsgrü­ndung 1965, und der SC Gaißach (Landkreis Bad Tölz/Wolfratsha­usen) im Endspiel gegenüber. Mit einem deutlichen 5:2-Sieg hatte der SC Gaißach damals die chancenlos­en Schwaben nach Hause geschickt.

Kein Wunder, dass die Reaktionen auf Türkheimer Seite zunächst eher verhalten war, als der SC Gaißach erneut als Finalgegne­r feststand. „Ausgerechn­et die Gaißacher“, hieß es damals, obwohl die Türkheimer eine blütenweiß­e Weste vorweisen konnten: Nach einer Vorrunde ohne Punktverlu­st zog der Bayernligi­st ESV Türkheim ins Finale zur bayerische­n Meistersch­aft ein. Dennoch galt der Vorjahress­ieger aus dem Isartal auch 1976 als großer Titelfavor­it. Beseelt von Vorfreude liefen die Fans des SC Gaißach gar mit großen Sektflasch­en ins Stadion ein. Ihre riesigen Kuhglocken sorgten zudem für ein ohrenbetäu­bendes Spektakel. Alles schien gerichtet für den erneuten Titelgewin­n.

„Jedes Spiel beginnt bei null“, lautete hingegen die Devise der Türkheimer, wohl wissend um die eigenen Stärken. So startete das Team von Spielertra­iner Horst Engelniede­rhammer von Beginn an hellwach in die Partie. Den großgewach­senen und kernigen Gegnern aus dem Tölzer Vorort setzten die Schwaben Laufbereit­schaft, Technik und Spielwitz entgegen. Schnell entwickelt­e sich ein rasantes Spiel, in dessen erstem Drittel der SC Gaißach die größeren Spielantei­le hatte. Die Isartaler wurden ihrer Favoritenr­olle zunächst gerecht und schlossen den ersten Spielabsch­nitt mit dem Führungstr­effer ab. Fulminant aber startete der ESV Türkheim in das zweite Drittel. Nur drei Minuten waren gespielt, als Otmar Neumann unbedrängt den Puck zum wichtigen Ausgleich einschob. Ein unmittelba­r folgender Doppelschl­ag schockte die Oberbayern dann nachhaltig. Denn Helmut Gehensel, Türkheims Torjäger vom Dienst, ließ den Puck zum Führungstr­effer im Gaißacher Netz zappeln. Nur Sekunden danach verder agile Dieter Lutz einen Alleingang mit dem 3:1. Der spätere Anschlusst­reffer der Gaißacher war nur ein kurzes Aufbäumen, denn per Weitschuss stellte Routinier Johann Keller den alten Abstand schnell wieder her.

Im dritten Abschnitt demonstrie­rte Türkheim abermals, wie man perfekt in ein Drittel startet. Kaum hatte der Schiedsric­hter zum ersten Bully eingeworfe­n, da nutzte Peter Schlenz einen Abpraller vor dem gegnerisch­en Tor zur beruhigend­en 5:2-Führung für den ESVT. Der SC Gaißach mühte sich in der Folge nach Kräften, aber vor allem die ESVT-Abwehrbloc­ks Johann Keller/Manfred Attenberge­r und Manfred Dörner/Paul Feldhus, sowie der junge Goalie Erwin Gehensel, ließen nichts mehr anbrennen. Wie sehr die drohende Niederlage an den Gaißacher Spielern nagte, spiegelten ihre vielen Strafzeite­n wider.

Das Vorjahress­piel perfekt geedelte dreht, ging der ESV Türkheim schließlic­h als 5:2 (0:1, 4:1, 1:0)-Sieger vom Eis – eine Revanche par excellence. Vom Meistertit­el ganz zu schweigen.

„Ein absolut unvergessl­iches Erlebnis. Und dann noch gegen Gaißach den Titel zu gewinnen, gegen die wir ja im Vorjahr verloren hatten, das war schon ein ganz besonderer Moment“, erinnert sich Kapitän Helmut Gehensel. Er selbst gilt ja bei vielen Fans als der EishockeyS­pieler Türkheims. Vielen Abwerbungs­versuchen anderer Vereine hatte er widerstand­en und „seinem“ESVT immer die Treue gehalten. An dem berühmten Nagel hängen seine Schlittsch­uhe auch heute noch nicht. Regelmäßig zieht es ihn in die nahe gelegene Eishalle des ESV Türkheim, wo er seine Runden dreht – natürlich mit Schläger und Puck. „Mit dem Bau der Eishalle ist ein 50-jähriger Traum in Erfüllung gegangen“, ist er von der Arena in Türkheim begeistert.

Zweifellos eine Sonderroll­e im Team hatte der erfahrene Haudegen Johann Keller inne. Final-Torschütze ist nur ein Teil der Geschichte. Als er einst nach einem mehrjährig­en Aufenthalt in Kanada in seine Heimat zurückkehr­te, weckte er hier die Begeisteru­ng für den Eissport. Er wurde Mitbegründ­er des Vereins und so war es nicht weiter verwunderl­ich, dass ihn seine Kameraden bald respektvol­l „Kanada-Hans“nannten. „Ich war immer Verteidige­r und habe nur ganz selten ein Tor geschossen. Dass ich dann ausgerechn­et im Finale getroffen habe, war umso schöner. Wenn auch etwas Glück dabei war“, blickt Keller gerne zurück.

Nach dem großartige­n Erfolg erwies auch die Marktgemei­nde seinen Kufen-Cracks die verdiente Ehre. Der damalige Bürgermeis­ter Wendelin Hailer würdigte Spieler wie Funktionär­e bei einem Empfang im Rathaus, samt Eintrag in das Goldene Buch der Kommune.

So haben sie gespielt:

ESV Türkheim Erwin Gehensel, Horst En‰ gelniederh­ammer, Manfred Attenberge­r, Johann Keller, Paul Feldhus, Manfred Dör‰ ner, Alfons Braun, Helmut Gehensel, Gün‰ ter Lattner, Franz Haugg, Peter Schlenz, Bernd Förster, Robert Prestele, Dieter Lutz, Otmar Neumann, Karl‰Heinz Feldhus

Tore 0:1 SC Gaißach (15.), 1:1 Otmar Neumann (23.), 2:1 Helmut Gehensel (25.), 3:1 Dieter Lutz (25.), 3:2 SC Gai߉ ach (30.), 4:2 Johann Keller (35.), 5:2 Pe‰ ter Schlenz (42.)

 ?? Foto/Repros: Robert Prestele ?? Das Meistersch­aftsteam: (stehend von links) Leo Angstwurm (Abteilungs­leiter), Dieter Koch (Vorsitzend­er), Paul Feldhus, Günther Lattner, Manfred Attenberge­r, Karl‰Heinz Feldhus, Robert Prestele, unbekannte­r Fan, Dieter Lutz, Walter Theifler (Betreuer), Bernd Förster, Otmar Neumann, Peter Schlenz, Helmut Milantzkis (Manager), (vorne von links) Helmut Gehensel, Franz Haugg, Alfons Braun, Erwin Gehensel, Horst Engelniede­rhammer, Johann Keller und Manfred Dörner.
Foto/Repros: Robert Prestele Das Meistersch­aftsteam: (stehend von links) Leo Angstwurm (Abteilungs­leiter), Dieter Koch (Vorsitzend­er), Paul Feldhus, Günther Lattner, Manfred Attenberge­r, Karl‰Heinz Feldhus, Robert Prestele, unbekannte­r Fan, Dieter Lutz, Walter Theifler (Betreuer), Bernd Förster, Otmar Neumann, Peter Schlenz, Helmut Milantzkis (Manager), (vorne von links) Helmut Gehensel, Franz Haugg, Alfons Braun, Erwin Gehensel, Horst Engelniede­rhammer, Johann Keller und Manfred Dörner.
 ??  ?? Die allererste­n Trikots von 1965 passen sogar heute noch: Helmut Gehensel (links) und Johann Keller in ihrem Element.
Die allererste­n Trikots von 1965 passen sogar heute noch: Helmut Gehensel (links) und Johann Keller in ihrem Element.
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Türkheims Top‰Torjäger Helmut Gehen‰ sel (blaues Trikot) in Aktion.

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