Türkheimer NatureisBurschen
Legendäre Spiele Vor 45 Jahren standen sich im Finale der bayerischen Natureis-Meisterschaft die Eishockeyteams des ESV Türkheim und des SC Gaißach gegenüber. Wie schon im Jahr zuvor, diesmal jedoch plötzlich auf Kunsteis
Türkheim Das Jahr 1976 war lange Zeit als das erfolgreichste in der deutschen Eishockey-Geschichte im kollektiven Gedächtnis verankert: Denn die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft holte in Innsbruck die olympische Bronzemedaille. Im selben Jahr schickte sich der kleine Dorfverein ESV Türkheim an, um einen für seine Verhältnisse mindestens ebenso wichtigen Titel zu gewinnen: die bayerische EishockeyMeisterschaft auf Natureis.
Kurioserweise auf Kunsteis, denn der Bayerische Eissport-Verband (BEV) setzte das Finale im Jahr 1976 im neuen Bundesleistungszentrum in Füssen an. Die Finalisten sollten dieselben sein, wie im Jahr zuvor. Damals schon standen sich der noch recht junge ESV Türkheim, zehn Jahre nach seiner Vereinsgründung 1965, und der SC Gaißach (Landkreis Bad Tölz/Wolfratshausen) im Endspiel gegenüber. Mit einem deutlichen 5:2-Sieg hatte der SC Gaißach damals die chancenlosen Schwaben nach Hause geschickt.
Kein Wunder, dass die Reaktionen auf Türkheimer Seite zunächst eher verhalten war, als der SC Gaißach erneut als Finalgegner feststand. „Ausgerechnet die Gaißacher“, hieß es damals, obwohl die Türkheimer eine blütenweiße Weste vorweisen konnten: Nach einer Vorrunde ohne Punktverlust zog der Bayernligist ESV Türkheim ins Finale zur bayerischen Meisterschaft ein. Dennoch galt der Vorjahressieger aus dem Isartal auch 1976 als großer Titelfavorit. Beseelt von Vorfreude liefen die Fans des SC Gaißach gar mit großen Sektflaschen ins Stadion ein. Ihre riesigen Kuhglocken sorgten zudem für ein ohrenbetäubendes Spektakel. Alles schien gerichtet für den erneuten Titelgewinn.
„Jedes Spiel beginnt bei null“, lautete hingegen die Devise der Türkheimer, wohl wissend um die eigenen Stärken. So startete das Team von Spielertrainer Horst Engelniederhammer von Beginn an hellwach in die Partie. Den großgewachsenen und kernigen Gegnern aus dem Tölzer Vorort setzten die Schwaben Laufbereitschaft, Technik und Spielwitz entgegen. Schnell entwickelte sich ein rasantes Spiel, in dessen erstem Drittel der SC Gaißach die größeren Spielanteile hatte. Die Isartaler wurden ihrer Favoritenrolle zunächst gerecht und schlossen den ersten Spielabschnitt mit dem Führungstreffer ab. Fulminant aber startete der ESV Türkheim in das zweite Drittel. Nur drei Minuten waren gespielt, als Otmar Neumann unbedrängt den Puck zum wichtigen Ausgleich einschob. Ein unmittelbar folgender Doppelschlag schockte die Oberbayern dann nachhaltig. Denn Helmut Gehensel, Türkheims Torjäger vom Dienst, ließ den Puck zum Führungstreffer im Gaißacher Netz zappeln. Nur Sekunden danach verder agile Dieter Lutz einen Alleingang mit dem 3:1. Der spätere Anschlusstreffer der Gaißacher war nur ein kurzes Aufbäumen, denn per Weitschuss stellte Routinier Johann Keller den alten Abstand schnell wieder her.
Im dritten Abschnitt demonstrierte Türkheim abermals, wie man perfekt in ein Drittel startet. Kaum hatte der Schiedsrichter zum ersten Bully eingeworfen, da nutzte Peter Schlenz einen Abpraller vor dem gegnerischen Tor zur beruhigenden 5:2-Führung für den ESVT. Der SC Gaißach mühte sich in der Folge nach Kräften, aber vor allem die ESVT-Abwehrblocks Johann Keller/Manfred Attenberger und Manfred Dörner/Paul Feldhus, sowie der junge Goalie Erwin Gehensel, ließen nichts mehr anbrennen. Wie sehr die drohende Niederlage an den Gaißacher Spielern nagte, spiegelten ihre vielen Strafzeiten wider.
Das Vorjahresspiel perfekt geedelte dreht, ging der ESV Türkheim schließlich als 5:2 (0:1, 4:1, 1:0)-Sieger vom Eis – eine Revanche par excellence. Vom Meistertitel ganz zu schweigen.
„Ein absolut unvergessliches Erlebnis. Und dann noch gegen Gaißach den Titel zu gewinnen, gegen die wir ja im Vorjahr verloren hatten, das war schon ein ganz besonderer Moment“, erinnert sich Kapitän Helmut Gehensel. Er selbst gilt ja bei vielen Fans als der EishockeySpieler Türkheims. Vielen Abwerbungsversuchen anderer Vereine hatte er widerstanden und „seinem“ESVT immer die Treue gehalten. An dem berühmten Nagel hängen seine Schlittschuhe auch heute noch nicht. Regelmäßig zieht es ihn in die nahe gelegene Eishalle des ESV Türkheim, wo er seine Runden dreht – natürlich mit Schläger und Puck. „Mit dem Bau der Eishalle ist ein 50-jähriger Traum in Erfüllung gegangen“, ist er von der Arena in Türkheim begeistert.
Zweifellos eine Sonderrolle im Team hatte der erfahrene Haudegen Johann Keller inne. Final-Torschütze ist nur ein Teil der Geschichte. Als er einst nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Kanada in seine Heimat zurückkehrte, weckte er hier die Begeisterung für den Eissport. Er wurde Mitbegründer des Vereins und so war es nicht weiter verwunderlich, dass ihn seine Kameraden bald respektvoll „Kanada-Hans“nannten. „Ich war immer Verteidiger und habe nur ganz selten ein Tor geschossen. Dass ich dann ausgerechnet im Finale getroffen habe, war umso schöner. Wenn auch etwas Glück dabei war“, blickt Keller gerne zurück.
Nach dem großartigen Erfolg erwies auch die Marktgemeinde seinen Kufen-Cracks die verdiente Ehre. Der damalige Bürgermeister Wendelin Hailer würdigte Spieler wie Funktionäre bei einem Empfang im Rathaus, samt Eintrag in das Goldene Buch der Kommune.
So haben sie gespielt:
ESV Türkheim Erwin Gehensel, Horst En gelniederhammer, Manfred Attenberger, Johann Keller, Paul Feldhus, Manfred Dör ner, Alfons Braun, Helmut Gehensel, Gün ter Lattner, Franz Haugg, Peter Schlenz, Bernd Förster, Robert Prestele, Dieter Lutz, Otmar Neumann, KarlHeinz Feldhus
Tore 0:1 SC Gaißach (15.), 1:1 Otmar Neumann (23.), 2:1 Helmut Gehensel (25.), 3:1 Dieter Lutz (25.), 3:2 SC Gaiß ach (30.), 4:2 Johann Keller (35.), 5:2 Pe ter Schlenz (42.)