Die Politik muss die Corona-Notbremse ziehen
Leitartikel Der Wunsch nach Lockerungen war verständlich, aus epidemiologischer Sicht war er falsch. Denn nun nutzt das Virus die Lücken im Lockdown aus
Die Mahner haben recht behalten. Das durch seine Mutation erstarkte Virus nutzt die Anfang März beschlossenen Lücken im Lockdown aus und verbreitet sich mit Vehemenz. Wenn die Ministerpräsidenten der Bundesländer am Montag mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) per Schaltkonferenz zusammenkommen, werden sie die Corona-Notbremse ziehen. Alles andere wäre eine große Überraschung.
Wenn die Ministerpräsidenten und Merkel wollen, dass ihnen die Bürger weiter folgen, dann können sie gar nicht anders, als die Corona-Vorschriften wieder zu verschärfen. Es wäre ein fatales Signal, täten sie es nicht. Denn das hieße zweierlei: Bund und Länder würden das Virus einfach um sich greifen lassen und damit Krankheit und Tod billigend in Kauf nehmen. Ähnlich schlimm wäre der Glaubwürdigkeitsverlust bei der Pandemiebekämpfung. Wenn sich die Regierungen schon nicht an ihre selbst gegebenen Regeln halten, warum sollten es die Bürger tun?
So verständlich der Wunsch nach ein wenig Luft zum Atmen Anfang März gewesen ist, so falsch war er aus epidemiologischer Sicht. Nach über einem Jahr leidvoller Erfahrung hätte jedem klar sein müssen, dass selbst die kleinen Lockerungen hier und dort dazu führen, dass sich die dritte Welle mächtig auftürmt. Zu Beginn stecken sich nur wenige Menschen mehr an – und die Situation erscheint beherrschbar. Doch binnen 14 Tagen sind aus den wenigen viele geworden, und in kürzeren Abständen kommen immer mehr hinzu. Genau in dieser Lage befindet sich Deutschland jetzt wieder.
Besonders dramatisch daran ist, dass der Erreger verstärkt Kinder und Jugendliche befällt. Kindergärten und Schulen sind zum Treiber der Pandemie geworden. Für Kinder und Eltern sind das ganz schlechte Nachrichten. Wo das Virus stark umgeht, schließen Kindergärten und Schulen schon wieder mit Beginn der Woche. Die Länder agieren aber nicht einheitlich. Schülern droht auch ein zweites Halbjahr am Schreibtisch zu Hause, und Eltern müssen weiter improvisieren, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Die Aussichten sind deprimierend und noch nicht einmal richtig im Bewusstsein angekommen. Der Frühling bringt dieses Jahr keine Verbesserung.
Verschlimmert wird die Lage durch die deutsche Langsamkeit, die eine andere Corona-Politik zunichtemacht und nur die Holzhammermethode übrig lässt. Unverständlich ist zum Beispiel, warum trotz langer Vorbereitungszeit das Testen der Schüler bei weitem nicht flächendeckend funktioniert. In den Osterferien müssen die Schulverwaltungen dringend nachlegen. Denn auch die Kinder in Notbetreuung und gegebenenfalls Abschlussklassen müssen getestet werden – nicht nur einmal, sondern mehrmals pro Woche.
Und auch das Impfen wird die dritte Welle nicht brechen. Weil der Impfstoff bis Ende April knapp bleibt, lässt sich das Virus nicht schnell genug durch die schützenden Spritzen eindämmen.
Das bedeutet auch, dass die herbeigesehnte Osterreise ausfallen muss. Vielleicht erlauben einige Bundesländer trotz Ansteckungsgefahr Urlaub im schmalen Gewand, aber keinesfalls Massentourismus. Dass es die Menschen auf sonnige Inseln zieht, kann jeder mit Herz nachempfinden. Leider werden Urlauber das Virus mit zurück nach Hause bringen. Deshalb ist eine zwingende Quarantäne danach notwendig und sinnvoll. Mitten in der dritten Welle ist Reisen ein Luxus, den viele erhoffen, aber den wir uns nicht leisten sollten. Vor drei Wochen hat Deutschland die Mahner Mahner sein lassen. Die Konsequenzen tragen wir jetzt.
Schülern droht ein zweites Halbjahr zu Hause