Ist die digitale Messe die Zukunft?
Hintergrund Der Badarmaturen-Hersteller Grohe hat seinen Auftritt komplett auf eine Online-Plattform umgestellt, die Hannover Messe für die Industrie fand heuer nur im Netz statt. Dies deutet an, wohin der Weg geht
Der Besucher betritt virtuell eine Küche oder ein Badezimmer, kann den Blick nach oben und nach unten wenden, nach allen Seiten. Er kann sich Wasserhähne und die Dusche ansehen, klickt man auf eine der Armaturen, erhält man Informationen zu den chrom-glänzenden Hähnen und Brausen. Es lassen sich Termine für ein Beratungsgespräch vereinbaren. Wer den Wasserhahn oder die Duschbrause bereits geliefert bekommen hat, dem erklärt ein Installateur Schritt für Schritt den Einbau. Alle diese Angebote finden digital statt und sind per Internet auf dem Laptop und dem Smartphone abrufbar. Die Marke Grohe aus Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen ist ein führender Hersteller von Badlösungen und Küchenarmaturen. Sie hat nun unter dem Namen „GroheX“eine Plattform auf den Markt gebracht, auf der sie ihre Produkte präsentiert und Kontakt zu Kunden pflegt. GroheX ist die Antwort des Wasser-Spezialisten auf das Problem, dass mit der Corona-Krise hunderte Messen ausgefallen sind, auf denen Firmen ihre Neuheiten zeigen und Kontakte knüpfen. Zahlreiche Firmen geht es genauso. Die Lösung von Grohe ist eine von vielen, sie zeigt aber, wie Firmen aus dem Dilemma einen Ausweg finden und wohin sich das Messewesen entwickeln könnte, wenn Corona einmal im Griff ist.
Das zentrale Ereignis für Grohe war lange Jahre in Frankfurt die Leitmesse ISH für Wärme-, Wasserund Klima-Technik, sagt Gerhard Sturm, Marketing-Chef bei Grohe. „Alle zwei Jahre sind dann 200000 Besucher in kurzer Zeit über unseren Messestand gegangen.“Interesse für Grohe-Armaturen hat ein vielschichtiger Besucherkreis: Designer, Architekten, Installateure und Endkunden, die Inspiration für ihr Eigenheim suchen. Daneben nimmt die Marke allein in Europa an rund 200 kleineren Messen im Jahr teil, berichtet Sturm. Der gebürtige Österreicher arbeitet seit fünf Jahren bei Grohe. Die Corona-Pandemie hat die Messe-Pläne durchkreuzt. International sind zum einen viele Messen vor Ort abgesagt worden. Zum anderen scheute es das Unternehmen aus Gesundheitsschutzgründen, Mitarbeiter auf Reisen zu schicken. „Wir haben uns daher entschlossen, vorerst an keiner physischen Messe teilzunehmen“, sagt Sturm.
Wie aber konnte sich Grohe nun präsentieren? Immerhin gab es rund 800 neue Produkte, die bekannt gemacht werden sollten.
Noch im Sommer 2020 beschloss Grohe, die Teilnahme an Messen durch einen digitalen Firmenauftritt zu ersetzen. „Wir wollten die Herausforderung in eine Möglichkeit verwandeln“, sagt Sturm. Die digitale Plattform sollte mehr sein als ein Raum für die Produktpräsentation, sondern auch Debatten ermöglichen. Binnen sechs Monaten wurde das Projekt umgesetzt, seit März ist es online, Interessenten können sich kostenlos anmelden. Sie erhalten dann wie auf einer Messe Informationen über Produkte, zum Beispiel über die ersten „Cradle-to-Cradle“-Armaturen von Grohe, die am Ende ihrer Lebensdauer in den Rohstoffkreislauf zurückgeführt werden. Besucher können an digitalen Veranstaltungen teilnehmen oder erfahren in Videos von Experten, wie 3-D-Druck mit Metallen funktioniert.
Für Grohe hat die digitale Plattform Vorteile: „Wir können unsere Kunden zielgruppenspezifisch ansprechen“, sagt Sturm. Für Designer, Architekten, Endkunden, Installateure gibt es eigene Bereiche. Dazu sind mehr Sprachen möglich als auf einem Messestand. Die Plattform gibt es momentan auf Deutsch, Englisch, Französisch und Niederländisch. Die Live-Events wurden in sieben Sprachen übersetzt.
Der zweite große Vorteil: Die Seite kann schnell aktualisiert werden. „Das Tempo in der Industrie ist hoch geworden, wir bringen fortlaufend neue Produkte auf den Markt, da reicht es nicht mehr aus, sie alle zwei Jahre auf einer Messe zu präsentieren“, sagt Sturm.
Was aber hat die digitale Plattform gekostet? Billig war es nicht. „Wir haben nicht weniger, sondern eher mehr investiert als in unsere Messeauftritte in dem Zeitraum“, sagt Sturm. Rund 40 Mitarbeiter stellte man für GroheX ab. „Es war nicht immer einfach, wir sind ja kein IT-Unternehmen.“Grohe habe also viel gelernt. Hilfe kam von Partnern wie IBM für die Cloud-Technologie und von Marketing-Agenturen.
Der Aufwand hat sich aber gelohnt, ist man bei Grohe überzeugt. Das Fazit der ersten Woche: Rund 68000 Besucher aus 140 Ländern, 70000 Aufrufe für die Live-Veranstaltungen. „Wir haben über 4000 Kundentermine betreut“, sagt Sturm. „GroheX ist für uns keine Notlösung, sondern bringt uns einen Schritt nach vorne. Wir hätten den Schritt eines Tages sowieso gehen müssen, Corona hat es nur beschleunigt.“Grohe hat rund 7000 Beschäftigte und produziert in drei Ländern. Die Firma gehört seit 2014 zur japanischen Lixil-Gruppe.
Sind digitale Plattformen am Ende der Todesstoß für die klassische Messewirtschaft? So weit geht man bei Grohe nicht. „Wir denken, dass dieses und nächstes Jahr auf absehbare Zeit keine Messen in bekannter Form stattfinden können“, sagt Sturm. Mit dem Abflauen der Pandemie würden dann sicher Messen vor Ort zurückkehren. „Kunden wollen Produkte anfassen, Menschen brauchen persönliche
Kontakte, um Vertrauen aufzubauen.“Bei Grohe geht man aber davon aus, dass sich die Form der Messen ändert: „Wir denken, dass wir in Zukunft hybride Messen sehen werden, die eine Kombination zwischen physischem und digitalem Auftritt bieten“, sagt Sturm.
Fachleute sehen einen ähnlichen Trend: „Der Weg geht hin zu einer hybriden Messe-Welt“, sagt Ramona Kaden, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Industrie Kommunikation. „Es wird künftig eine Kombination aus digitalen Veranstaltungen und Foren vor Ort geben“, meint sie. „Nach der CoronaKrise wird das Thema Klimaschutz mit Blick auf die Reisetätigkeit im Fokus stehen, es gibt aber auch die Sehnsucht, Menschen zu treffen und Wettbewerber vor Ort zu sehen. Auch die Haptik der Produkte ist digital nicht abbildbar.“Viele Messestandorte, beispielsweise auch Augsburg, würden sich bereits auf die Zukunft hybrider Messen vorbereiten, sagt Kaden.
Das tut auch die Hannover Messe, die weltgrößte Industrie-Schau, die am Freitag endet und die dieses Jahr digital stattfand. Jochen Köckler,
Vorstandsvorsitzender der Deutschen Messe AG, sagt perspektivisch: „Die Messe der Zukunft ist hybrid. Auf Basis der Erfahrungen der digitalen Hannover Messe werden wir das Beste aus der digitalen und der physischen Welt künftig zusammenführen, um so für unsere Kunden ein ganzheitliches hybrides Messeerlebnis zu schaffen.“
Auf der diesjährigen Digital-Variante der Hannover Messe haben 1800 Aussteller mehr als 10 000 Produkte präsentiert. Wie sich die Messe geklickt hat, wie viele Besucher es gab, wird erst am heutigen Freitag bekannt gegeben. Man sei aber, teilt die Messe Hannover mit, „sehr zufrieden“mit der Veranstaltung. Man habe einen einstelligen Millionenbetrag aufgewendet und werde „etwas Gewinn“machen. Und: Die digitalen Messeauftritte seien fast alle „erstklassig“gewesen.
Aber geht durch das digitale Format nicht auch Atmosphäre verloren? Gemeinschaftsgefühl? Einem Team kann die Produktion digitaler Formate Spaß machen, ist GroheMarketing-Chef Sturm überzeugt. Er stand bei den Dreharbeiten für GroheX selbst vor der Kamera und im Studio – zusammen mit Kolleginnen und Kollegen. Seine Erfahrung: „Wir sind als Team noch stärker zusammengewachsen.“
Fachleute rechnen mit hybriden Messen