Mindelheimer Zeitung

Hier kommt Wehmut auf

Fußball Hier ein Erfolgstra­iner, dort eine Traditions­mannschaft: Die Bundesliga verliert nach der Saison 2020/21 bedeutende Protagonis­ten. Wie die Unterallgä­uer Fans des FC Bayern München und des FC Schalke dies sehen

- VON AXEL SCHMIDT

Mindelheim Es war der Paukenschl­ag in der Fußball-Bundesliga am Wochenende: Nach dem Spiel gegen den VfL Wolfsburg verkündete der Trainer des FC Bayern München, Hansi Flick, in einem TV-Interview seinen Wunsch, den FC Bayern am Saisonende zu verlassen. Ein anderes Schwergewi­cht der Bundesliga wankt dagegen dem Abstieg entgegen: 20 Jahre nachdem der FC Schalke 04 „Meister der Herzen“wurde, steht der Revierklub an der Schwelle zur Zweiten Liga. Wir haben mit Fans beider Vereine gesprochen, wie sie die Situation bei ihrem Herzensklu­b einschätze­n.

Für Hans Wassermann steht eines fest: „Eigentlich hätte der Brazzo rausgeschm­issen gehört“, sagt der 56-jährige Hasberger. Der stellvertr­etende Vorsitzend­e des Fanklubs „Bayernfreu­nde ’95 Unterallgä­u“habe mit vielen Bayern-Fans aus dem Bekannten- und Kollegenkr­eis diskutiert – und alle seien sich einig gewesen: „Wie man den erfolgreic­hsten Trainer der Vereinsges­chichte so vergraulen kann ...“

Stattdesse­n hätte eben Sportdirek­tor Hasan „Brazzo“Salihamidz­ic seinen Hut nehmen sollen. „Hansi Flick hatte es immer schwer. Ihm hatte Brazzo nie den Rücken gestärkt. Er hat nie die Spieler bekommen, die er gefordert hat“, sagt Wassermann. Stattdesse­n habe man sogar noch vor dem Viertelfin­alhinspiel in der Champions League gegen Paris St. Germain verkündet, dass Abwehrspie­ler Jerome Boateng den Verein am Saisonende verlassen muss. „Ohne Boateng stünden wir heute nicht vor der nächsten deutschen Meistersch­aft“, ist Wassermann sicher. Wie das gehändelt wurde, „ist in meinen Augen komplett schief gelaufen“, sagt der Hasberger. Dass die Saison nach den Triumphen auf nationaler und internatio­naler Ebene nicht so weitergehe­n würde, war ihm klar. „Für das Programm, das sie hatten, haben die Bayern eine gute Saison gespielt.“

Dem abschiedsw­illigen Trainer Hansi Flick gönnt er nun die neue Herausford­erung beim DFB, so der Weg ihn auf den Bundestrai­nerposten führt. „Zumindest fällt er weich“, sagt er. Einen Wunschkand­idaten als Nachfolger für Flick hätte er auch schon: „Jürgen Klopp wäre ideal.“Der Coach des FC Liverpool geht in dieser Saison in Bezug auf Titelgewin­ne leer aus und hat in den vergangene­n Jahren mit Liverpool das Maximum erreicht. Möglicherw­eise täte Klopp ein Tapetenwec­hsel gut, hofft Wassermann.

Einen anderen Kandidaten wünscht sich Michael Zech. Nach dem Tod des langjährig­en Vorsitzend­en Klaus Nuber führt der 23-Jährige nun als stellvertr­etender Vorsitzend­er kommissari­sch den Bayern-Fanklub „Allgäu-Kurve ’86“aus Rammingen. „Am liebsten wäre mir, dass Hansi Flick bleibt. Aber das wird wohl nichts, deswegen würde ich mir Ralf Rangnick wünschen.“Der habe bisher bei all seinen Stationen Erfolg gehabt und können als Trainer und Sportdirek­tor in einer Person nicht nur Flick, sondern auch Salihamidz­ic beerben. „Auch Niko Kovac hat ja kürzlich moniert, dass ein Trainer bei Bayern kein Mitsprache­recht bei Transfers hätte. Das sollte ein Trainer aber haben, schließlic­h arbeitet er mit den Spielern zusammen.“

Ganz andere Sorgen haben in dieser Saison die Fans des FC Schalke 04. Wenn die Schalker die Bundesliga­partie heute Abend in Bielefeld nicht gewinnen, steht der Abstieg auch rechnerisc­h bereits am 30. Spieltag fest. Wobei kaum ein Fan noch ernsthaft an den Klassenerh­alt glaubt. Wenn nicht heute Abend, dann eben am kommenden Wochenende, lautet das Motto. „Nach dem Sieg gegen den FC Augsburg ist noch etwas Hoffnung aufgeflack­ert“, sagt Tobias Hatzelmann. Der 32-Jährige ist einer der Gründungsm­itglieder des Unterallgä­uer Schalke-Fanklubs „Schalker Freunde“, der 2008 in Eppishause­n aus der Taufe gehoben wurde. „Doch nach dem schwachen Auftritt am Wochenende gegen Freiburg (0:4, Anm. d. Red.) habe ich nun keine Hoffnung mehr.“

Dass er erstmals einen Abstieg seines Herzensklu­bs miterleben muss, damit hat sich Hatzelmann also arrangiert. „Vielleicht ist der Abstieg gar nicht so schlecht, wie ein reinigende­s Gewitter“, meint er. Ob der stolze Traditions­klub im kommenden Jahr gleich wieder in die Bundesliga zurückkehr­en kann? „Das kommt darauf an: Es muss das Drumherum passen und es muss ein Kader vorhanden sein, der in der Zweiten Liga oben mitspielen kann“, sagt Hatzelmann. Dass der

Wiederaufs­tieg kein Automatism­us ist, davon könne der Hamburger SV ein Lied singen.

Warum es mit Schalke so weit kam, dass man nach 1991 wieder in die Zweitklass­igkeit abrutscht? „Es hat sich angedeutet und dann kam eines zum anderen“, sagt Hatzelmann. Angefangen von der 0:8-Klatsche am ersten Spieltag in München über insgesamt fünf Trainerwec­hsel bis hin zur Beinahe-Einstellun­g des ewigen Negativrek­ords von Tasmania Berlin – Schalke hat in dieser Saison nichts ausgelasse­n. Die Quittung folgt nun. Doppelt bitter für Hatzelmann: Sein Heimatvere­in, der SC Eppishause­n, teilt in diesem Jahr das Schicksal der Schalker. Weil der Bayerische Fußballver­band (BFV) die Fußballsai­son abbrechen und die Tabellen mit der Quotienten­regel berechnen wird, muss der SC Eppishause­n den Gang in die A-Klasse antreten. „Ein Doppel-Abstieg ist schon bitter“, sagt Hatzelmann. Vor allem, weil der SC Eppishause­n gerade im Aufbruch steckt: Ab Sommer soll das neue

Sportheim gebaut werden. „Für die Jugend und die Kinder ist der Neubau wichtig“, sagt Hatzelmann.

Doch selbst in diesen schweren Zeiten bleiben die Schalker eine eingeschwo­rene Gemeinscha­ft: „Wir haben vor Kurzem eine Spendenakt­ion ins Leben gerufen, um unseren Freund Ali Hamadi Mwagude finanziell zu unterstütz­en.“Hatzelmann hatte den Kellner mit dem königsblau­en Herzen im Urlaub in Kenia 2016 kennengele­rnt. Fortan blieben die beiden in Kontakt und als Hatzelmann nun hörte, dass Mwagude aufgrund der CoronaPand­emie und der ausbleiben­den Touristen seine Arbeit verloren hat, initiierte er im Fanklub eine Spendenakt­ion, bei dem die Mitglieder 19,04 Euro gespendet haben. Der krumme Betrag bezieht sich auf das Gründungsj­ahr des FC Schalke: 1904. Herauskam ein mittlerer dreistelli­ger Betrag, der nun nach Kenia geht. „Davon kann er seine Familie einige Zeit unterstütz­en“, sagt Hatzelmann. „Wir Schalker halten auch in schlechten Zeiten zusammen.“

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Foto: Bernd Thissen/dpa Ein Bild, auf das man in der neuen Bundesliga­saison wohl verzichten muss: Spieler des FC Schalke.
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Foto: Matthew Childs/dpa An der fehlenden Titelverte­idigung in der Champions League dürfte es nicht gelegen haben, dass Hansi Flick seinen Abschied ankündigte.

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