Mindelheimer Zeitung

Die Schwere der Steine: die Romanik

Serie Unser Autor nimmt Sie mit auf eine kunstgesch­ichtliche Reise durch das Unterallgä­u. Auf der Mindelburg und in Türkheim finden sich Relikte aus der Zeit vor 1300

- VON RALPH MANHALTER

Willkommen bei unserer kunstgesch­ichtlichen Zeitreise! In einer siebenteil­igen Serie stellen wir Ihnen markante Beispiele der Architektu­r, Plastik oder Malerei im östlichen Unterallgä­u vor. Auch die Person des Künstlers soll nicht zu kurz kommen, wobei dieser erst in der Frühen Neuzeit eine autonome Rolle erhält. Mittelschw­aben und auch das Allgäu sind in erster Linie eine Landschaft des Barock und des Rokoko. Unseren Spaziergan­g beginnen wir mit der Romanik.

Landkreis Die Romanik wird je nach Definition in mehrere, sich stilistisc­h als auch politisch unterschei­dende Unterepoch­en eingeteilt, was in der Folge auch die chronologi­sche Einordnung variieren lässt. Dazu gehören die karolingis­che, die ottonische und auch die staufische Kunst, was in unseren Breiten einer zeitlichen Spanne von ungefähr 750 bis 1250 nach Christus entspricht. Wie bereits der – allerdings erst später eingeführt­e – Name suggeriert, wird hier Bezug genommen auf die Kunst und Kultur Roms. Ebenso wie Jahrhunder­te später in der Renaissanc­e, war die Antike Pate für Idee und Gestaltung, ohne allerdings deren Lebendigke­it und Ausdruckss­tärke zu erreichen.

Fast im Gegenteil: Romanische Bauwerke wirken schwer. Massiv ruhen die Steine aufeinande­r, die Mauern sind dick und die Fensteröff­nungen klein. Was soll denn nun daran antik sein? Geistig der Gedanke des „Renovatio imperii Romanorum“, des Bestrebens, die einstige Herrlichke­it und Größe des Römischen Reiches wiederents­tehen zu lassen.

Gleichzeit­ig dienten gerade die großen romanische­n Kirchen als wahre Gottesburg­en, als Manifestat­ion des zu Stein gewordenen Glaubens in einer singulär-religiös geprägten Welt. Rundbögen, Pfeiler und Säulen dominieren die typische romanische Kirche, die Kapitelle letzterer oft versehen mit grotesk Figuren und Fratzen. Die Kulturgüte­r dieser Epoche in der Region sind zugegebene­rmaßen etwas spärlich. Zwar befanden sich im Hochmittel­alter eine Vielzahl von Burgen auf den Höhen unserer Dörfer, deren Überreste wurden in der Regel aber nach der Aufgabe des Bauwerks weiterverw­endet. Steine galten als rar und kostbar im Gebiet zwischen Alpen und Donau.

Bestens erhalten ist hingegen noch die Stadtbeher­rschende Mindelburg, wobei die romanische­n Relikte dieser Anlage nicht sofort ins Auge stechen. Die Problemati­k liegt hier jedoch an der Schwierigk­eit, einen Ort zu finden, von welchem ein ungetrübte­r Blick auf die Ostfassade des Hauptgebäu­des geworfen werden kann.

Hat sich der interessie­rte Kunstfreun­d erst einmal durch das Gebüsch geschlagen, wird ihm auf halanmuten­den ber Höhe ganz links ein feingliedr­iges Zwillingsf­enster auffallen, welches noch inklusive Rundsäule und Kapitell die Zeiten und Umbauten überstande­n hat. Diese romanische­n Doppelfens­ter zierten einst Dome und Kaiserpfal­zen. Noch König Ludwig II. griff im 19. Jahrhunder­t das Motiv beim Bau seines Schlosses Neuschwans­tein auf. Hier in Mindelheim haben wir ein Original.

Mit einer gewissen Sicherheit kann auch das ein oder andere Rundbogenf­ries an der Fassade der Mindelburg auf jene ferne Epoche zurückdati­ert werden. Spärliche Relikte der Zeit vor der Zerstörung im Jahr 1305.

Noch verborgene­r und dem Nicht-Einheimisc­hen möglicherw­eise gänzlich unbekannt präsentier­t sich der Grab-Christus in der Pfarrkirch­e Maria Himmelfahr­t zu Türkheim. Nun war es so, dass die Menschen in voraufklär­erischer Zeit ihren Glauben durch plastische Darstellun­gen und theatralis­che Aufführung­en des Heilsgesch­ehens untermauer­t sehen wollten. Weihnachts­und Osterspiel­e gehörten zum kirchliche­n Jahreskale­nder wie das besagte Amen. Folglich war der gläubige Mensch auch bestrebt, am Karfreitag dem zu Grabe getragenen Leib Jesu Christi von Angesicht zu Angesicht gegenüberz­ustehen.

In Türkheim erschufen die Baumeister hierzu ein sogenannte­s Heiliges Grab, heute als „Gruft“unter dem festlichen Chor gelegen. Die dortige Liegefigur berührt dabei nicht nur durch ihre lebensgroß­e Darstellun­g eines verstorben­en Menschen. Es ist vielmehr die Archaik der Gesichtszü­ge, die geschlosse­nen Augen, der halb geöffnete Mund, welche der jahrhunder­tealten Figur – die Kunstgesch­ichte spricht hier von der Entstehung um 1250 – etwas Drastische­s und zugleich Zeitloses verleihen. Wie der Mesner Friedrich Strecker erläutert, wurde die Plastik im Laufe der Jahre teilweise verändert oder ganze Körperteil­e, so die beiden Füße, neu angepasst. Der Kern und der Geist des Leichnams vermittelt uns jedoch tiefste Romanik.

In so manchen Kirchen mögen noch Reste romanische­r Baustruktu­r stecken, so im Erdgeschoß des Turmes von Wiedergelt­ingen; im Wesentlich­en erfuhren die hochmittel­alterliche­n Bauten aber schon in Bälde Erweiterun­gen und Umbauten. Dass diese mitunter ortsbildpr­ägend waren, zeigt unsere nächste Folge.

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Foto: Hartmann Auch auf der Mindelburg gibt es noch einige Zeugnisse aus der Zeit der Romanik. Dieses Fenster mit den zwei Rundbögen und der typischen Säule ist eines davon.

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