Meisterliches Multitalent
MZSportskanone Aktuell finden die Olympischen Sommerspiele in Tokio statt. Auch Nicole Mörstedt wird vor dem Fernseher sitzen und „ihre“Disziplinen verfolgen. Das sind einige
Mindelheim Warm und sonnig ist es an diesem Abend im Mindelheimer Julius-Strohmayer-Stadion. Während auf den Fußballplätzen rund um das Stadion Nachwuchskicker ihr Training abhalten, hat eine Gruppe Sportler das Stadion ganz für sich: die Leichtathleten.
Während die Jüngeren von ihnen unter der Leitung von Bernhard Ruf auf der renovierungsbedürftigen Laufbahn ihre Runden drehen, trainieren die Größeren mit Kathrin Mörstedt die Kunst des Hochsprungs. Eine, die es ganz gut kann, ist Nicole Mörstedt. Die 15-Jährige ist ein vielseitiges Talent – und stellte das kürzlich einmal mehr unter Beweis. Bei den schwäbischen Blockmeisterschaften in Friedberg – praktisch dem Mehrkampf – gewann Nicole Mörstedt ihre Altersklasse W16 souverän. Ihre Punktzahl war zugleich die bayerische Jahresbestleistung im Mehrkampf. Die 2644 Punkte bedeuteten zugleich Allgäuer und Schwäbischer Rekord, wie ihre Mutter Kathrin Mörstedt, selbst immer noch aktive Leichtathletin beim TSV Mindelheim, stolz berichtet.
Die junge Mindelheimerin, die Wettkämpfen für den TV Immenstadt an den Start geht, besucht die neunte Klasse des MaristenGymnasiums. Mit neun Jahren hat sie mit der Leichtathletik angefangen – und sich seitdem zu einem echten Multitalent entwickelt. Blickt man in die Siegerliste bei den Blockmeisterschaften, dann endete nur einer der fünf Wettkämpfe damit, dass nicht Nicole Mörstedt auf Platz eins oder zwei stand: Über die 80 Meter Hürden war sie mit ihrer Zeit von 13,22 Sekunden Vierte. Im Weitsprung (5,27 Meter) und Speerwurf (36,49 Meter) war sie von der siebenköpfigen Konkurrenz nicht zu schlagen. Beim Sprint über 100 Meter (13,70 Sekunden) und beim Hochsprung (1,48 Meter) war sie jeweils Zweitbeste. „Ich habe schon noch Luft nach oben“, sagt Mörstedt.
Schließlich kann sie erst seit ein paar Wochen wieder regelmäßig trainieren. Wegen der Corona-Pandemie und den Einschränkungen war Training nicht erlaubt. Und einen Platz im bayerischen Landeskader, über den Sporttalente dennoch trainieren durften, hat sie nicht. Die schwäbische Meisterschaft war demnach schon eine Art Bestätigung: „Ich habe gesehen: Ich kann es noch“, sagt die 15-Jährige.
Drei Mal pro Woche trainiert sie derzeit. Einmal in Augsburg Speerwurf, zweimal in Mindelheim mit der Leichtathletikgruppe. Sie ist die einzige Athletin aus Mindelheim, die auch an Wettkämpfen teilnimmt. Und das im Trikot eines anderen Vereins. Warum startet sie für den TV Immenstadt? „Dort gibt es einige gleichaltrige Leichtathleten. Mit denen kann ich im Staffellauf teilnehmen“, sagt sie.
Doch in erster Linie will sie sich weiter steigern. Der Speerwurf ist dabei ihre Lieblingsdisziplin. Hier verfolgt sie ein ehrgeiziges Ziel: Sie will, wie auch im Hochsprung, irgendwann einmal ihre Mutter übertrumpfen. „Es fehlt schon noch etwas, aber ihre letztjährige Bestleistung habe ich im Speerwurf bereits geschlagen“, sagt sie.
Wenn nun die Olympischen Spiele in Tokio stattfinden, wird Nicole Mörstedt auch die eine oder andere Stunde vor dem Fernseher verbrinbei gen. „Ich schaue mir die Sportarten an, die ich selber mache“, sagt sie. Weit- und Hochsprung also, oder Speerwurf. Ob sie sich bei den Profis technische Details abschauen kann? „Eher nicht“, sagt sie lächelnd. Keine Tricks, wie man seinen Anlauf perfektioniert, oder die Kraft möglichst perfekt auf den Speer überträgt? „So etwas kriege ich nicht hin. Ich muss es selber versuchen“, sagt sie.
Bisher gelingt das offensichtlich ganz gut. Als nächstes großes Event stehen am Wochenende die bayerischen Meisterschaften an. Und dann? „Die deutsche Meisterschaft wäre schon einmal ein Traum. Die Norm dafür hätte ich heuer sogar erfüllt. Aber es werden nur die besten 20 eingeladen“, sagt Mörstedt. Ob sie in diesem Jahr dazugehört, kann sie schwer einschätzen. Zwar verfolgt sie ab und zu im Internet die Ergebnisse der Konkurrenz. Doch sie will sich auch nicht verrückt machen oder zu sehr unter Druck setzen. Ähnlich wie beim langen Warten auf ein Ende des Lockdowns wird Nicole Mörstedt geduldig weiter trainieren. Bis sie irgendwann die Qualifikation in der Tasche hat – oder wenigstens ihre Mutter überflügelt hat.
„Ich habe schon noch Luft nach oben.“
Nicole Mörstedt