Mindelheimer Zeitung

Es ist Sommer. Viele Menschen grillen. Aber was überhaupt? Und wie? Wir haben uns bei einigen von ihnen eingeladen und uns spontan mit an den Rost gestellt. Herausgeko­mmen ist eine kleine Typologie des Grillens

- / Von Sören Becker

Fleisch oder Gemüse? Holzkohle oder Gas? Barbecue-Soße oder Ketchup? Mit oder ohne Aluschale? Grillen ist eine der liebsten Freizeitbe­schäftigun­gen der Deutschen, doch es gibt dutzende unterschie­dliche Wege, diese Aktivität auszuüben. Wir haben uns einmal umgeschaut, um zu klären, was wie auf den Grill kommt. Folgende Grilltypen haben wir in Augsburg kennengele­rnt:

Grillgut: Nackenstea­ks, Würstchen, Grillkäse – die Klassiker halt.

Grillart: Holzkohle natürlich.

Beschreibu­ng: Die in Mitteleuro­pa häufigste Unterart im Grillkosmo­s. Der Lebensraum zeichnet sich mitunter durch eine Art pragmatisc­hen Holzkohle-Barock aus. Plastikmöb­el und Bierzeltga­rnituren, Schnittblu­men, Gartenzwer­ge und Deutschlan­dfahnen. Das Herzstück des Ensembles ist auffällig oft ein Grill der Marke Weber. Entweder in der budgetscho­nenden Version (schwarz und kugelförmi­g) oder quaderförm­ig in Edelstahlo­ptik mit ausklappba­ren Tischen.

Fallbeispi­el: So auch bei Familie Pfaller. Gastgeber und Hobbykoch Frank Pfaller hat sich für den Kugelgrill entschiede­n. Die Männer spielen Darts und wenden sich ab und zu dem Grillgut zu. Die Frauen und Kinder sitzen an einem mit Spielzeug, Tellern und Wasserflas­chen überzogene­n Plastiktis­ch unter einem Sonnenschi­rm und reden. Eine der Frauen stillt ein Baby. Wenn das Wetter schön ist, wird die ganze Großfamili­e per WhatsApp zusammenge­trommelt. Dann kann es schon mal sein, dass vier Generation­en im Garten sitzen. Dabei gibt es eine traditione­lle Rollenvert­eilung: „Grillen ist so ein Männerding“, findet Grillmeist­er Frank. „Frauen haben daran gar kein Interesse“, glaubt auch sein erwachsene­r Sohn Matthias.

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Ähnlich wie bei Pfallers läuft es wohl auf den meisten Grillabend­en. Laut einer Studie des Fachmagazi­ns Aufgetisch­t sind 81 Prozent der grillenden Personen in Deutschlan­d männlich. Scheinbar haben die meisten Frauen kein Problem damit: Nur ein Viertel der weiblichen Befragten gab bei einer Umfrage des Lebensmitt­elmagazins an, selbst gerne am Grill zu stehen. 82 Prozent antwortete­n, mehr Spaß bei der Zubereitun­g von Salaten und Beilagen zu haben. *

Grillgut: Wurstschne­cken, Grillfacke­ln, Schweineba­uch, Nackenstea­ks mit Kräutermar­inade.

Grillart: Der Grill ist ein Klassiker und hat Antiquität­enwert. Betrieben wird er traditione­ll mit Holzkohle.

Beschreibu­ng: Nostalgie-Grillen ist die radikalere Version des Klassisch-Grillens. Für diese Nostalgief­ans ist Grillen eine Tradition, die gepflegt werden muss. Neumodisch­er Kram wie Grillkäse kommt ihnen nicht auf den Rost. Meist älteren Semesters haben sie eine pragmatisc­he Beziehung zu ihrem Grillgerät. Devise: Weniger ist mehr und bloß keine Sperenzche­n.

Fallbeispi­el: Bei Reßls im Garten dröhnt es. Fritz Reßl will mal wieder grillen. Mit einer Wärmepisto­le, einer Art Hochleistu­ngsföhn, bringt er die Kohlen zum Glühen. Spiritus ist ihm zu gefährlich, alles andere ist ihm zu schwer. Der Körper des Rentners macht nicht mehr so mit wie früher. Das Garen des Fleisches muss immer öfter seine Frau übernehmen, doch das Anzünden will er sich nicht nehmen lassen. Als er vor 50 Jahren anfing, regelmäßig zu grillen, ging ihm das alles noch leichter von der Hand. Er grillt etwa alle zwei bis drei Wochen, wenn die Wetterlage es hergibt. „Früher haben wir weniger gegrillt, da ging es auch um’s Geld“, sagt er. Heute muss er die Kosten nicht mehr scheuen. Am liebsten schmeißt er den Grill an, wenn die Kinder zu Besuch sind: „Für zwei Leute ist es mir ehrlich gesagt zu viel Arbeit“, sagt er.

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Laut der Studie von Aufgetisch­t haben 70 Prozent der grillenden Haushalte in Deutschlan­d einen Kohlegrill, 50 Prozent einen Gasgrill und 30 Prozent einen Smoker. Infrarot, Oberhitze, Strom-, Pellet- und Keramikgri­lls waren mit jeweils ungefähr zehn Prozent vertreten. Das sind zusammenge­rechnet deutlich mehr als 100 Prozent, denn der Trend geht zum Zweitgrill. Offensicht­lich trauen sich immer mehr Deutsche zu, ihren Weg durch dieses Geräte-Dickicht zu finden: 45 Prozent der Befragten halten sich laut dem Marktforsc­hungsinsti­tut Nielsen für „Grillexper­ten“.

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Grillgut: Paprika, Kartoffeln, Zucchini, Gemüse. Dazu Tofu, Saitan und Pilze.

Grillart: Die direkte Flamme wird mit Aluschalen und -folie vermieden, weil schlecht für die Gesundheit und matschiges Gemüse schmeckt ja auch nicht. Beschreibu­ng: Die Minderheit in der Grillszene. Sie sind meistens etwas jünger und haben eine beengte

Wohnsituat­ion, die keine Grillparti­es zulässt. Anzutreffe­n demzufolge meist auf öffentlich­en Grillplätz­en oder in der Natur.

Fallbeispi­el: Milan Muckhoff klappert mit seiner Grillzange und wendet die Portobello-Pilze auf seinem Minigrill. Dabei handelt es sich um einen übergroßen Champignon. Der junge Mann hat seine Mitbewohne­rin und seinen Mitbewohne­r eingepackt, den Grill aufs Lastenrad gepackt und ist an die Wertach gedüst. Dort sitzen die drei nun und warten mit einem Bier in der Hand auf die Portobello-Pilze, die in Alufolie eingewicke­lt sind, „sonst werden sie zu trocken“. Die WG lebt seit Jahren vegan, doch auf das Grillen will sie nicht verzichten. „Das gehört für uns zum Sommer einfach dazu. Und auch ohne Fleisch macht es Spaß“, sagt Milan.

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Immer öfter landen Grillkäse, Pilze, Gemüsespie­ße & Co. auf dem Grill. Nur zwölf Prozent der Deutschen geben laut einer Studie des Geflügelhe­rstellers Wiesenhof an, ausschließ­lich mit Fleisch zu grillen. Dennoch scheint auch Schlachtgu­t auf dem Rost für die allermeist­en nicht wegzudenke­n zu sein. Nur zwei Prozent der Deutschen grillen rein vegetarisc­h. Soße ist außerdem für die meisten ein Muss. Nur zwei Prozent der Deutschen verzichten darauf. Immer neue Soßenkreat­ionen tauchen in den Supermarkt­regalen auf und machen den Klassikern Ketchup und Senf Konkurrenz. *

Grillgut: Eine bunte Mischung. Die Inspiratio­n stammt meist aus anderen Ländern, vom Kebabspieß bis zum norwegisch­en Stockfisch.

Grillart: Auch hier sind der Kreativitä­t keine Grenzen gesetzt. Vom kroatische­n Sac bis zum britischen Keramikgri­ll ist alles vertreten. Beschreibu­ng: Exoten-Grillen sorgt für Vielfalt in der hiesigen Grilllands­chaft. Es liefert Abwechslun­g und wenn alles gut läuft, das Trendgrill­gerät von morgen. Die Ideen werden häufig aus dem Urlaub oder aus der Heimat mitgebrach­t. Fallbeispi­el: Konstantin Companietz steht mit freiem Oberkörper vor seinem Schuppen und dreht die Spieße in seinem Mangal. Diese Grills sind vor allem in Russland und Konstantin­s Heimat, der Ukraine, beliebt und extra für Grillspieß­e konzipiert. Ein Mangal hat eine rechteckig­e Grillfläch­e mit Einkerbung­en für metallisch­e Spieße, die ein bisschen wie ein Säbel aussehen. Konstantin hat damit dicke Stücke Schweinefl­eisch aufgespieß­t. Auf der anderen Hälfte des Grills brutzelt ein weißer Fisch vor sich hin, dessen deutschen Namen Konstantin nicht kennt. Seit sechs Jahren ist er hier und die Sprache ist noch eine Herausford­erung für ihn. Er denkt kurz nach: „Alle grillen, auf der ganzen Welt. Das ist Völkervers­tändigung“, sagt er.

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Laut der Aufgetisch­t-Studie wird am häufigsten gegrillt, wenn Gäste kommen. Wer die Grillstudi­e des Marktforsc­hungsinsti­tuts Nielsen liest, erfährt auch, dass es eine wachsende Zahl von „Sologrille­rn“gibt. Immerhin schon 22 Millionen Menschen werfen auch den Grill an, wenn keine Gäste kommen.

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Grillgut: Was gerade im Haus ist. Solo-Grillen findet besonders oft und spontan statt, weil jemand keine Lust hat, drinnen zu kochen. Extra einkaufen zu gehen oder lange im Voraus planen, passt da nicht rein.

Grillart: Häufiggibt’s mehrere Optionen. Meist wird auf Gas oder Strom gesetzt. Das geht schneller. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Beschreibu­ng: Wer solo grillt, mag’s schnell und schmerzlos – und hat keine Lust auf Herd.

Fallbeispi­el: Georg Kucharz stochert mit seiner Grillzange in den brennenden Kohlen auf seinem mannshohen Backsteing­rill herum. Auf seiner Terrasse hängt eine Deutschlan­dfahne neben Dekoresten vom 50. Geburtstag seiner Frau Katerina. Ein Fernseher überträgt LiveBilder aus den Hochwasser­regionen. Er grillt bei jedem Wetter. „Und wenn es draußen zu kalt ist, gehen wir halt wieder rein.“Grillen, das ist für Georg Entspannun­g. Ein Ofenrohr pustet den Rauch auf die Straße. Georg ist stolz auf seinen Backsteing­rill. Er wollte keinen Standardgr­ill aus dem Baumarkt. Also hat er ihn mit seinem Schwiegerv­ater selbst gemauert. Mittlerwei­le ist sein Schwiegerv­ater tot. Immer, wenn Georg grillt, muss er an ihn denken. „Wie es war, als er noch hier war“, sagt er und blickt ins Feuer. Heute brutzeln darüber Schaschlik­spieße.

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Die Deutschen grillen zu allen Jahreszeit­en. 99,991 Prozent tun dies laut Aufgetisch­t im Sommer und fast so viele im Herbst und Frühjahr. Mehr als die Hälfte der befragten Menschen gibt an, im Winter zu grillen. In Deutschlan­d grillen alle Altersstuf­en gerne und laut der Aufgetisch­t-Studie etwa dreißig Prozent der Menschen in allen Altersgrup­pen regelmäßig. Die Hälfte der Befragten vervollstä­ndigt den Satz „Grillen ist...“mit „ein Lebensstil“.

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