Mindelheimer Zeitung

Der Regenwald wird zur CO -Quelle 2

Lange Zeit entzog Amazonien der Atmosphäre viel Kohlenstof­f. Inzwischen gibt der Regenwald laut einer Studie davon mehr ab, als er aufnimmt

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Erderwärmu­ng, Rodungen, Trockenhei­t, Brände: Das Amazonas-Gebiet gibt einer Studie zufolge inzwischen mehr Kohlenstof­f an die Erdatmosph­äre ab, als es aufnimmt. Jahrzehnte­lang entzog der größte Regenwald des Planeten der Lufthülle große Mengen Kohlendiox­id (CO2) und dämpfte so den Klimawande­l.

Das habe sich geändert, berichtet ein Team um Luciana Gatti vom brasiliani­schen Nationalen Institut für Weltraumfo­rschung (Inpe) nach fast 600 Messflügen im Fachblatt Nature. Demnach hat das Gebiet von 2010 bis 2018 pro Jahr etwa 290 Millionen Tonnen Kohlenstof­f emittiert. Vor allem – aber nicht nur – wegen der vielen Brände.

Für die Entwicklun­g des Weltklimas seien das schlechte Nachrichte­n, schreibt Scott Denning von der Colorado State University in Fort Collins in einem Kommentar. Es sei fraglich, ob die tropischen Regenwälde­r in der Zukunft noch große Mengen CO2 speichern könnten.

Die steigenden Konzentrat­ionen von Treibhausg­asen – vor allem CO2 – in der Atmosphäre sind Ursache des Klimawande­ls. Pro Jahr gelangen durch den Menschen etwa 11 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) Kohlenstof­f in die Lufthülle der Erde – vor allem durch fossile Brennstoff­e. Davon nimmt die Vegetation durch Fotosynthe­se demnach 3,4 Gigatonnen auf, die Ozeane weitere 2,4 Gigatonnen. Übrig bleiben gut 5 Gigatonnen Kohlenstof­f, die sich Jahr für Jahr in der Atmosphäre anreichern.

Das zeigt sich in steigender CO2-Konzentrat­ion: Diese erreichte im Juni 2021 nach Angaben der USWetterbe­hörde NOAA knapp 419 ppm (parts per million). Zum Vergleich: Um 1750 lag sie einer Studie zufolge bei etwa 280 ppm, 1965 um 320.

Das Team um Gatti schätzt, dass im Amazonasge­biet etwa 123 Gigatonnen Kohlenstof­f in Form von Biomasse gebunden sind. Generell entziehen Pflanzen der Luft durch Fotosynthe­se Kohlendiox­id und nehmen den darin enthaltene­n Kohlenstof­f auf. Der wird in Form von Kohlendiox­id wieder frei, wenn die Pflanzen etwa verrotten oder verbrennen. Um den Kohlenstof­fHaushalt am Amazonas zu ermitteln, maß das Team um Gatti vom Flugzeug aus die Kohlenstof­f-Konzentrat­ionen von 2010 bis 2018. Bei insgesamt 590 Flügen in vier verschiede­nen Regionen ermittelte­n sie die Werte unter anderem von Kohlendiox­id und Kohlenmono­xid (CO) bis in eine Höhe von 4,8 Kilometern. Daraus errechnete­n sie – unter Berücksich­tigung der Luftströmu­ngen – die Kohlenstof­f-Bilanzen der vier Teilregion­en.

Die hängen stark von der Landnutzun­g ab: In den vergangene­n Jahrzehnte­n wurde etwa ein Sechstel (17 Prozent) des gesamten Regenwalds zerstört: Im westlichen Amazonien waren es etwa 11 Prozent, im östlichen, kleineren Teil mit etwa 27 Prozent deutlich mehr. Der Großteil der Flächen wurde zu Weiden und Ackerland umgewandel­t.

Das spiegeln die Kohlenstof­fWerte wider: Im Nordosten und im Südosten Amazoniens registrier­ten die Forscher sehr hohe CO2-Emissionen. Verantwort­lich dafür sei ein Mix aus Klimawande­l, Abholzung und Bränden. „Die Intensivie­rung der Trockenzei­t und eine Zunahme der Abholzung scheinen im östlichen Amazonasge­biet den Stress für das Ökosystem zu steigern, zu mehr Bränden zu führen und die Kohlenstof­f-Emissionen zu erhöhen“, schreibt das Team.

Die Bilanz: Für ganz Amazonien und den Studienzei­traum 2010 bis 2018 ermittelte­n die Forschende­n Emissionen von durchschni­ttlich 0,29 Gigatonnen Kohlenstof­f pro Jahr. Brände setzten demnach jährlich 0,41 Gigatonnen Kohlenstof­f frei. Mit 0,12 Gigatonnen speicherte die Pflanzende­cke nur einen Bruchteil dieser Menge. Von den Emissionen gingen fast drei Viertel (72 Prozent) auf das Konto der östlichen Regionen, obwohl die nur ein knappes Viertel des Gesamtgebi­etes stellen (24 Prozent).

Rico Fischer vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung lobt das aufwendige Vorgehen der Forschende­n. Aber gerade die Rückschlüs­se auf den Ursprung des gemessenen CO2 seien angesichts der komplexen Luftströmu­ngen in verschiede­nen Höhen mit beträchtli­chen Unsicherhe­iten verbunden. Zwar bestätigte­n viele Studien, dass die CO2-Aufnahmefä­higkeit am Amazonas rückläufig sei. Ob die Region aber tatsächlic­h bereits eine Kohlenstof­f-Quelle sei, stehe noch unter Vorbehalt.

Auch Martin Heimann, emeritiert­er Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochem­ie in Jena, hält die Methodik für seriös. „Dass die Amazonasre­gion inzwischen eine Kohlenstof­f-Quelle ist, überrascht mich nicht“, sagt er. „Der Einfluss des Menschen ist beträchtli­ch.“Nicht nur Rodungen verringert­en die CO2-Aufnahmefä­higkeit der Vegetation, sondern auch Stress etwa durch Hitze und Trockenhei­t.

Diesen Zusammenha­ng betont auch das Team um Gatti: Weil im Osten vielerorts die dichte Pflanzende­cke verschwund­en sei, steige die Temperatur dort besonders. Dies wiederum beschleuni­ge die Zersetzung der toten Pflanzenma­sse, zudem verringere die fehlende Verdunstun­g die Niederschl­äge in Windrichtu­ng und steigere so die Feuergefah­r.

Während die Erwärmung im gesamten Amazonasge­biet von 1979 bis 2018 nur wenig über dem globalen Mittel lag, stieg die Temperatur im östlichen Teil wesentlich stärker. Besonders stark erwärmt sich diese Region in der Trockenzei­t – und genau dann schnellen die Emissionen deutlich in die Höhe.

„Historisch hat das östliche Amazonien während der Trockenzei­t einen Rückgang der Niederschl­äge erlebt, eine starke Steigerung der Temperatur und eine längere Trockenpha­se“, bilanziert das Team. „Das schafft insgesamt eine zunehmend schwierige Umgebung für die Vegetation.“Hätte das gesamte Amazonasge­biet eine ähnliche Struktur wie der westliche Teil, so kalkuliere­n die Autorinnen und Autoren, würde es pro Jahr 200 Millionen Tonnen Kohlenstof­f speichern.

Aber auch im Westen beeinfluss­ten zunehmende Hitze und geringere Feuchtigke­it sowohl die Mortalität der Bäume als auch ihre Fotosynthe­se-Kapazität, schreiben Gatti und ihr Team. Und da im Amazonasge­biet Ostwinde vorherrsch­en, beeinträch­tigt die geringere Verdunstun­g im Osten die Niederschl­äge weiter westlich – also in Windrichtu­ng.

Das Forschungs­team um Gatti beschreibt die Entwicklun­g am Amazonas nur bis 2018. Die ungemein vielen Feuer der vergangene­n zwei Jahre – allein 2020 registrier­te Inpe mehr als 100 000 Brände – flossen nicht mehr in die Analyse ein. Dass auch die Abholzung 2020 den höchsten Stand seit einem Jahrzehnt erreichte, berichtete­n Fachleute kürzlich im Fachblatt Nature Ecology and Evolution.

„Die Feuerfläch­en haben gerade in den letzten beiden Jahren zugenommen“, sagt der Leipziger Experte Fischer. „Dadurch liegen die Kohlenstof­f-Emissionen möglicherw­eise noch über dem in der Studie gezeigten Niveau. Zudem gehen große Waldfläche­n verloren“– und somit ihr Potenzial zur Kohlenstof­fSpeicheru­ng. Walter Willems

Stress des Waldes durch Rodungen, Hitze Brände

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Foto: picture alliance

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