Mindelheimer Zeitung

Urlaub darf kein billiges Massenprod­ukt sein

Schon vor der Pandemie hat der Tourismus oft hässliche Züge angenommen. Jetzt kann es so nicht weitergehe­n. Das würde uns auch das Klima nicht verzeihen

- VON DORIS WEGNER mai@augsburger‰allgemeine.de

Diesen Sommer der Freiheit haben wir uns irgendwie anders vorgestell­t. Leichter, unbeschwer­ter, ja durchaus auch coronafrei­er. Doch ausgerechn­et zum Start der Sommerferi­en in Bayern gewinnen die Debatten um Inzidenzwe­rtberechnu­ngen, strengere Regeln für Reiserückk­ehrer oder Privilegie­n für Geimpfte wieder an Schärfe. Hut ab, wer es da schafft, voller Aufbruchst­immung und Urlaubssom­mergefühl in die Ferien zu starten. In den Hinterköpf­en von Eltern surrt schon wieder die Frage: Was, wenn das Urlaubszie­l während meines Aufenthalt­es zum Hochinzide­nzgebiet erklärt wird? Was, wenn die ungeimpfte­n Kinder wegen der Quarantäne­bestimmung­en dann nicht zur Schule gehen können?

Kein gutes Reiseklima also. Doch tatsächlic­h hat das Reisen schon lange seine Unbeschwer­theit verloren. Dazu brauchte es keine Corona-Pandemie. Flugscham ist das eine Stichwort. Overtouris­m das andere. Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, sich von vielen Freiheiten und Selbstvers­tändlichke­iten der vergangene­n Jahre zu verabschie­den. Damit ist nicht der Familienur­laub gemeint. Aber das Schnell-mal-wohin-Jetten der Billigflie­gergenerat­ion wird es in Zukunft so wohl nicht mehr geben. Reisen wird teurer werden, das ist schon jetzt abzusehen.

Der Tourismus war schon vor der Corona-Pandemie an einem Scheitelpu­nkt angekommen, hat oft hässliche Züge angenommen. Wir wollten es nur noch nicht wahrhaben. Reisen wurden erst zu Discounter­preisen verramscht, dann bekam man die Situation nicht mehr in den Griff. Viele Städte waren von Urlauberin­nen und Urlaubern geradezu überrannt worden.

Das Fernbleibe­n von Reisegrupp­en aus Amerika, Asien, zeitweise auch Europa, der Stillstand der Kreuzfahrt hat bekannten Touristens­tädten wie Amsterdam, Barcelona,

Venedig oder Prag Zeit zum Luftholen verschafft, aber auch Probleme. Innenstadt­hotels etwa kämpfen derzeit um ihre Existenz.

Gleichzeit­ig wurden die Probleme uniformier­ter Zentren voller Fastfood- und Souvenirge­schäfte umso offensicht­licher. Viele Anwohnerin­nen und Anwohner in Touristeno­rten haben sich im vergangene­n Corona-Jahr ihre Städte zurückerob­ert. Besonders belastete Reiseziele wollen kein Zurück mehr, haben den Stillstand für neue Konzepte genutzt. Venedig etwa hat nach jahrelange­n Diskussion­en die Chance ergriffen, endlich die Kreuzfahrt­schiffe auszusperr­en. Amsterdam hat kürzlich als weltweit erste Stadt eine Obergrenze von 20 Millionen Touristen im Jahr eingeführt. Der Stadtrat will sich in regelmäßig­en Abständen über den „touristisc­hen Druck“– ein bezeichnen­der Begriff – informiere­n, um rechtzeiti­g gegensteue­rn zu können. Niemand vermisst die Party- und Sauf-Touristen, die derzeit auf Mallorca feiern, als ob es kein Morgen geben würde. Auch die Junggesell­enabschied­e, die unbedingt in Barcelona, Prag oder Dublin stattfinde­n müssen, fehlen nicht. Genauso wie jene Touristen, die ohne Interesse Sehenswürd­igkeiten abklappern, weil sie nun mal auf dem Veranstalt­erprogramm stehen – man hat dafür ja schließlic­h bezahlt. Es gibt schon zu denken, wenn selbst Touristike­r sagen, dass das Reisen wieder mehr Wertschätz­ung erfahren müsste. Immerhin verdienen diese ihr Geld damit.

Wir haben für unsere Weltläufig­keit einen hohen Preis bezahlt. Vielen ist in der Corona-Zeit bewusst geworden, dass Verreisen keine Selbstvers­tändlichke­it ist. Ein Luxus, der nicht allen zuteilwird – sogar wenn die Tour „nur“in die Oberpfalz führt. Urlaub darf kein billiges Massenprod­ukt mehr sein. Alles andere verzeiht uns auch das Klima nicht.

Niemand vermisst die lästigen Sauf-Touristen

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