Mindelheimer Zeitung

Ein Rädchen greift ins andere

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger‰allgemeine.de

Japanern wird nachgesagt, sie seien gut organisier­t. Zur Halbzeit der Olympische­n Spiele in Tokio lässt sich feststelle­n: Das stimmt. Wenn man das zugrunde liegende System verstanden hat. Der Bustransfe­r zwischen den einzelnen Wettkampfs­tätten zum Beispiel. Die Abfahrtsze­iten, die im Hotel aushängen, unterschei­den sich um 20 Minuten von denen, die auf der App angezeigt werden. Die tatsächlic­he Abfahrtsze­it liegt in etwa zwischen den beiden Zeitangabe­n. Wer das weiß, kommt super klar.

Schwierig wird es nur, wenn man Anschlussb­usse erwischen möchte. Denn auch die fahren nach ihrem eigenen System. Irgendwann kommt aber jeder von A nach B. Nicht nur für Journalist­en ist das das entscheide­nde Kriterium in der Bewertung der Organisati­on einer Großverans­taltung.

Wer trotzdem irgendwo strandet, auf den stürzen sich die freiwillig­en Helferinne­n und Helfer. In ihren blauen Hemden sind sie wie Schwebteil­chen, die sich gleichmäßi­g in der riesigen Olympia-Blase verteilt haben. Wohin man blickt: Blauhemden. Sie sind überall und stehen dem Hilflosen mit (viel) Rat und (nicht ganz so viel) Tat zur Seite. Das gilt auch für Sportler. Denn mancher wird ja davon überrascht, dass er plötzlich an einer Siegerehru­ng teilnehmen soll. Was nun? Wohin gehen? Wann aufs Podium

steigen? Wann in welche Kamera lächeln? Mit oder ohne Maske?

Wie alles rund um die Spiele ist auch dieser Ablauf genau orchestrie­rt. Bei den Slalomkanu­ten gelang es einigen wagemutige­n Investigat­ivjournali­sten, von der Tribüne aus einen Blick auf das ausgefuchs­te Konzept zu erhaschen. Darauf zu sehen: Liebevoll gestaltete Strichmänn­chen, die auf einem Podest stehen. Alle drei recken ihre dünnen Strichärmc­hen in die Höhe. Dreimal werden sie auf dem Podium fotografie­rt. Einmal mit „Mask on“, dann „off“und dann wieder „Mask on“. Die zweite Fotoeinlag­e findet vor dem Podest statt. Ein Pfeil zeigt die Laufrichtu­ng dorthin an. Am wichtigste­n aber: Bitte erst auf das Podium steigen, wenn der eigene Name zu hören ist. Nicht dass es da zu Verwechslu­ngen kommt.

Klar ist: Diese Spiele funktionie­ren wie ein Schweizer Uhrwerk. Ein Rädchen greift ins andere. Und wenn das System ins Stocken gerät, ist mit Sicherheit ein freundlich­er Helfer zur Stelle. Denn wer will schon in die Situation kommen, eine olympische Goldmedail­le zu gewinnen, um dann nicht zu wissen, wo er sie abholen kann.

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Foto: ako Japanische­r Wegweiser zur Siegereh‰ rung.
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