Ihr seid nicht allein
Familie Immer mehr prominente Frauen berichten von ihren Fehlgeburten. Ihr Ziel: Das Thema soll kein Tabu mehr sein
London Die Freude über die Schwangerschaft ist riesig, doch als Carrie Johnson ihr zweites Kind ankündigt, schwingt ein Hauch Trauer mit. „Zu Beginn dieses Jahres hatte ich eine Fehlgeburt, die mein Herz gebrochen hat“, schreibt die Ehefrau des britischen Premierministers Boris Johnson bei Instagram. Die 33-Jährige reiht sich damit ein in eine immer längere Reihe prominenter Frauen, die öffentlich über ihre persönlichen Erfahrungen mit Fehlgeburten berichten. Es ist der Versuch, mit einem gesellschaftlichen Tabu zu brechen.
Carrie Johnson, Herzogin Meghan, US-Model Chrissy Teigen: Das sind nur drei der prominenten Frauen in den USA und Großbritannien, die ihre Fehlgeburt öffentlich machten. „Ich fühlte mich verloren und alleine“, schreibt Michelle Obama, die frühere First Lady der USA, in ihren Memoiren. Sie hatte vor der Geburt ihrer Töchter Malia und Natasha eine Fehlgeburt – und war unsicher, wie sie damit umgehen sollte. „Ich fühlte mich, als hätte ich versagt, weil ich nicht wusste, wie häufig Fehlgeburten sind, weil wir nicht darüber sprechen. Wir sitzen in unserem eigenen Schmerz und denken, dass wir irgendwie gebrochen sind.“
Alleingelassen fühlen sich viele Frauen, sie fürchten Stigmatisierung und schämen sich, über ihre Lage und ihren Schmerz zu sprechen. „Viele Frauen fühlen sich schuldig, glauben, etwas falsch gemacht zu haben“, erklärt Wolf Lütje, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe, die Tabuisierung.
Dabei sind Fehlgeburten ziemlich häufig. Nach Angaben der britischen Organisation Tommy’s, die zu dem Thema forscht und auch Betroffene unterstützt, verliert jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens ein Baby. Als Fehlgeburt gilt, wenn das Kind die ersten 23 Schwangerschaftswochen nicht überlebt. Oft geschieht das so früh, dass die Betroffene noch gar nicht gemerkt hatte, dass sie schwanger war. Mehrere Fehlgeburten nacheinander sind deutlich seltener, laut britischem Gesundheitsdienst NHS ist eine von 100 Frauen betroffen.
„Ein Kind zu verlieren, bedeutet, eine fast unerträgliche Trauer zu tragen, die viele erleben, aber über die wenige sprechen“, schrieb Herzogin Meghan im vergangenen November in einem aufsehenerregenden Beitrag für die New York Times. Ungerechtfertigte Scham und ein „Kreislauf einsamer Trauer“seien die Folge. Gerade deshalb, so meinen immer mehr Prominente, sei mehr Aufmerksamkeit notwendig. Das könnt das Leid der Betroffenen mildern. „Ich denke, es ist das Schlimmste, was wir uns als Frauen antun, wenn wir nicht die Wahrheit über unseren Körper teilen, wie er funktioniert und wie er nicht funktioniert“, so Michelle Obama.
Ein weiteres Hindernis: Die inszenierte heile Welt in sozialen Netzwerken. „Fruchtbarkeitsprobleme können für viele Menschen sehr schwierig sein, insbesondere wenn es auf Plattformen wie Instagram so aussieht, als würde alles immer nur gut laufen“, schreibt sie. „Ich fand es sehr tröstlich, von Menschen zu hören, die ebenfalls einen Verlust erlitten hatten, daher hoffe ich, dass diese Mitteilung auch anderen helfen kann.“
Wichtig ist die Botschaft – darauf weisen auch Gynäkologen hin –, dass eine Fehlgeburt nicht bedeutet, dass eine Frau nun nie mehr schwanger wird oder ein größeres Risiko hat, weitere Babys zu verlieren. Meghan Markle, Michelle Obama, Sängerin Beyoncé haben nach einer Fehlgeburt ein oder mehrere Kinder bekommen. Auch Carrie Johnson freut sich auf ihr „Regenbogenbaby“, wie in Großbritannien die Babys genannt werden, die einer Fehl- oder Totgeburt folgen. Der Regenbogen ist ein Symbol der Hoffnung. Benedikt von Imhoff, dpa