Handballer hinken der Weltspitze hinterher
Es sollte eine Medaille werden, stattdessen endete das Turnier im Frust – und in fünf Monaten beginnt die EM
Tokio Nach einer kurzen Nacht mit wenig Schlaf verließen die deutschen Handballer fast Hals über Kopf und ohne die erhoffte Medaille das olympische Dorf in Tokio. Schon am Mittwochmittag saßen Bundestrainer Alfred Gislason und seine tief enttäuschten Schützlinge im Flugzeug gen Heimat – die Stimmung an Bord dürfte nach der deftigen 26:31-Pleite im Viertelfinale gegen Ägypten eher frostig gewesen sein.
„Wir haben unser Ziel Halbfinale nicht erreicht. Das ist schon enttäuschend“, sagte Gislason kurz vor dem Abflug. Auch beim sechsten Großereignis seit Olympia-Bronze in Rio ging die DHB-Auswahl leer aus. Die Weltspitze ist zwar nicht weit weg, aber seit einigen Jahren eben doch unerreichbar.
Wieder einmal blieb die deutsche Mannschaft unter ihren Möglichkeiten – wofür es viele Gründe gibt. Nach einer Monster-Saison in der Bundesliga mit 38 Spieltagen fehlte dem Bundestrainer die Zeit für eine optimale Vorbereitung und den Spielern im entscheidenden Moment die Kraft. „Wir wollen Erfolg haben, aber wir haben keine Zeit, daran zu arbeiten. Und man hat gesehen, dass einige Spieler sehr viel gespielt haben und ein bisschen ausgelaugt waren“, sagte Gislason und fügte resignierend hinzu: „Ich habe es schon vor zehn Jahren aufgegeben, mich über zu viele Spiele zu beklagen.“Hinzu kommen seit Jahren individuelle Nachteile im Aufbauspiel, wo die Top-Nationen wesentlich stärker besetzt sind. „Wir haben deutlich weniger Wurfkraft aus dem Rückraum als die anderen Mannschaften“, räumte Gislason ein. Und dann gibt es noch die mentale Komponente. „Wir haben Topspieler, aber die tun sich manchmal schwer, in der Nationalmannschaft auch so zu performen“, sagte DHBVorstand Axel Kromer. Zu denen gehörte in Tokio einmal mehr Kapitän Uwe Gensheimer. Der Linksau2016 ßen verbrachte wesentlich mehr Zeit auf der Bank als auf dem Parkett und war überhaupt kein Faktor im deutschen Spiel.
In der Krise sieht der 69-Jährige, der die DHB-Auswahl 2007 zum WM-Triumph geführt hatte, den deutschen Handball trotz des frühen Scheiterns aber nicht. „Er steht sicherlich nicht ganz oben, das kann man nach den letzten Resultaten sagen. Aber er gehört immer noch in die Spitze hinein“, sagte Brand.
In fünf Monaten steht schon wieder die Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei an. „Jetzt müssen wir uns neue Ziele setzen“, sagte DHB-Vorstandschef Mark Schober. Eine personelle Zäsur erwartet Gislason nicht. „Es ist schwer zu sagen, wie die Zukunft des Teams aussieht. Es sind aber keine Leute dabei, von denen man sagen könnte, dass sie direkt aufhören müssten“, betonte der Bundestrainer. Ähnlich bewertet DHB-Vizepräsident Bob Hanning die Situation: „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass wir in gleicher Besetzung in den nächsten Jahren spielen werden. Aber ich glaube, dass das Gerüst dieser Mannschaft bestehen bleibt.“Zunächst gehen die Nationalspieler in einen kurzen Urlaub, ehe in vier Wochen wieder die neue Bundesligasaison beginnt.