Enttäuschende Bilanz
Interview Weshalb er von der Bilanz von Bauminister Horst Seehofer enttäuscht ist und noch immer Millionen Wohnungen fehlen, erklärt Robert Feiger, Chef der Industriegewerkschaft Bau. Und er sagt, was er von einer neuen Bundesregierung erwartet
Weshalb er von Bauminister Seehofer enttäuscht ist und noch immer Millionen Wohnungen fehlen, erklärt Robert Feiger, Chef der Industriegewerkschaft Bau, im Interview auf der Seite Wirtschaft.
1,5 Millionen neue Wohnungen hatte Bundesbauminister Horst Seehofer versprochen. Sind Sie mit der Bilanz zufrieden?
Robert Feiger: Nein, die Bilanz ist enttäuschend. Die Bundesregierung hatte versprochen, 1,5 Millionen Wohnungen zu schaffen, 1,2 Millionen sind es geworden. Es fehlen also rund 300000 Wohnungen, so viel, wie in einem Jahr gebaut wird. Das ist wahrlich keine gute Leistung. Das Problem ist so dringend, dass es nach meiner Auffassung nach der Bundestagswahl ein eigenes Bauministerium geben muss, das sich auf die Bereiche Bau, Verkehr und Infrastruktur konzentriert.
Ist Wohnen in Deutschland deshalb so teuer, weil trotz des Booms immer noch zu wenig Wohnungen entstehen? Feiger: In Deutschland fehlt vor allem bezahlbarer Wohnraum. Eine Familie muss sich auch in der Großstadt das Wohnen leisten können. Im sozialen Wohnungsbau ist das Angebot aber vollkommen unzureichend. Es gibt in Deutschland rund 22 Millionen Mieter-Haushalte, davon haben 40 Prozent Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, also eine Sozialwohnung. Das sind 8,8 Millionen Haushalte. Der Bestand an Sozialwohnungen beträgt hingegen nur 1,1 Millionen, daran sieht man, wie dramatisch die Situation ist.
In den Städten dürfte es nochmals schwieriger aussehen ...
Feiger: Auf dem Land sind die Mieten vielerorts günstiger, in den Städten haben dagegen rund 50 Prozent der Mieter Anspruch auf eine Sozialwohnung. Die Chance, mit einem Berechtigungsschein eine Sozialwohnung zu ergattern, beträgt 1:8, das ist ein extremes Missverhältnis. Zudem werden Sozialwohnungen selten frei. Selbst wer berechtigt ist, hat denkbar schlechte Karten, in Deutschland eine Sozialwohnung zu ergattern.
Wie schnell lässt sich das Problem fehlenden Wohnraums im bezahlbaren Bereich angehen?
Feiger: Bei einem Bestand von 1,1 Millionen Sozialwohnungen müssten 7,7 Millionen gebaut werden, um die Lücke zu füllen. Das ist natürlich unrealistisch. Wir müssen aber versuchen, den Bestand auf zwei Millionen in den nächsten Jahren aufzustocken, was enorme Anstrengungen erfordert.
Was erwarten Sie sich von der neuen Regierung, damit der Wohnungsbau Fahrt aufnimmt?
Feiger: Die neue Regierung muss Verlässlichkeit bieten: Die Förderung des sozialen Wohnungsbaus muss längerfristig gelten. Die Bauwirtschaft erstellt heute rund 300 000 Wohnungen im Jahr und hat ihre Kapazitäten ausgeweitet. Um noch mehr Beschäftigte und Auszubildende einzustellen, braucht sie Verlässlichkeit über eine Legislaturperiode hinaus, wenn wir das Problem der Wohnungsnot ernsthaft angehen wollen. Für die Bahn beispielsweise gibt es einen 10-jährigen Investitionsplan, deshalb schaffen die Firmen dort neue Kapazitäten.
Wir bräuchten also einen Zehnjahresplan für den sozialen Wohnungsbau? Feiger: So könnte man es nennen. Allein mit Neubau werden wir es aber auch nicht schaffen ...
Welche Möglichkeiten sehen Sie noch? Feiger: Zum einen sollten Bund, Länder und Kommunen über den Ankauf von Wohnungen tätig werden und bestehenden Wohnraum zu sozialen Wohnungen umwidmen. Zum anderen dürfte es mit dem Homeoffice-Boom seit der CoronaKrise eine Reduzierung des Bedarfs an Büroflächen in Ballungszentren geben. Ungenützte Büroflächen müssen zu Wohnungen umgenutzt werden, zudem fallen dabei auch nur ein Drittel an Baukosten an.
Stichwort Baukosten: Vor allem hohe Grundstückspreise machen das Bauen inzwischen teuer ...
Feiger: Ja, Bund, Länder und Kommunen sollten deshalb Baugrundstücke nicht zum Höchstpreis am freien Markt versteigern. Besser wäre es, sie zu attraktiven Bedingungen anzubieten. Den Grundstückskäufern muss man dann aber bei dem Bau von Mehrfamilienhäusern zur Auflage machen, dass sie zu einem bestimmten Prozentsatz sozialen Wohnraum schaffen.
Die FDP beklagt vor allem Bürokratie und Regelungen in der Bauwirtschaft. Muss entschlackt werden?
Feiger: In der Spanne von der Planung über die Beantragung und Genehmigung bis zur Ausführung eines Baus kann sicher manches beschleunigt werden. Die Genehmigungsverfahren können schneller laufen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass in den Bauämtern in den letzten zehn bis zwölf Jahren rund ein Drittel des Personals eingespart wurde, das war ein Fehler.
Sind auch die energetischen Vorschriften für Gebäude zu hoch, sodass sie das Bauen verteuern?
Feiger: Die energetischen Standards im Bau zu senken ist keine Lösung, wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen und die Erderwärmung wie in Paris vereinbart auf 1,5 Grad begrenzen wollen. Das wäre unehrlich. Erhebliche Investitionen müssen über die energetische Sanierung auch im Wohnungsbestand erfolgen, wenn wir bis zum Jahr 2045 CO2-neutral wirtschaften wollen. Dazu kommt, dass Gebäude, die vor zehn Jahren energetisch saniert worden sind, 2045 lange noch nicht klimaneutral sind. Der Klimaschutz verursacht Kosten. Um trotzdem attraktiven Wohnraum zu schaffen, brauchen energetische Maßnahmen eine steuerliche Förderung.
Die Union schlägt vor, Immobilieninteressierte pro Person bis zu 250000 Euro von der Grunderwerbsteuer zu befreien. Wäre das ein Ansatz? Feiger: Wenn damit neuer Wohnraum entsteht, ist es ein guter Ansatz. Man sollte auch darüber nachdenken, kommunale Bauträger ganz von der Grunderwerbsteuer zu befreien, wenn sie in sozialen Wohnraum investieren.
Die Grünen favorisieren ökologisches Bauen, vor allem mit Holz, was immer teurer wurde. Hat das eine Zukunft? Feiger: Die Holzpreise hatten sich kürzlich extrem erhöht, weil nach der Corona-Krise in Asien die Wirtschaft schnell hochgefahren ist. Ein Zollstreit zwischen den USA und Kanada hat die Entwicklung verschärft. Hier tritt aber schon Entspannung ein, sodass ich davon ausgehe, dass wir nächstes Jahr normale Preise haben werden. Die Bauwirtschaft hat hervorragende Produktionsbedingungen. Projekte scheitern nicht an Rohstoffknappheit.
In den Tarifverhandlungen fordern Sie 5,3 Prozent mehr Gehalt. Welches Ergebnis können Sie sich vorstellen? Feiger: Wir stellen uns ein Ergebnis vor, das den Leistungen in der Bauwirtschaft in der Pandemie gerecht wird. Die Bauarbeiter haben in der Pandemie praktisch durchgearbeitet, die Baubranche ist in guter Verfassung. Aufgrund der Leistungen der Beschäftigten in der CoronaZeit muss eine signifikante Einkommenserhöhung möglich sein.
Was ist Ihnen noch wichtig?
Feiger: Wir brauchen endlich eine Wegezeitentschädigung für die Anfahrt der Beschäftigten zu den Baustellen. In unserer Branche sind die Baustellen mal 50, am nächsten Tag dann 100 oder 150 Kilometer vom Wohnort entfernt. Bisher gibt es keine tarifvertragliche Entschädigung für die Fahrt vom Wohnort zur Baustelle. Es ist höchste Zeit, dass sich das ändert. Ein Beschäftigter hat keinen Einfluss darauf, wo gebaut wird. Wir wollen eine einfache Lösung, zum Beispiel eine pauschale Entschädigung für Anfahrtswege innerhalb eines bestimmten Radius. Ein weiterer wichtiger Punkt für uns ist die Anpassung der Löhne zwischen Ost- und Westdeutschland. Es muss jetzt definitiv ein Vorschlag auf den Tisch, wann die Erhöhung der Löhne im Osten auf das Niveau im Westen stattfindet.
Leider zahlen einige Betriebe am Ende aber nicht einmal den Mindestlohn. Der Zoll in Bayern hat letztes Jahr deswegen 647 Ermittlungsverfahren eingeleitet, davon 136 auf dem Bau. Wie lässt sich der Missstand erklären? Feiger: Wenn Unternehmen ihren Beschäftigten nicht den Lohn zahlen, der in Tarifverträgen vereinbart ist, dann ist das schäbig, wenn aber nicht einmal der Mindestlohn gezahlt wird, ist das kriminell. Der größte Teil der Firmen hält sich Gott sei Dank an die Tarifverträge, vor allem, wenn sie Mitglied in einem Arbeitgeberverband sind. Trotzdem gibt es immer wieder Unternehmen, die gegen die Mindestlöhne verstoßen. Die 136 entdeckten Firmen in Bayern sind nur die Spitze des Eisbergs. Der Zoll ist leider personell nicht ausreichend genug ausgestattet, um den Bau mit seinen 80000 Betrieben und 900000 Beschäftigten komplett zu kontrollieren. Dazu kommen Entsendefirmen, die nicht in der BRD, sondern in anderen europäischen Staaten ansässig sind.
Was müsste sich ändern?
Feiger: In Deutschland arbeiten zwischen fünf und sechs Millionen Menschen unter Mindestlohnbedingungen. Wie soll der Zoll dies mit seiner geringen Zahl an Beschäftigten kontrollieren? Die Beamtinnen und Beamten machen eine gute Arbeit, aber die personelle Ausstattung muss besser werden. Falls Mindestlohnverstöße festgestellt werden, werden bisher die Firmen zu einem Bußgeld verdonnert und müssen Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Wer aber kein Geld bekommt, sind die Arbeitnehmer:innen. Sie müssten ihr Geld selbst einklagen, das darf nicht sein!
Wünschen Sie sich mehr Frauen als Mitarbeiterinnen auf den Baustellen? Feiger: Es gibt bei den Zimmerern längst Frauen, die auf Augenhöhe mit den Männern arbeiten. Geschlechtsspezifische Einstiegshürden darf es nicht geben. Traditionell arbeiten auf dem Bau aber immer noch überwiegend Männer. Hier ist sicher noch Luft nach oben.