Mit sechs Stundenkilometern über das Feld
Landwirtschaft Derzeit wird Mais gehäckselt. Unsere Redaktion ist beim Ernteeinsatz dabei. Lärm, Schmutz, Ertrag und Verwendung: Das sagt Kreisobmann Martin Schorer zu Kritikpunkten
Holzgünz/Hawangen Raureif ist auf den Wiesen zu erkennen. Dicker Nebel lässt noch keine Sonnenstrahlen durch, als Dirk Bierwirt den Motor des Häckslers anwirft. Der 35-Jährige ist eigentlich Industriemechaniker, arbeitet als Saisonkraft bei der Agrolohn GmbH. Die Maisernte ist in vollem Gange, deswegen nimmt er auf dem Häcksler Platz und steuert das Gefährt vom Hof nahe Hawangen. Ziel: ein Feld bei Holzgünz.
Ich begleite Dirk Bierwirt. Zunächst reihe ich mich hinter der Kolonne – bestehend aus Häcksler sowie Schleppern mit Anhängern – ein. Die Kolonne setzt sich in Bewegung, rollt los. Ab und an hält ein Auto am Straßenrand an, lässt passieren. Nach einer kurzen Anfahrtszeit biegen wir in einen Feldweg ein. Das Schneidwerk wird ausgeklappt; Dirk Bierwirt klettert die kleine Leiter zum Häcksler wieder hinauf, fokussiert sich und lenkt das Gefährt in Richtung der begehrten Frucht.
Schon geht es los. Hinter dem Häcksler fährt der Schlepper samt Anhänger. Die Ernte wird in den Anhänger „geworfen“. Die beiden Gefährte nehmen Fahrt auf – und verschwinden fast im dicken Nebel.
Ich lausche. Der Häcksler ist fast nicht mehr zu hören; dafür zieht ein Zug an mir vorbei. Autos sind von der parallel verlaufenden Straße zu hören. Dann lichtet sich der Nebel und der Maishäcksler kommt zurück. Währenddessen haben schon weitere Fahrer ihre Schlepper samt Anhänger in Stellung gebracht, um sofort abzulösen, wenn ein Anhänger beladen ist. Alles geht schnell – und routiniert.
Ein kurzer Stopp bedeutet: Ich kann aufsteigen. In der Fahrerkabine des Häckslers ist es angenehm warm. Ein wenig Musik ist im Hintergrund aus dem Radio zu hören. Dirk Bierwirt umfasst mit der einen Hand das Lenkrad sowie ein kleines Funkgerät, mit der anderen Hand greift er nach einem Joystick. In Blickrichtung sind links und rechts Kameras montiert. Sie dienen dem Ziel, die Verluste so gering wie möglich zu halten – also mit der Ernte den Anhänger „zu treffen“– und sollen auch vor mechanischem Schaden bewahren. „Damit wir nicht irgendwo dran fahren“, er
klärt Dirk Bierwirt. Der 35-Jährige wirkt ruhig und konzentriert, legt mir die technischen Details dar: Der selbstfahrende Häcksler bewegt sich mit sechs Stundenkilometern über das Feld. Das sei der Durchschnitt. Es komme immer auf die Beschaffenheit sowie die Pflanzen an. Das Schneidwerk ist 7,5 Meter breit; das entspricht zehn Maisreihen, die im Abstand von 75 Zentimetern gesetzt sind. „Gib Gas“, spricht Bierwirt in das Funkgerät und die Reaktion erfolgt prompt. Der Fahrer des Schleppers mit Anhänger neben dem Häcksler beschleunigt. Im Spiegel ist schon zu erkennen, wie der nächste Schlepper in Position gebracht wird. Reihe um Reihe geht es weiter. 2,5 Hektar pro Stunde: „Das ist realistisch“, so der 35-Jährige, dessen Augen den Ernte-Prozess verfolgen. Ich staune. Er hat alles im Blick.
Dieses Jahr sei man mit der Maisernte spät dran. Eigentlich starte diese Mitte/Ende September und sei bis Mitte Oktober durch. Das sei die Regel, doch der viele Niederschlag hätte sich in einem späteren Abreifen der Frucht bemerkbar gemacht. Woran erkennt man, ob der Mais reif ist? Dirk Bierwirt muss nicht lange überlegen: „Wenn man mit dem Fingernagel den Mais nicht eindrücken kann, dann ist das das Signal für Reife.“
Nach einem Wendemanöver geht es weiter. Die nächsten Mais-Pflanzen sind an der Reihe. Der Mais wird vom Häcksler eingezogen, dort in einem ersten Schritt verdichtet. Es findet eine Verpressung statt. Danach geht es in die Häckseltrom
mel. Mit Messern werden die Stängel abgeschnitten. Die Schnittlänge variiert dabei. Beispiel: Wandert die Ernte in die Biogasanlage, dann ist es eine kurze Schnittlänge, da das Material pumpfähig sein soll. Beim Futter für die Tiere wird eine längere Schnittlänge gewählt, damit die Struktur erhalten bleibt. Das sei für die Tiergesundheit ein wichtiger Faktor. Nach dem Abschneiden kommt der sogenannte Cracker. Das Korn muss dann durch zwei Walzen, die es zerreiben, also fragmentieren. Nach diesem Prozess folgt der Beschleuniger. Dieser wird benötigt, damit der entsprechende Auswurf dann auch im Anhänger landet. Die Anhänger, die bei dieser Ernte mit im Einsatz sind, fassen zwischen 45 und 52 Kubikmeter.
„Die wichtigste Arbeit findet aber im Fahrsilo statt“, merkt Dirk
Bierwirt an. Der Mais wird im Fahrsilo in gleichmäßig dicke Schichten gebracht und verfestigt. Er steuert ein wenig gegen, bringt das Schneidwerk noch einmal in Position. Eigentlich gibt eine Sensorik am Schneidwerk die entsprechenden Impulse für die Lenkung. Es sind nur kleine Korrekturen.
Andere nutzen ihre freie Zeit für einen Urlaub, Dirk Bierwirt steigt auf den Häcksler: Seit seinem 18. Lebensjahr ist er als Saisonkraft tätig – bei Agrolohn. Das Unternehmen gibt es seit dem Jahr 1996. Dort werden derzeit vier Festangestellte und zehn Mitarbeiter auf 450-EuroBasis beschäftigt. Was den 35-Jährigen an der Arbeit reizt und begeistert? Als ich ihm diese Frage stelle, da weicht die Konzentration in seinem Gesicht für kurze Zeit der Freude und Leidenschaft. „Man muss schon von der speziellen Gattung sein“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Schon als kleiner Junge hätte ihn die Landwirtschaft fasziniert. „Man muss einen Bezug zur Landwirtschaft haben. Der findet in den frühen Lebensjahren statt; man wächst rein – und dann bleibt man auch dabei“, fügt er an. Gleichwohl sei er sich bewusst, dass die Ernte auch ein Thema sei, dass Gemüter bewege und erhitze. Große Maschinen, Lärm – bis in die Abendstunden hinein – und Schmutz: „Wir sind uns dessen bewusst und durch dieses Bewusstsein versuchen wir, entsprechend zu agieren, fahren beispielsweise langsam durch Ortschaften“, zeigt er auf. Er sei sich gewiss: Mit beidseitiger Toleranz funktioniert es. Im nächsten Moment blickt er zu mir auf dem Nebensitz: „Wir sind hier fertig. Auf zum nächsten Feld.“