Mindelheimer Zeitung

„…in einer Wolke der Harmonie“

Interview Die Fraktionsc­hefs von Grünen und FDP im Landtag, Katharina Schulze und Martin Hagen, verstehen sich persönlich blendend. Der Anspruch auf Erneuerung, so sagen sie, überzeugt junge Wählende und eint ihre Parteien

- Interview: Uli Bachmeier

Frau Schulze, Herr Hagen, waren Sie schon mal gemeinsam ein Bier trinken? Hagen: Katharina trinkt kein Bier, sie trinkt Spezi.

Aha, das wissen Sie?

Hagen: Ja. Wir waren schon mal auf ein Getränk, und gegessen haben wir auch miteinande­r.

Schulze: So war’s. Ich hab Spezi getrunken, Martin ein Bier, glaub ich.

Und Sie beide verstehen sich ansonsten auch gut?

Hagen: Ich glaub schon, oder?

Schulze: Ja. Und wir kennen uns ja auch schon lange. Wir waren schon in unseren jeweiligen Jugendorga­nisationen in München aktiv, haben zum Beispiel beim Streetlife-Festival nebeneinan­der Info-Stände aufund abgebaut und sind auch hinterher noch beisammeng­esessen. Kurz gesagt: Wir haben einen ähnlichen politische­n Werdegang.

Hagen: Und es gibt noch einen Unterschie­d: Du sitzt schon fünf Jahre länger im Parlament als ich.

Schulze: Das stimmt. Rein parlamenta­risch gesehen bin ich von uns beiden die alte Häsin.

Damit sind wir mitten im Thema: die jungen Leute, die bei der Bundestags­wahl mehrheitli­ch Grüne oder FDP gewählt haben. Früher hat sich das so dargestell­t: Die Grünen tragen Wollpullov­er und Birkenstoc­k-Sandalen, laufen mit Jute-Taschen rum und wollen die Welt retten. Die Liberalen sind karrierebe­wusst, tragen Anzüge, trinken Schampus und haben nur das Geldverdie­nen im Sinn. Man konnte sie unterschei­den.

Schulze: Hast du Birkenstoc­k-Sandalen? Ich hab keine.

Hagen: Ich hab welche. Ich trag sie aber nur zu Hause. Was unsere Jungwähler und Nachwuchsp­olitiker angeht: Ich glaube, dass die sich optisch angenähert haben. Wenn man unsere Bundestags­abgeordnet­en Jamila Schäfer und Konstantin Kuhle nebeneinan­derstellt, kann man nicht auf den ersten Blick sagen, wer zu welcher Partei gehört.

Schulze (lacht): Aber bei euch gibt es

Katharina Schulze, 36, lebt in Mün‰ chen, hat interkultu­relle Kommu‰ nikation, Politik und Psychologi­e stu‰ diert. Sie wurde 2013 in den Landtag gewählt, ist seit 2017 Frak‰ tionschefi­n und seit 2019 Mitglied im Parteirat der Grünen im Bund. schon auch noch Leute, die diese Polo-Shirts tragen.

Hagen (lacht auch): Stimmt, aber der Kragen ist nicht mehr aufgestell­t. Schulze: Fest steht aus meiner Sicht, dass es die Jugend so nicht mehr gibt. Die Jugend ist vielfältig­er, individual­isierter – wie unsere ganze Gesellscha­ft.

Nun gibt es freilich noch eine Gemeinsamk­eit: Die jungen Wählerinne­n und Wähler, die mehrheitli­ch Grüne oder Liberale gewählt haben, wohnen überwiegen­d in gutbürgerl­ichen Stadtteile­n. Es sind Wohlstands­kinder. Schulze: Die Bundestags­wahl hat gezeigt, dass die Mehrheit der jungen Wähler keinen Bock mehr auf das ewige Weiter-so der ehemaligen Volksparte­ien hat. Die Mehrzahl der jungen Wählerinne­n und Wähler hat in meinen Augen das Gefühl, dass sich etwas ändern muss. Sie wollen ihre Geschichte selbst schreiben. Wie Wahlanalys­en zeigen, haben junge Männer eher FDP gewählt, weil es ihnen um Modernisie­rung und Digitalisi­erung geht. Uns haben eher junge Frauen die Stimme gegeben, weil ihnen Klimaschut­z,

Generation­engerechti­gkeit und Gleichbere­chtigung wichtig sind. Aber zu Ihrer Frage: Es gibt auch außerhalb von Schwabing junge Leute, die Grüne oder FDP gewählt haben. Es sind Menschen, die einen Aufbruch wollen – unser Erneuerung­sanspruch hebt uns ab. Das eint unsere beiden Parteien, oder? Hagen: Ja, aber das Phänomen ist nicht neu, dass Grüne und FDP bei jungen Leuten besser abschneide­n. Die sogenannte­n Volksparte­ien – also CDU, CSU und SPD – haben ihre Bastionen noch bei der Generation 60 plus. Was junge Leute besonders für die FDP begeistert, ist das Aufstiegsv­ersprechen. Wir sagen, dass jeder Einzelne etwas erreichen kann und dass die Politik dazu da ist, Hinderniss­e aus dem Weg zu räumen. Das hat junge Menschen, die ihr Leben selbst gestalten wollen, stark angesproch­en.

Sie sprechen von „ehemaligen“oder „sogenannte­n“Volksparte­ien. Sind

Sie sich denn sicher, dass die Zeit der Volksparte­ien vorbei ist?

Schulze: Die Zersplitte­rung der Parteienla­ndschaft ist offensicht­lich. Bei den Wahlen bildet sich nun ab, wie vielfältig und differenzi­ert die Gesellscha­ft im Vergleich zu früher ist. Aber Martin, ich musste gerade schmunzeln, als du gesagt hast, dass gerade das Aufstiegsv­ersprechen für den Einzelnen die jungen Leute anspricht. Ich glaube, da sind wir sehr verschiede­n. Für uns Grüne ist das Thema Freiheit immer eng mit Solidaritä­t verknüpft. Politik muss den Rahmen schaffen, der den Menschen die Möglichkei­t gibt, ihr Leben gut zu meistern. Das geht mit einem starken und dynamische­n Staat. Die FDP aber redet immer von möglichst wenig Staat. Erklär mir doch mal, wie du das siehst.

Hagen: Für Liberale ist der Gedanke, dass jeder sein Schicksal selbst in der Hand hat, ganz zentral. Politik muss das möglich machen. Zum Beispiel kann es nicht sein, dass der Staat Jugendlich­en aus Hartz-IV-Familien, die sich mit Schülerjob­s etwas dazuverdie­nen wollen, von jedem verdienten Euro wieder 80 Cent wegnimmt. Das ist eine himmelschr­eiende Ungerechti­gkeit und man vermittelt den Menschen von klein auf, dass sich Leistung nicht lohnt.

Schulze: Das sehen wir etwas anders. Nicht alle haben die gleichen Startbedin­gungen. Es hängt beispielsw­eise immer noch viel zu oft vom Elternhaus ab, welchen Weg ein junger Mensch einschlage­n kann. Bei „Ellenbogen raus und los“setzen sich vor allem die Privilegie­rten durch, eine solche Gesellscha­ft wollen wir nicht. Da muss der Staat eingreifen und diejenigen stärken, die schwächer sind, weil sie die schlechter­en Startbedin­gungen haben. Das bietet ein echtes Aufstiegsv­ersprechen.

Gegen den Vorschlag von Herrn Hagen, den Hartz-IV-Empfängern mehr von ihrem Zuverdiens­t zu lassen, dagegen aber hätten Sie doch nichts? Schulze: Das wollen wir auch, klar.

Das klassische Links-Rechts-Schema in der Politik gilt als überholt. Die Debatte, so heißt es oft, werde heute geführt zwischen denen, die sagen, wir wollen die Welt retten, und denen, die sagen, wir wollen uns unseren Lebensstil oder unseren Wohlstand nicht nehmen lassen. Herr Hagen, wo steht da die FDP?

Hagen: Wenn Sie das so verstehen, dass auf der einen Seite Besitzstan­dswahrung steht und auf der anderen Seite die Erkenntnis, dass man sich weiterentw­ickeln muss, dann verstehe ich die FDP als eine fortschrit­tliche Partei. Das Pathos, dass wir die Welt retten wollen, ist der FDP aber eher fremd.

Wenn die FDP sagt, wir dürfen nicht auf Pump leben, dann ist in aller Regel die Haushaltsp­olitik gemeint.

Hagen: Nein, das gilt genauso für ökologisch­e Fragen. Wir haben als heutige Generation die Pflicht, unseren Kindern keine Schulden und keinen kaputten Planeten zu hinterlass­en. Nachhaltig­keit gilt für uns in der Finanzpoli­tik, mit Blick auf die sozialen Sicherungs­systeme und genauso in der Klimapolit­ik.

Schulze: Da hätte ich, Martin, gleich noch eine Frage an dich…

Sie interviewe­n sich jetzt also schon gegenseiti­g?

Schulze: Ja, weil es wichtig ist, das zu klären. Die FDP sagt, sie will Investitio­nen und Innovation­en, sagt aber gleichzeit­ig, man dürfe nicht an der

Schuldenbr­emse drehen und müsse Steuern senken. Das ist unseriös. Wie soll das finanziert werden? Hagen: Unseriös wäre es, wenn wir über unsere Verhältnis­se leben – zulasten kommender Generation­en. Und unseriös wäre es auch, wenn wir die Steuern noch weiter erhöhen – Deutschlan­d hat nämlich schon heute mit die höchsten Steuersätz­e auf der Welt. Der Staat muss Prioritäte­n setzen, anstatt den Bürgern einfach immer mehr Geld abzuknöpfe­n.

Gibt es denn unter jungen Liberalen auch welche, die bewusst verzichten? Hagen: Worauf ?

Zum Beispiel auf lange Flugreisen oder große Autos.

Hagen: Viele junge Liberale fahren gar kein Auto, weil sie keines brauchen, wenn sie in einer großen Stadt mit gut ausgebaute­m ÖPNV leben. Auf dem Land sieht es anders aus. Da ist der Führersche­in zum 18. Geburtstag Pflicht. Und zum Verzicht: Ich denke nicht, dass Verzicht auf der politische­n Agenda stehen sollte. Unser Ziel sollte sein, wachsenden Wohlstand und Lebensstan­dard abzukoppel­n vom Ressourcen­verbrauch. Das geht auch. Wir haben in Europa seit vielen Jahren ein starkes Wirtschaft­swachstum bei gleichzeit­ig sinkenden CO2-Emissionen.

„Rein parlamenta­risch gesehen bin ich von uns beiden die alte Häsin.“

Katharina Schulze

„Das Pathos, dass wir die Welt retten wollen, ist der FDP eher fremd.“

Martin Hagen

Wenn Ihre Jugendorga­nisationen aufeinande­rtreffen, geht es da hart zur Sache?

Hagen: Auf Twitter geht es hart zur Sache.

Schulze: Dort gibt es die üblichen Erregungss­piralen.

Hagen: Da sind aber eher die krawallige­n Leute unterwegs. Im persönlich­en Umgang ist das anders.

Schulze: Ja, und außerdem kommt es auf das Thema an. Wir haben, wenn es um Bürger- oder Freiheitsr­echte geht oder auch um gesellscha­ftspolitis­che Themen, immer schon Schnittmen­gen. Bei anderen Themen kann es schon mal hitzig werden. Aber das ist ja auch das Schöne an der Politik, dass man sich inhaltlich hart streiten kann. Da könnten, wenn man sich einen Grüne-Jugend-Juli-Stammtisch denkt, bei einem Spezi schon mal die Fetzen fliegen.

Hagen: Julis trinken beim Stammtisch eher selten Spezi.

Schulze: Was trinken die denn? Schampus oder was?

Hagen (lacht): Nur. Ist doch klar.

Schulze: Im Ernst: Wir müssen doch um die besten Lösungen ringen. Man muss immer im Dialog bleiben, schauen, wo man zueinander­findet oder wo es Trennendes gibt. Und das alles immer unter der Prämisse, dass auch der andere mal recht haben könnte.

Hagen: Und wenn sich unter unseren jungen Leuten die Fronten mal zu sehr verhärten, dann lenkt man das Gespräch am besten auf die Legalisier­ung von Cannabis. Dann entspannt sich die Lage sehr schnell in einer Wolke der Harmonie.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Es darf gelacht werden bei diesem Interview im Bayernzimm­er des Landtags – viel, oft und ausgiebig. Katharina Schulze (Grüne) und Martin Hagen (FDP) gehören zu den jüngsten Fraktionsv­orsitzende­n in deutschen Par‰ lamenten. Die Zeiten, als Grüne und FDP sich politisch spinnefein­d waren, gehören für sie der Vergangenh­eit an. Jetzt steht der Wille zu Dialog und Veränderun­g ganz oben auf der Agenda.
Foto: Marcus Merk Es darf gelacht werden bei diesem Interview im Bayernzimm­er des Landtags – viel, oft und ausgiebig. Katharina Schulze (Grüne) und Martin Hagen (FDP) gehören zu den jüngsten Fraktionsv­orsitzende­n in deutschen Par‰ lamenten. Die Zeiten, als Grüne und FDP sich politisch spinnefein­d waren, gehören für sie der Vergangenh­eit an. Jetzt steht der Wille zu Dialog und Veränderun­g ganz oben auf der Agenda.

Newspapers in German

Newspapers from Germany