Der Kampf um unsere Zukunft
Muss der Mensch die Erde weiter, besser umgestalten, um noch auf ihr leben zu können?
Von Bill Gates bis Frank Schätzing: Viele Stars haben sich zuletzt engagiert und Bestseller-tauglich zum Klimawandel geäußert. Ein Aufmerksamkeitstransfer von der Prominenz zur Problemfrage unserer Zukunft, die wichtig ist – andersrum wäre es aber mindestens ebenso wichtig, dass Menschen, die Substanzielles zum Verständnis und zur eventuellen Lösung der Probleme beizutragen haben, die nötige Aufmerksamkeit erhalten. Wie Elizabeth Kolbert zum Beispiel.
Die ist eine (etwa mit dem Pulitzer-Preis) ausgezeichnete Journalistin des New Yorker, der es schon mal gelungen ist, das bei Experten erfragte Fachwissen so plastisch zu verarbeiten, dass einem vor Klarheit fröstelt. Das Buch hieß „Das sechste Sterben“und zeigte, wie erstmals in der Erdgeschichte ein großes Artensterben durch eine einzelne Spezies verursacht wird: uns. Jetzt legt sie „Wir Klimawandler“vor, und nein, es ist nicht einfach noch ein Buch mit noch mehr bedenklichen Umweltbilanzen von Einzelmensch und Menschheit. Kolbert arbeitet den Mechanismus heraus: „In diesem Buch geht es um Menschen, die Probleme zu lösen versuchen, die Menschen beim Versuch, Probleme zu lösen, geschaffen haben.“
Dafür hat die 60-Jährige schlagende Beispiele. Etwa vom Mississippi, der seit dem 18. Jahrhundert massiv durch Deiche begrenzt wurde, womit aber neue Ablagerungen unmöglich wurden und damit letztlich sogar Land verloren ging. Oder auch vom Wald: Wenn man zur Bindung von CO2 wieder auf größere Waldflächen setzt, dann verstärkt man dadurch auch den Effekt, dass diese die Rückstrahlung des auftreffenden Sonnenlichts verhindern und damit sogar Wärme auf der Erde binden. Sollte man also genmanipulierte helle Bäume züchten?
Geoengineering heißt das ingenieursmäßige Eingreifen in die Natur, das Kolbert durchaus skeptisch betrachtet. Es gleiche mitunter dem Versuch, einen Heroinsüchtigen mit Amphetaminen zu behandeln, mit dem Ergebnis einer „Abhängigkeit von zwei Drogen statt einer“. Mindestens jedenfalls muss der Mensch in seinen Lösungen der Komplexität der Natur besser gerecht werden als bislang. Verhindern jedoch könne das auch nicht, dass die besondere Stabilität des Klimas der letzten 12000 Jahre ihrem Ende entgegengehe. Der Mensch hat wesentlich dazu beigetragen und muss erkennen: Der Natur, die er miterschaffen hat, entkommt er nicht.
Mit großer Geste aktivierend treten darum zwei andere aktuelle, nicht eben prominente Veröffentlichungen auf. Der niederländische Biologe Kurt de Swaaf legt mit „Der Zustand der Welt“eine Weitung des alarmierenden Befunds des Weltbiodiversitätsrats der UN vor und versichert doch: „Eine andere Zukunft ist möglich.“Nach allen kundigen Analysen zu Ursachen und Folgen samt Forderungen an die Politik bleibt sein Merksatz: „Was die Existenz des Lebens allgemein schützt, schützt uns alle. So einfach ist das tatsächlich.“Er fordert also ein „Primat der Ökologie“, jetzt, also letztes Mittel fast schon.
Ebenso entschieden sind die Forderungen von Jörg Sommer von der Deutschen Umweltstiftung und Naturschutz-Professor Pierre Leonhard Ibisch in ihrem „ökohumanistischen Manifest“– samt einem Anschlag von zehn Thesen. Zentral dabei ist das: Der Mensch hat in seiner Hybris die wesentlichen Prinzipien des Lebens vergessen – und droht nun selbst daran zugrunde zu gehen. Der Name sagt es schon: Ökologisch und humanistisch, das müsse also künftig zusammengehen – alles andere führe in eine sich verschärfende Krise der Natur und sich zuspitzende Konflikte unter den Menschen.
Das führt zu einem dritten Weg, Aufmerksamkeit für die Dringlichkeit des Problems zu bekommen. Denn was da die Wissenschaft heute sagt und welche Szenarien damit drohen, das hat der Science-FictionAutor Kim Stanley Robinson in seinem neuen Werk „Das Ministerium der Zukunft“aufbereitet: höchst Thriller-dramatisch in der Inszenierung und dabei doch Sachbuchnüchtern in der Analyse. Fiction plus Science in der relevantesten und wirkungsvollsten Form. Wie das aber mehr Menschen erreicht als die, die Robinson durch seine MarsTrilogie als Spartengröße kennen? Durch die Empfehlung Prominenter. Und der 69-jährige US-Autor hat den prominentesten überhaupt, Ex-US-Präsident Barack Obama, der mit seiner regelmäßig veröffentlichten Liste der wichtigsten Bücher des Jahres quasi direkt einen eigenen Bestseller-Chart betreibt.
Dorthin also schaffte es „Das Ministerium der Zukunft“, zudem jubelte die englischsprachige Kritik (The Times: „ein Meisterwerk“) vor dem jetzigen Erscheinen weltweiter Übersetzungen – wohl aus der sinnvollen Sache heraus etwas zu euphorisch, aber doch zu Recht. Das titelgebende Ministerium wird 2025 von den UN gegründet, nachdem sich gezeigt hat, dass trotz aller Zusagen bei Klimaabkommen vor allem die reichen Staaten nicht umgesteuert haben und sich weiter in wirtschaftlicher Konkurrenz zu Wachstum treiben – und die Folgen nun zu Beginn des Buchs eine Hitzewelle mit 20 Millionen Toten in Indien ist. Das Ministerium versucht zu koordinieren, Indien beginnt zu handeln: mit Geoengineering, dem Pumpen sonnenreflektierender Aerosole in die Atmosphäre. Ob das, siehe Elizabeth Kolbert, nun richtig ist? Keine Zeit, das abzuwägen. Flüchtlinge machen sich auf den Weg, wütende Menschen aus den ersten (ohnehin ärmeren) Opferländern der sich verschärfenden Krise greifen zu gewaltsamer Rache an der Ersten Welt, Krisensymptome eskalieren und Appelle haben nie genutzt.
Ob es ein Happy End gibt? Wird nicht verraten. Die Botschaft schon. Wer jetzt noch zögert, entschieden gegenzusteuern, auch die Mechanismen des Kapitalismus außer Kraft zu setzen, der tötet bereits. Nicht nur in Massen andere Arten, auch die eigene. Wolfgang Schütz