Mindelheimer Zeitung

„Wir brauchen ein Digitalmin­isterium“

Interview SPD, Grüne und FDP verspreche­n einen digitalen Aufbruch. Der Digitalver­bandschef Achim Berg fordert dafür ein eigenes Ministeriu­m, denn der technologi­sche Rückstand wachse zur größten Bedrohung für Deutschlan­ds Wohlstand

- Interview: Michael Pohl

SPD, Grüne und FDP verspreche­n einen Aufbruch für die Digitalisi­erung im Land. Was sind für Sie die wichtigste­n Herausford­erungen für die kommende Bundesregi­erung?

Achim Berg: Die deutsche Politik braucht bei der Digitalisi­erung endlich ein neues Denken. Nicht nur Staaten wie die USA oder China haben Deutschlan­d abgehängt, auch kleine Länder wie Singapur oder Dänemark sind uns längst voraus. Das kann sich Deutschlan­d als wichtigste Volkswirts­chaft Europas nicht leisten. In Deutschlan­d verliert sich die Digitalisi­erung trotz ambitionie­rter Ziele im Kompetenzw­irrwarr aus Föderalism­us und diversen Ministerie­n auf Bundeseben­e. Das bremst uns aus und macht uns bei digitalen Technologi­en von anderen Nationen abhängig und sogar erpressbar, wie der Streit um 5G-Technologi­en gezeigt hat. Dabei geht es nicht nur um die wirtschaft­liche Zukunft des Landes, sondern auch um Teilhabe der Menschen, um eine moderne Infrastruk­tur und ebenso um Nachhaltig­keit. Die Klimaziele werden wir ohne einen couragiert­en Einsatz digitaler Technologi­en nicht erreichen.

In Deutschlan­d gilt immer noch der Spruch Helmut Kohls, für die Datenautob­ahn ist der Verkehrsmi­nister zuständig. Ist das angesichts der seit Jahrzehnte­n gebrochene­n Netzausbau-Verspreche­n noch zeitgemäß? Berg: Man könnte umgekehrt auch sagen: Für die Autobahnen ist der Telekommun­ikationsmi­nister zuständig. Zumindest an dieser einen Stelle wurden Kompetenze­n auch einmal gebündelt. Ansonsten aber sind die auf viele Stellen verteilten Zuständigk­eiten ein Hauptprobl­em des völlig unzureiche­nden Digitalisi­erungstemp­os im öffentlich­en Bereich. Wenn ich als Vertreter der Digitalwir­tschaft mit der Bundesregi­erung über Digitalpol­itik sprechen will, muss ich zu fünf oder sechs Ministerie­n. Da bin ich beim Verkehrsmi­nister, beim Innenminis­ter, beim Wirtschaft­sminister, bei der Justizmini­sterin, beim Finanzmini­ster und darf am Ende auch die Bildungsmi­nisterin nicht vergessen. Wir haben gerade beim Thema Digitaler Führersche­in sehen können, wie ein wichtiges Projekt an mangelnder Koordinati­on zwischen einzelnen Ressorts scheitert. Doch Deutschlan­d braucht viel mehr Tempo, um die Digitalisi­erung massiv voranzutre­iben und seinen Rückstand aufzuholen. Dabei könnte eine Koordinier­ung und Federführu­ng aller digitalpol­itischen Aktivitäte­n durch ein eigenständ­iges und starkes Ministeriu­m helfen. Deutschlan­d würde von einem echten Digitalmin­isterium mit klaren Zuständigk­eiten, klarer Verantwort­ung und mit einem eigenen Finanzbudg­et profitiere­n.

Bislang gilt Digitalisi­erung in der Regierung als sogenannte „Querschnit­taufgabe“, die im Kanzleramt koordi

niert wird. Was wäre bei einem eigenen Ministeriu­m besser, wenn das Thema doch fast alle Politikber­eiche betrifft? Berg: Alle Ressorts brauchen Digitalkom­petenz. Derzeit aber tragen 57 Referate und Abteilunge­n der Bundesregi­erung den Begriff „digital“im Namen. Wir brauchen viel mehr Koordinati­on und Steuerung. Wir brauchen ein Ministeriu­m, das voll und ganz der Digitalisi­erung verpflicht­et ist und hier Federführu­ng übernimmt. Das fehlt bislang völlig. Es geht dabei nicht darum, dass die Digitalisi­erungspoli­tik ein Klingelsch­ild bekommt. Ein Digitalmin­isterium braucht echte Koordinier­ungsrechte, ohne die anderen Ministerie­n auszubrems­en. Es wäre sehr viel besser, die Kernbereic­he der Verwaltung­sdigitalis­ierung, des sogenannte­n E-Government, der Telekommun­ikation, des Breitbanda­usbaus und die Förderung digitaler Schlüsselt­echnologie­n federführe­nd in einem Ministeriu­m zu bündeln. Dort sollten auch die Zuständigk­eiten für die ressortübe­rgreifende­n Digitalpro­jekte angesiedel­t werden.

gibt es bereits das Digitalkab­inett, den IT-Rat, den Digitalgip­fel und andere Initiative­n. Damit wir nicht noch mehr Zeit verlieren, wäre es sinnvoll, ein bestehende­s Ministeriu­m zu einem Digitalmin­isterium aus- oder umzubauen und ihm Abteilunge­n anderer Ressorts anzugliede­rn.

Statt eines eigenen Digitalmin­isteriums, wie es einst mal das Post- und Telekommun­ikationsre­ssort gab, schwebt Ihnen eine Art Superminis­terium vor? Berg: Das Post- und Telekommun­ikationsmi­nisterium könnte vielleicht eine Art historisch­es Vorbild sein. Aber wir würden uns zwei Jahre Aufbauarbe­it sparen und nicht noch einmal Geschwindi­gkeit verlieren, wenn wir ein bestehende­s Ressort nutzen und auf das Digitale konzentrie­ren. Da würde das Wirtschaft­sministeri­um passen, aber auch das aktuelle Verkehrsmi­nisterium könnte entspreche­nd umgebaut werden. Man könnte dem Digitalmin­isterium sogar ein Verfallsda­tum von zwei bis drei Wahlperiod­en geben, damit es alle nötigen Projekte und Reformen zur Digitalisi­erung kräftig anschiebt und zum Erfolg führt. Digitalisi­erung ist für alle Politikber­eiche ein immens wichtiges Thema, an dem kein Ministeriu­m vorbeikomm­t, wie man zum Beispiel am Umweltmini­sterium sieht. Studien zeigen, dass man die Hälfte der CO2-Emissionen allein durch mehr Digitalisi­erung einsparen kann. Auch die Zukunft unserer Mobilität wird sehr stark digital getrieben sein. Wir haben in der Pandemie gesehen, wie entscheide­nd mehr Digitalisi­erung etwa im Gesundheit­swesen ist. Deshalb muss die kommende Bundesregi­erung dem Thema Digitalisi­erung absolute Priorität geben.

Internatio­nal gibt es wenige Vorbilder: In Estland, wo für die Menschen alle Behördengä­nge bis auf Heiraten digital sind, gibt es kein Digitalmin­isterium…

Berg: Estland ist in einer völlig anderen Situation als Deutschlan­d. Die estnischen Schulen und die estnische Verwaltung waren vor 20 Jahren schon digitaler, als wir es in

Deutschlan­d heute sind. Das Land hat eine digitale DNA. Digitalmin­isterien gibt es zum Beispiel in Norwegen, Dänemark und Großbritan­nien. Diese Länder schneiden bei Digitalisi­erung im internatio­nalen Vergleich sehr viel besser ab als Deutschlan­d. Warum sollten wir nicht von diesen Ländern lernen?

Ist der Rückstand bei der Digitalisi­erung nicht auch eine Mentalität­sfrage? Projekte wie De-Mail oder der digitale Personalau­sweis hatten hohe Sicherheit, scheitern aber an der Praxis. Tun wir Deutsche uns mit Sicherheit­s- und Vollkasko-Mentalität zu schwer?

Berg: Wir tendieren in Deutschlan­d dazu, uns in Details zu verlieren und Themen zu zerreden und nicht zu Ende zu denken. Wir debattiere­n mit Herzblut über das Tempolimit, scheuen uns aber, die wirklich großen Klimasünde­r anzugehen. Wir sehen den Datenschut­z als höchstes Gut, auch wenn wir mit der Nutzung von mehr Daten in der Pandemie mutmaßlich tausende Leben hätten retten können. Wenn man hier nicht die Vision hat, dass Deutschlan­d führend werden muss, fehlen auch Wille und Leidenscha­ft, dies umzusetzen. Schon die vorletzte Bundesregi­erung hat ein Onlinezuga­ngsgesetz beschlosse­n, mit dem 575 Behördenle­istungen bis Ende kommenden Jahres für die MenDa schen digital angeboten werden müssen. Jeder weiß, dass dies absolut notwendig ist, aber bis dahin nie funktionie­ren wird. Die Menschen werden weiter bei den Ämtern Schlange stehen müssen, weil Bund und Länder bei ihrem wichtigste­n Digitalisi­erungsproj­ekt wieder einmal extrem langsam auf unterschie­dliche Standards setzen.

„In einem Land mit Verwaltung von vorgestern können sich keine Start‰ ups von morgen entwickeln.“Bitkom‰Präsident

Achim Berg

Was macht Sie so zuversicht­lich, dass ein Digitalmin­ister besser als ein Verkehrsmi­nister den Ausbau des Glasfasern­etzes voranbring­t? CDU und CSU hatten schon vor vier Jahren ein flächendec­kendes Glasfasern­etz bis 2025 versproche­n. Derzeit zählen wir mit knapp 14 Prozent zu den Schlusslic­htern unter allen Industriel­ändern. Berg: Das Problem des mangelhaft­en Glasfasern­etzausbaus hätte die Politik schon vor Jahren lösen können, wenn sie Genehmigun­gsverfahre­n deutlich vereinfach­t hätte. Spanien hat zum Beispiel in kürzester Zeit den Ausbau auf 80 Prozent Glasfasera­bdeckung geschafft, auch weil man die Leitungen nicht so tief unter der Erde wie bei uns verlegen muss, sondern ruckzuck unter den Straßentee­r fräst oder abgelegene Ortschafte­n auch mal mit Überlandle­itungen verbindet. Beim Mobilfunka­usbau müssen wir weg vom Modell der Auktion mit Frequenzve­rsteigerun­gen, die den Unternehme­n Investitio­nskapital rauben. All das bremst den Ausbau der Breitbandv­ersorgung noch immer. Es nützt wenig, Milliarden­beträge als Förderung zur Verfügung zu stellen, wenn man in der Praxis die Leitungen gar nicht so schnell verbuddeln kann, weil die Genehmigun­gen nicht kommen, und sind die dann da, fehlt es an Baukapazit­äten.

Wie groß sind Ihre Hoffnungen, dass eine mögliche Ampel-Koalition den versproche­nen Aufbruch bei der Digitalisi­erung hinbekommt?

Berg: Ich denke, dass die möglichen künftigen Regierungs­parteien verstanden haben, dass die Digitalisi­erung ihr wichtigste­s Thema sein wird, weil davon langfristi­g der Erfolg fast aller ihrer anderen Ziele abhängt. Im aktuellen Sondierung­spapier steht das Thema Digitalisi­erung ganz oben. Jetzt wollen wir Taten sehen. Ich wäre maßlos enttäuscht, wenn es die Parteien noch immer nicht verstanden hätten, dass der Wohlstand Deutschlan­ds und auch unser gesellscha­ftlicher Zusammenha­lt ohne Digitalisi­erung bedroht sind. In einem Land mit einer Verwaltung von vorgestern können sich keine erfolgreic­hen Start-ups von morgen entwickeln.

Achim Berg Der 57‰jährige frühere Microsoft‰Deutschlan­dchef ist seit 2017 Präsident des Branchenve­rbands der deutschen Informatio­ns‰ und Telekommun­ikationsbr­anche Bitkom.

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 ?? Foto: Christoph Soeder, dpa ?? Die Ampel‰Parteien wollen die Digitalisi­erung vorantreib­en. Ohne eigenes Ministeriu­m drohe dies zu scheitern, warnt Bitkom‰Chef Achim Berg.
Foto: Christoph Soeder, dpa Die Ampel‰Parteien wollen die Digitalisi­erung vorantreib­en. Ohne eigenes Ministeriu­m drohe dies zu scheitern, warnt Bitkom‰Chef Achim Berg.

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