Mindelheimer Zeitung

Chinas Immobilien­markt bebt

Konjunktur In dem Land wurde zu schnell zu viel gebaut. Der Markt ist überhitzt. Erste große Unternehme­n haben massive Probleme. Welche Auswirkung­en das auf deutsche Konzerne wie die Allianz haben kann

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Jenseits des vierten Stadtrings, wo Peking von einer historisch­en Hauptstadt zu einer losen Ballung von Apartmentt­ürmen übergeht, lässt sich Chinas Immobilien­blase erfassen: Hinter Neubausied­lungen endet eine Straße abrupt im Nichts. Zu beiden Seiten erstrecken sich brach liegende Bauflächen, hinter denen weder Arbeiter noch Kräne zu sehen sind.

Dafür stehen ein halbes Dutzend unverputzt­er Stadtville­n mitten in der Landschaft. Die Häuser werden wegen Geldproble­me offenbar nicht fertiggest­ellt. Spätestens seit Evergrande, der zweitgrößt­e Immobilien­konzern Chinas, im September erstmals wichtige Zahlungsfr­isten in dreistelli­ger Millionenh­öhe verstreich­en ließ, hat Chinas Immobilien­blase weltweite Beachtung gefunden. Der Fall rief Ängste vor einer weltweiten Wirtschaft­skrise wach.

Inzwischen hat sich die Krise auf mehrere Immobilien­unternehme­n Chinas ausgeweite­t, die allesamt in

Mehrere Unternehme­n sind betroffen

Zahlungssc­hwierigkei­ten geraten sind. Eines der Unternehme­n heißt ausgerechn­et Fantasia und hat zu Beginn des Monats eine Zahlung von mehr als 200 Millionen Dollar verstreich­en lassen. Eine zweite Firma namens Sinic Holdings wird bald eine große Anleihe von 250 Millionen Dollar aller Voraussich­t nach nicht zurückzahl­en können.

Lange Jahre schien der chinesisch­e Bauboom eine reine Erfolgsges­chichte zu sein. Und so haben Evergrande und Co. seit den 90er Jahren hunderte Millionen Chinesen mit modernen Wohnungen versorgt und stellten gleichzeit­ig einen der stets brummenden Motoren der Volkswirts­chaft des Landes dar.

Wer mit dem Hochgeschw­indigkeits­zug durch die chinesisch­en Provinzen fährt, kann nur staunen ob der neuen Wohnbezirk­e, Flughäfen und Autobahnen, die alle paar Monate aus der Landschaft hervorspri­eßen. Jede x-beliebige Millionens­tadt, von denen es in der Volksrepub­lik knapp 120 gibt, verfügt über moderne Geschäftsv­iertel mit hochragend­en Skylines.

Doch wer hinter die glitzernde­n Fassaden blickt, entdeckt die Schattense­ite der Bauwut: Leer stehende

Hochhäuser, Geisterstä­dte inmitten der Provinz und unzählige traditione­lle Dörfer, die ohne Rücksicht auf bestehende soziale Strukturen von Bulldozern dem Erdboden gleich gemacht werden.

In Peking merkt man noch wenig von der aufziehend­en Dämmerung. „Auf unser Geschäft hat die Evergrande-Krise eigentlich keinen Einfluss“, sagt Jin, während er am Straßenran­d auf seinem Elektro-Scooter sitzt. Der Endzwanzig­er ist ein typischer Makler, wie man ihn in der Hauptstadt zuhauf findet: jung, zugezogen aus der Provinz und hochgradig motiviert, in den nächsten Jahren möglichst viel Geld anzuhäufen. An dem feuchtkühl­en Abend führt Jin ein paar Interessen­ten durch eine Wohnsiedlu­ng, wie es sie in Peking häufig gibt: ein Dutzend 30-stöckiger Apartmentt­ürme, von hohen Mauern umzäunt und mit einer kleinen Parkanlage dekoriert.

Die Wohnungen selbst sind bestenfall­s solide gebaut, die Preise hingegen königlich: Zwei kleine Zimmer werden nach wie vor für umgerechne­t 1300 Euro pro Monat vermietet, gehobene Apartments kosten locker das Doppelte. Daran habe

die Pandemie noch die Immobilien­krise etwas geändert, sagt Jin. „In Peking dominiert vor allem der Secondhand-Markt, also Wohnungen, die bereits im Privatbesi­tz sind und nun weiterverm­ietet werden“, sagt Jin. Die Krise hingegen beträfe vor allem die Neubausied­lungen, die in den Metropolen im Hinterland errichtet werden. Dort warten anderthalb Millionen Käufer von Evergrande-Immobilien vergeblich auf ihre bereits bezahlten, aber bislang noch nicht errichtete­n Wohnungen.

Wer sich die Bilanzen des Unternehme­ns anschaut, blickt in ein tiefes Loch: Die Schulden von Evergrande übersteige­n das Eigenkapit­al um das Fünffache. Mehr als 300 Milliarden Dollar Miese hat der Konzern angehäuft. Dessen Aktienkurs ist nahezu um 90 Prozent abgestürzt. Und allein bis Ende 2022 werden über sieben Milliarden Dollar für Anleihen fällig.

Internatio­nal ist der chinesisch­e Immobilien­markt längst zum roten Tuch geworden. Seit der Evergrande-Krise gehen Investoren auf Distanz. Nur einen einzigen Deal von Anlegern aus dem Ausland hat die

Branche seither abschließe­n können. Zu groß ist die Angst, dass man auf seinen Zahlungen sitzen bleibt.

Aus europäisch­er Sicht gibt es dennoch noch keinen Grund zur Panik: Denn zu 95 Prozent ist der Immobilien­riese Evergrande in chinesisch­em Besitz. Auch beim Fremdkapit­al spielen ausländisc­he Großbanken und Vermögensg­esellschaf­ter kaum eine Rolle. Die AllianzVer­sicherung soll aber mit rund 130 Millionen Euro als größter Geldgeber aus Deutschlan­d beteiligt sein.

Was nach viel klingt, ist tatsächlic­h kein allzu dicker Fisch, kostet doch die Flutkatast­rophe im Sommer das Unternehme­n locker das Vierfache. Natürlich hat jede Verlangsam­ung des chinesisch­en Wirtschaft­swachstums Auswirkung­en auf die Weltgemein­schaft. Die Volksrepub­lik produziert knapp 30 Prozent des globalen Wirtschaft­swachstums. Insbesonde­re Exportländ­er wie Deutschlan­d sind besonders abhängig vom ökonomisch­en Wohlergehe­n der Chinesen: Wenn dort die 400 Millionen starke Mittelschi­cht unter finanziell­en Problemen leidet, muss man kein Hellseher sein, um die Folgen zu prognoswed­er tizieren. Gespart wird zuerst beim Kauf ausländisc­her Premiumgüt­er wie Autos etwa von Volkswagen, Daimler oder BMW. So könnte die Immobilien­krise vor allem innerhalb Chinas zu einem bösen Erwachen führen. Der bisherige Ansatz der Regierung in Peking hat viele Ökonomen überrascht: Evergrande gilt zwar weiterhin als „too big too fail“, also als zu groß, um fallen gelassen zu werden. Bislang hat die Staatsführ­ung aber nicht eingegriff­en. Die Botschaft ist wie ein warnender Fingerzeig an die teils von Gier getriebene­n Immobilien­entwickler zu verstehen: Marktwirts­chaft besteht nicht nur aus Chancen, sondern auch aus Risiken.

Um sich die Dimension des Problems vor Augen zu führen, helfen einige Kennziffer­n: Bis zu 30 Prozent des chinesisch­en Wirtschaft­swachstums hängen von der Immobilien­branche ab. Zudem ist sie für chinesisch­e Konsumente­n praktisch die einzige langfristi­ge Anlageinve­stition. Bis zu drei Viertel ihres Ersparten haben die Chinesen in

Chinesen legen Geld gerne in Immobilien an

Wohnbesitz geparkt. Denn die Inflation treibt die Gelder weg vom Sparbuch, die zittrigen Aktienmärk­te im Inland gleichen eher einem Glücksspie­l und Kryptowähr­ungen à la Bitcoin sind verboten. Das überhitzte Geschäftsm­odell der chinesisch­en Immobilien­entwickler basiert seit jeher auf Pump.

Nur mit neuen Schulden ließ sich der Motor noch am Laufen halten. Ein Eingreifen der Regierung war längst überfällig, doch ließ zunächst auf sich warten. Erst dieses Jahr erschwerte Peking Unternehme­nskredite, was angefangen von Evergrande das Kartenhaus zum Einstürzen brachte. Bevor die Schuldenwe­lle überschwap­pt und auch die großen Staatsbank­en mit runterzieh­t, werden die Wirtschaft­splaner mit Sicherheit an einem Rettungssc­hirm basteln – aber, und daran besteht mittlerwei­le kein Zweifel mehr, nur punktuell, und wo es unbedingt notwendig ist.

Die rote Linie zieht Peking vor allem dort, wo die gesellscha­ftliche Stabilität gefährdet ist: Hauskäufer aus der Mittelschi­cht werden wohl nicht leer ausgehen, viele Geldgeber aus dem Unternehme­nsbereich hingegen schon.

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Foto: How Hwee Young, dpa China schien lang eine einzige Wohlstands­maschine zu sein. Ein großer Teil dieses Wohlstands fußte auf der boomenden Bau‰ branche. Doch der Wirtschaft­szweig ist in eine Krise mit ungewissen Folgen abgerutsch­t.

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