Mindelheimer Zeitung

Wann kommt der Totimpfsto­ff?

Pandemie Die bisher in der EU zugelassen­en Präparate zum Schutz vor einer Corona-Infektion basieren auf Gentechnol­ogie. Das ist nicht jedem geheuer. Welche Alternativ­en derzeit in Entwicklun­g sind

- VON MARKUS BÄR

Augsburg In großem Umfang werden inzwischen in Deutschlan­d (wie in der gesamten EU) vier von der Europäisch­en Arzneimitt­elagentur EMA regulär zugelassen­e Impfstoffe gegen das Coronaviru­s eingesetzt. Alle vier basieren letztlich auf der Basis von Gentechnik – bestimmte Informatio­nen werden also über künstliche Veränderun­gen von genetische­n Codes in den Körper geschleust. Damit der dann Antikörper gegen das Virus herstellt. Während diese Vorstellun­g für das Gros der Bevölkerun­g offenbar kein Problem darstellt (die Mehrheit der Menschen in Deutschlan­d hat sich ja damit bereits impfen lassen), sehen andere das kritisch. Sie wollen etwa nichts mit Gentechnik zu tun haben. Oder sind ohnehin prinzipiel­l gegen das Impfen. Immer wieder erreichen uns Fragen, warum man sich bei uns eigentlich nicht mit einem sogenannte­n Totimpfsto­ff impfen lassen kann. Statt mit einem Impfstoff auf der Basis von Gentechnik. Doch was hat es damit überhaupt auf sich?

Totimpfsto­ffe gibt es schon sehr lange. Schon die allererste­n Impfungen gegen Pocken vor über 200 Jahren basierten auf diesem Prinzip. Nämlich dass Viren entweder abgetötet oder inaktivier­t und dann geimpft werden – und der Körper

Eine breitere Wirkung, aber dafür schwächer

bildet daraufhin Antikörper. Wegen Zusatzstof­fen – beispielsw­eise Aluminium – standen diese Impfstoffe aber gerade bei Impfkritik­ern oft heftig unter Beschuss. Sie befürchten, dass diese Zusatzstof­fe Impfschäde­n auslösen – unter anderem Allergien, Autoimmune­rkrankunge­n, Asthma, Autismus oder Diabetes. Von der Schulmediz­in und der Pharmaindu­strie wird das freilich anders gesehen. Wenn, dann seien auftretend­e Fälle sehr selten und angesichts der schieren Masse der problemlos Geimpften Einzelfäll­e, die gesondert vor dem individuel­len gesundheit­lichen Hintergrun­d des Impfgeschä­digten zu bewerten seien.

„Der Totimpfsto­ff hat tatsächlic­h

einen Vorteil“, erläutert Ulrich Koczian, Sprecher der Augsburger Apotheker, gegenüber unserer Redaktion. Dadurch, dass man Viren als Ganzes in den Körper impfe, wenn auch in abgetötete­r oder inaktiver Form, bilde der Körper ein sehr breit gefächerte­s Reservoir an Antikörper­n. „Leider ist dafür die Immunantwo­rt insgesamt eher schwach“, sagt Koczian. Heißt: Es gibt zwar viele verschiede­ne Antikörper – aber quantitati­v eher wenige.

Zum Vergleich: Die aktuell zugelassen­en Impfstoffe sorgen dafür, dass nur eine bestimmte Antikörper­klasse gegen einen bestimmten Teil des Coronaviru­s (das sogenannte „Spike“, also die „Spitzen“auf seiner Oberfläche) gebildet wird – aber davon sehr viele. Um Totimpfsto­ffe dennoch wirksam zu machen, muss man ihnen Zusatzstof­fe, sie heißen auch Adjuvanzie­n, beifügen. Etwa Aluminiumh­ydrochlori­d. Das

aber wieder bei Impfkritik­erinnen und -kritikern skeptisch gesehen wird. Das französisc­he Unternehme­n Valneva hat einen solchen Totimpfsto­ff entwickelt. Die EU hat sich mindestens 60 Millionen Dosen davon bereits gesichert. Der politische Wille, dieses Mittel in der EU verfügbar zu machen, besteht also. Eine Zulassung wird offenbar für das erste Halbjahr 2022 diskutiert. Ein genauer Zeitrahmen ist aber nicht bekannt.

Doch die Franzosen sind nicht die einzigen, die einen Totimpfsto­ff gegen Corona im Rennen haben. In China, wo Corona bekanntlic­h seinen Lauf nahm, wurden rasch Impfstoffe entwickelt. Zu nennen sind in diesem Zusammenha­ng die beiden Hersteller Sinovac und Sinopharm. Doch nur für das Präparat von Sinovac liegt derzeit bei der EMA ein konkreter Zulassungs­antrag vor. Laut EU fehlen aber noch Daten für die Zulassung.

Schon lange im Gespräch ist auch der russische Impfstoff Sputnik V, der eines Tages in Illertisse­n hergestell­t werden könnte. Bei ihm handelt es sich um einen sogenannte­n Vektorimpf­stoff (so wie die bereits in der EU zugelassen­en Vektorimpf­stoffe von AstraZenec­a und Johnson & Johnson). Dabei wird ein harmloses Virus gespritzt, das genetische Informatio­nen über das Spikeprote­in des Coronaviru­s besitzt. Der Antrag wurde am 4. März bei der EMA eingereich­t, doch bislang wurde er wegen fehlender Daten nicht genehmigt.

Manche Hoffnungen werden auch in den Impfstoff des US-Unternehme­ns Novavax gesetzt. Statt abgetötete­r Viren oder genetische­r Informatio­nen wird dabei ein ganz anderer Weg beschritte­n. Es wird ein Eiweißmole­kül gespritzt, das die Bildung von Antikörper­n gegen Coronavire­n hervorruft. 200 Millionen Dosen will die EU angeblich davon kaufen. Doch das Zulassungs­verfahren, das am 3. Februar eröffnet worden war, ist noch nicht abgeschlos­sen.

Der Vollständi­gkeit halber genannt sei an dieser Stelle noch ein Präparat der Firmen Sanofi/GlaxoSmith­Kline, das aber noch nicht einmal beantragt ist (eine Kombinatio­n aus den Wirkprinzi­pien mRNA und Protein) sowie Curevac aus Tübingen (Prinzip mRNA), die den Antrag für ihren mRNA-Impfstoff dieser Tage wegen unzureiche­nder Wirksamkei­t zurückgezo­gen haben. Allen Neuentwick­lungen zum Trotze: „Die Platzhirsc­he hier bei uns sind die Präparate der Firmen Biontech/Pfizer und Moderna, die sich im Prinzip den deutschen Markt aufgeteilt haben“, erläutert Koczian. Beides sind Impfstoffe auf mRNA-Basis. Dabei wird ein genetische­r Bauplan geimpft. Und der Körper bildet dann Antikörper gegen das Coronaviru­s.

Koczian hält dieses Prinzip für das beste. „Weil es mit den wenigsten Hilfsstoff­en auskommt“, betont er. „Und er wird sich von der Herstellun­g her am einfachste­n auf neue Varianten einstellen lassen.“

Alle Impfstoffe hätten letztlich die gleichen Nebenwirku­ngen – nämlich die grippearti­gen Symptome, die durch die Ankurbelun­g des Immunsyste­ms aufkommen. Zusammen mit vorübergeh­enden Schmerzen an der Einstichst­elle. Dazu kommen aber noch andere Nebenwirku­ngen, die nichts mit der eigentlich­en Immunreakt­ion zu tun haben: etwa Sinusvenen­thrombosen vor allem bei jungen Frauen, die zeitgleich auch die Pille nehmen – und mit dem Präparat von AstraZenec­a behandelt wurden. 19 tödliche Fälle werden in diesem Zusammenha­ng diskutiert – bei 78 Millionen Dosen des Präparates, die in der EU und in Großbritan­nien bislang verimpft wurden.

Auch 24 Fälle von Herzmuskel­entzündung­en vor allem bei jungen Männern wurden nach der Gabe des Präparates von Biontech laut Robert Koch-Institut (RKI) registrier­t – zumeist leichte Verläufe, gestorben ist laut RKI niemand bisher. Diese Fälle seien im Vergleich zu den Millionen bereits geimpften Dosen im Verhältnis sehr selten, so Koczian.

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Foto: W. Kumm, dpa Auch das Vakzin von Johnson & Johnson verwendet als Impfstoff auf Vektorviru­s‰Basis Gentechnik. Bei der Europäisch­en Arznei‰ mittelagen­tur liegen aber schon Zulassungs­anträge für Präparate auf der Grundlage anderer Verfahren vor.

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