Große Grippewelle
München Der in diesem Herbst bislang allenfalls milde Anstieg der Corona-Infektionen wird sich in den nächsten Monaten voraussichtlich erheblich beschleunigen. Das prognostiziert Oliver Keppler, Leiter der Virologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. In den kommenden Monaten sei eine deutliche Verschärfung des Infektionsgeschehens zu erwarten. „Unser Leben verlagert sich nach innen“, sagte der Wissenschaftler auf Anfrage. Das von manchen Fachleuten befürchtete Zusammentreffen einer vierten Corona-Welle mit einer gleichzeitigen großen Grippewelle hält Keppler aber für unwahrscheinlich.
Trotz des möglichen Anstiegs der Corona-Zahlen rät Keppler nicht zu einer neuerlichen Verschärfung der Maßnahmen: „Grundsätzlich müssen wir in dieser Phase der Pandemie in verschiedenen Bereichen Lockerungen versuchen, um zu sehen, was gut vertretbar ist und wo man noch Hygienemaßnahmen oder Testungen zur Absicherung beibehalten muss.“Keppler verwies auf die „gute Impfquote – das ist der zentrale Baustein – viele Genesene, eine hochwertige Testinfrastruktur und ja, auch ein gutes Verständnis der Übertragungswege des Virus. Situationsbezogene Schutzmaßnahmen zählen natürlich auch dazu.“Damit meinen Mediziner etwa den von den meisten Menschen bislang beibehaltenen Verzicht auf das Händeschütteln. Die bayernweite Inzidenz war am Freitag zwar im Schnitt wieder über 100 gestiegen, doch gibt es einen großen Unterschied: Bei Geimpften lag diese nach Angaben einer Ministeriumssprecherin am vergangenen Mittwoch bei 26,2, bei Ungeimpften dagegen bei 204,5.
Entgegen manchen Befürchtungen steht Deutschland nach Einschätzung des Virologen Keppler keine gleichzeitige große Grippewelle bevor. „Ich erwarte keine schwere Grippesaison“, sagte er. „Die Grippe wandert alternierend von der Süd- zur Nordhalbkugel und wieder zurück“– immer im jeweiligen Winterhalbjahr. Doch weltweit seien Influenzaviren in der menschlichen Population durch die Corona-Hygienemaßnahmen weit zurückgedrängt worden. „Auf der Südhalbkugel waren zwei Winter hintereinander kaum Infektionen zu verzeichnen.“Dementsprechend ist nach Kepplers Einschätzung auch auf der Nordhalbkugel kein massenhaftes Auftreten von Grippeviren zu erwarten.