Porträt einer Unbeugsamen
Premiere Landestheater Schwaben zeigt Schillers „Die Jungfrau von Orleans“mit bezwingenden Bildern
Memmingen Ist es Vision – oder Albtraum? Im Nirgendwo einer Graslandschaft hebt sich vor gleißendem Licht schwarz eine Gestalt ab. Sie reißt die Arme nach oben und schwenkt zu hämmernden Klängen ein riesiges, schwarzes Banner. Eine Geschichte, die seit mehr als 200 Jahren auf Bühnen zu sehen ist, wird hier neu erzählt.
Inszenierung als komplexes Kunstwerk: Diesen Anspruch untermauert Kathrin Mädler, Intendantin am Landestheater Schwaben in Memmingen, mit ihrem Blick auf Friedrich Schillers romantische Tragödie „Die Jungfrau von Orleans“von 1801. Bei dem Stück, das nun Premiere feierte, hatte Mädler in Memmingen letztmals selbst die Regie übernommen. Nach der Spielzeit wechselt sie nach Oberhausen. Gelungen ist ihr und Dramaturgin Anne Verena Freybott eine Inszenierung, die der wirkmächtigen Sprache des Klassikers nicht nur standhält, sondern aus ihr Kraft für bezwingende, teils verrätselt-ästhetische Bilder schöpft. Diese fügen sich so passend zum Stoff, dass der sein Publikum von Neuem und nachhaltig bannt.
Das Schicksal der Jungfrau Johanna, zu der Schiller von der historischen Jeanne d’Arc (1412–1431) inspiriert wurde, bettet Bühnenbildnerin Mareike Delaquis Porschka in eine nur angedeutete Landschaft ein. Aus ihr blicken dem Publikum zu Beginn – nebeneinander aufgereiht und sich auf irritierende Weise ähnlich – farblose Figuren entgegen: Auch in ihrer Erstarrung gleichen sich Johannas Vater (Klaus Philipp) und die übrigen, sie haben den Schrecken des Krieges und der drohenden Fremdherrschaft durch die Engländer nur Ratlosigkeit, Passivität und religiöse Inbrunst entgegenzusetzen.
Ein Soldatenhelm markiert den Aufbruch: Johanna, für die der Vater bereits Heiratspläne hegt, schüttelt Schweigen und Mädchenzöpfe ab, reißt den Helm an sich und folgt ihrem Glauben, für König und Land ein Wunder vollbringen zu können. Selten und effektvoll sind solche Symbole gesetzt: Sei es das Schwert, das Johanna fast zu überragen scheint, oder die überdimensionierte Krone, die von zwei Vertrauten des französischen Königs hochgehalten werden muss. Sie repräsentiert dessen Macht, umschließt ihn aber auch wie ein Gefängnis.
Diesen Karl VII. zeigt David Lau als einen, der weit entfernt ist von einem „kraftbegabten Steuermann“in der Krise: Eingewickelt in eine violette Decke gleicht er mehr einem Kind oder einem Verrückten, wenn er zuerst angsterfüllt nach Anleitung und einem Ausweg für sich sucht und später nach der für ihn glücklichen Wendung hüpfend in Jubel ausbricht. Für ihn, alle anderen und das ganze Land soll Johanna Kämpferin, Retterin und Heilige sein: eine zierliche, schmale Gestalt in reinem Weiß. Doch es kann nicht überdauern. Blut befleckt mehr und mehr nicht nur ihre Kleidung. Eine Heilige ist diese Kämpferin mit blutverschmiertem Mund beileibe nicht. Und während sie den Franzosen Sieg um Sieg bringt, ist sie von Gegenspielern mit unübersehbar männlicher Potenz – in MehrfachRollen von Tobias Loth und den anderen Darstellern gespielt – im Wortsinn umzingelt.
Diese Retterin ist keine unangreifbare Heldin, sie kann sich
Übergriffen nicht entziehen und fast meint man, ihre Bedrängnis körperlich zu spüren, wenn sie ausbricht und um Selbstbestimmung ringt. Darauf, dass es hier nicht allein um feministische Ansätze geht, deutet die androgyne Erscheinung der Hauptfigur hin. Als Schatten steht sie abseits – während andere Pläne schmieden und Anspruch auf sie erheben. Sie wird herumgeschubst und in die Enge getrieben. Schließlich bringen Gefühle für den Feind, den englischen Anführer Lionel (Tim Weckenbrock), das ins Wanken, was ihr Stärke verleiht: ihren Glauben und ihre Überzeugung. Beeindruckend, wie Franziska Roth als zerbrechliche, aber in ihrem Willen unbeugsame Johanna diesen Weg bis in den Tod abschreitet.
Nie verliert die Inszenierung den melancholischen Grundton: Nah bei treibenden, triumphalen Musikklängen sind solche, die auf Schmerz und Trauer hindeuten. Und wenn Johanna in fahlem Scheinwerferlicht verzweifelt innere Kämpfe ausficht, sieht man das Ende voraus. Trotzdem ist diese Jungfrau kein Opfer, ihre Würde bleibt unangetastet. Auch der Deutung gibt sie sich nicht ins Letzte preis: Mit gelösten Fesseln geht sie in ein rätselhaftes Ende.