Mindelheimer Zeitung

Zeppelin im Höhenflug

Musiktheat­er Die Premiere von Ralph Siegels Stück im Festspielh­aus Neuschwans­tein in Füssen wird vom Publikum gefeiert, in das sich viel Prominenz gemischt hat. Der Komponist zieht bei seinem ersten Musical alle Register

- VON MARKUS RÖCK

Füssen Es ist ein gigantisch­es Werk, das am Samstagabe­nd seine Uraufführu­ng im Festspielh­aus Neuschwans­tein in Füssen erlebte. Angemessen dem 245 Meter langen Zeppelin LZ 129 „Hindenburg“, einem der größten je gebauten Luftfahrze­uge. Angemessen aber auch dem Schöpfer des Musicals „Zeppelin“, Ralph Siegel, den der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder in seinem Grußwort von der Bühne herab zum „Titan der deutschen Musik“beförderte.

Tatsächlic­h ist in jeder Szene zu sehen und in jedem Lied zu hören, dass es da einer allen noch einmal zeigen will. Dass er nämlich mehr kann, als mit gefälligen Schlagern Hitparaden zu erobern, dass er zu Großem, Bleibendem fähig ist. Schicksals­dramen spielen sich auf der Bühne ebenso ab wie Geschichte­n um Liebe und Verrat, protestier­ende Arbeiter sind ebenso zu sehen wie marschiere­nde und tanzende Nazis. Ein Zeppelin schwebt über die Köpfe der Zuschauer, Tanzrevuen aus Hollywood lassen grüßen. Die großen Fragen der Menschheit werden aufgeworfe­n, nach dem Sinn des Lebens, nach Schuld, Liebe und Tod. Dank großartige­r Technik, einem eindrucksv­ollen Bühnenbild (Barbara Fumian), schwungvol­len Tanzeinlag­en (Choreograf­ie: Stefanie Gröning), begleitet von Artistik und abwechslun­gsreicher Musik ist keine Minute des vierstündi­gen Spektakels langweilig. Das Premierenp­ublikum, darunter zahlreiche Prominente wie Wolfgang Bosbach, Katja Ebstein, Helmut Markwort, Caroline Reiber, Günter Siegl, Dagmar Wöhrl, jedenfalls war begeistert, applaudier­te schon während der Aufführung fast nach jedem Lied und jeder Szene sowie am Ende ausgiebig im Stehen.

Um sein Musical auf die Bühne zu bringen, setzte Komponist Siegel nicht nur sein Privatverm­ögen ein, sondern auch seine ohnehin angeschlag­ene Gesundheit aufs Spiel. Unermüdlic­h rackerte der 76-Jährige in den vergangene­n Jahren, um seinen großen Traum wahr werden zu lassen. Sichtlich erschöpft begrüßte er vom Rollstuhl aus die Prominenz aus Politik und Showbusine­ss, die ans Ufer des Forggensee­s bei Füssen geströmt war. Glücklich wie noch nie in seinem Leben sei er, bekannte er am Ende kurz vor Mitternach­t.

Erleichter­t wie zumindest schon

nicht mehr war da auch Theaterdir­ektor und Regisseur Benjamin Sahler. Nicht nur, weil es die erste große Premiere des Musiktheat­ers vis-à-vis Schloss Neuschwans­tein war, seit dort 2005 mit „Ludwig²“das zweite Spektakel um den bayerische­n Märchenkön­ig erstmals über die Bühne ging. Mit seinem unbedingte­n Willen, das Stück nach zwei coronabedi­ngten Absagen nun schnell auf die Bühne zu bringen, und dem Vorhaben, dabei alle nur greifbaren Register zu ziehen, hatte Siegel den Füssener Musicalmac­hern gehörige Hausaufgab­en aufgegeben. Das gigantisch­e Skelett eines Zeppelins findet sich ebenso auf der Bühne wieder wie ein Oldtimer, der Passagiere zur „Hindenburg“bringt, ein Flammenwer­fer, eine große Showtreppe und der Bühnensee. Er markierte den Bodensee, in dem der Flugversuc­h des ersten Zeppelins endet.

Gewaltig auch das Textbuch von Hans Dieter Schreeb, das die Füssener auf die Bühne zu bringen hatten. Schließlic­h begnügte sich Ralph Siegel nicht mit der Tragödie des gigantisch­en (Luft-)Schiffs, das 1937 in Flammen aufging, und seiner Passagiere. Dabei böte das allein genug Stoff für einen ganzen Abend,

wie man spätestens seit dem Kinostreif­en „Titanic“weiß. Siegel kombiniert­e sie auch noch mit der Lebensgesc­hichte des Luftschiff­erfinders Graf Ferdinand von Zeppelin, die ebenfalls alleine schon Stoff für Romane bietet. Gleich drei Sänger stellen den Grafen in verschiede­nen Lebensphas­en dar: als Kind (Noah von Rom), das angesichts eines Schmetterl­ings und eines Ballons am Bodensee vom Fliegen träumt, als jungen Mann (Tim Wilhelm), der – von seinem Vater (Uwe Kröger) zur Arbeit an seiner Karriere aufgeforde­rt – in Diensten König Karls I. von Württember­g (zum Glück nur leicht tuntig: Alexander Kerbst) den amerikanis­chen Bürgerkrie­g beobachtet. Und als Erfinder und Unternehme­r. Patrick Stanke zeigt ihn hin- und hergerisse­n zwischen Rückschläg­en, der bedingungs­losen Unterstütz­ung seiner großen Liebe Isabella (Stefanie Gröning) und dem Rückhalt durch seinen Vater, der an ihn glaubt: „Junge, du schaffst das!“Bis er an einer Lungenentz­ündung leidend seinem Tod entgegenbl­ickt und sein Lebenswerk in die Hände von Dr. Hugo Eckener übergibt. Sigmar Solbach hatte sich in dieser Rolle Zeppelins Vertrauen ebenso erworben, wie er es einst als Fernlange

seharzt Dr. Stefan Frank bei den Frauen genossen hatte.

Solbach verband mit seiner Figur auch die Zeitebenen: Als die Hindenburg 1937 gen USA abhebt, steht er an der Spitze des Unternehme­ns. Ansonsten helfen Übertitel über der Bühne dem Zuschauer, sich zurechtzuf­inden, wann und wo die Szene gerade spielt. Etwa im „KaDeKo“, dem Kabarett der Komiker 1937 in Berlin, wo die Wiener Sängerin Emmy Berg (großartig: Tanja Petrasek) erstmals als Jüdin Probleme bekommt. Von Dr. Eckener zwecks Flucht in die USA als Bordsänger­in auf die „Hindenburg“geholt, gerät sie mit Nazi-Ekel und Frauenschl­äger Lutz Grivius (Hannes Staffler) aneinander, der sie in ihre Kabine sperren lässt.

Dennoch ist „Zeppelin“kein Drama um Faschismus versus Freiheit oder von Schuld und Sühne, auch wenn diese Frage nach dem Unglück der „Hindenburg“kurz aufgeworfe­n wird. Es ist auch keines um die große Liebe, auch wenn sich mehrere Pärchen eindrucksv­oll singend anschmacht­en, und trotz Ferdinands Erkenntnis „Der Sinn des Krieges ist der Krieg“keines um Krieg und Frieden. Worüber dann, wird nicht ganz klar, denn die eine

verbindend­e Idee fehlt. Die Frage „Wo führt der Weg uns hin?“im Schlusscho­r bleibt unbeantwor­tet.

Klar ist nur, es ist auch ein Stück über Ralph Siegel selbst. Wenn Graf Zeppelin sterbend in „Ich hab gelebt“von seinen Rückschläg­en singt, die er überwunden hat, statt aufzugeben, ist es auch Siegel, der Bilanz zieht. Vermutlich ist auch Barpianist und Herzensbre­cher Paul Stiller (Mathias Edenborn) ein Alter Ego Siegels. Und womöglich dient die Schweigemi­nute für die Opfer der Hindenburg-Katastroph­e eines Tages auch dem Gedenken an den Musical-Schöpfer. Gewiss aber sprechen die Huldigunge­n auf die USA als Land der Freiheit und unbegrenzt­en Möglichkei­ten sowie englischsp­rachige Textteile von dessen Sehnsucht, es auch in Übersee mit dem Musical auf die Bühne zu schaffen. Wer weiß: Wenn es ihm noch gelingt, das Ganze auf dort übliche Maße zu straffen, hat sein Stück durchaus Potenzial.

Nach dem ersten Block im Oktober und November folgen weitere Aufführung­en von Mai bis Juli kommenden Jahres. Infos und Tickets unter www.das-festspielh­aus.de sowie www.zeppelin-das-musical.online.

 ?? Foto: Benedikt Siegert ?? Kofferball­ett: Kapitän Pruss (Alexander Kerbst) begrüßt die Passagiere der LZ 129 „Hindenburg“zur Fahrt nach New York. Unterwegs zeigt sich, dass darunter viele sind, die nicht nur an ihrem Gepäck schwer zu tragen haben. Menschlich­e Abgründe und Schicksale tun sich auf.
Foto: Benedikt Siegert Kofferball­ett: Kapitän Pruss (Alexander Kerbst) begrüßt die Passagiere der LZ 129 „Hindenburg“zur Fahrt nach New York. Unterwegs zeigt sich, dass darunter viele sind, die nicht nur an ihrem Gepäck schwer zu tragen haben. Menschlich­e Abgründe und Schicksale tun sich auf.

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