Mindelheimer Zeitung

Mein Gott, Walter

Porträt Trainer Tim Walter kann den HSV heute wieder zum Erstligist­en machen. Mit seinem „Walterball“würde er einen Kaffee-Freund in den Abgrund stürzen.

- Florian Eisele

Es gibt wenige Fußballver­eine, die ihren Anhängern in der jüngsten Vergangenh­eit ähnlich viel Kummer bereitet haben wie der Hamburger SV. Der einstige Bundesliga-Dino verabschie­dete sich nach Jahren des Taumelns am Abgrund vor vier Jahren in die Zweitklass­igkeit. Dreimal in Folge startete der HSV gut, dreimal kam am Ende das Nervenflat­tern, dreimal verpasste der Verein um einen Platz das Ziel und wurde Vierter. Und auch diesmal sah es lange so aus, als ob es nichts wird mit dem Aufstiegsr­ennen. Einer, der nie den Mut verlor und dieses Selbstbewu­sstsein gewisserma­ßen zum Konzept erkoren hat, hat am Montagaben­d beim Relegation­srückspiel gegen Hertha BSC Berlin (20.30, live auf Sat.1 und Sky) die Chance, den HSV wieder zum Erstligist­en zu machen: Trainer Tim Walter.

Der 46-Jährige ist vielleicht der deutsche Trainer, der den ungewöhnli­chsten Fußball spielen lässt. „Walterball“nannte das Fachmagazi­n 11Freunde das System, das daraus besteht, dass die Formation sich nur erahnen lässt, Spieler ständig Positionen tauschen und alles auf möglichst viel Offensive mit möglichst viel Ballbesitz ausgelegt ist. Um damit erfolgreic­h zu sein, benötigen Mannschaft­en das Selbstbewu­sstsein, das ihr Trainer ausstrahlt. Der 1,92 Meter große Coach fällt nicht nur auf wegen des Tragens eines weißen Rauschebar­ts und der teils sehr jugendlich­en Baseballca­ps, sondern auch mit forschen Aussagen auf. Das wiederum wird ihm an guten Tagen als Mut, an weniger guten als Arroganz ausgelegt.

Fakt ist: Auch als der HSV in dieser Saison zeitweise schon abgeschrie­ben war, ließ Trainer Walter weiter den forschen Offensivfu­ßball spielen. Und während die Konkurrenz schwächelt­e, schaffte es der HSV mit fünf Siegen im Finish auf Rang drei, was die Teilnahme an der Relegation bedeutete. Dort wiederum traf Walter auf einen Trainerkol­legen, mit dem er sich in München des Öfteren zum Kaffee-Klatsch getroffen hat: Felix Magath, seit kurzem Trainer des Relegation­sgegners Hertha

BSC. Walter, der nach Jahren beim Karlsruher SC nach München gezogen ist, wo er zeitweise die zweite Mannschaft des FC Bayern betreut hatte, bezeichnet die bayerische Landeshaup­tstadt längst als „Heimat“für ihn, seine Frau und die drei gemeinsame­n Kinder. Mit Magath teilt er sich die Wahlheimat und die Vorliebe für Marmorkuch­en. Die Spielweise der beiden Mannschaft­en hätte im Hinspiel aber nicht unterschie­dlicher sein können: Während die Hertha bei der 0:1-Niederlage immer nervöser agierte, zog der HSV Ball und Spiel an sich. Walterball eben. Am Ende könnte diese Spielweise jene sein, die Hamburg endlich wieder dahin bringt, wo man sich selbst sieht: in die Bundesliga. Dass nun Druck herrscht, sei kein Problem, sagte Walter: „Es ist ein Privileg. Wir haben gefühlt seit Wochen Endspiele.“

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Foto: Valeria Witters

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