Der Weg in die EU ist der Ukraine verbaut
Leitartikel Soll Europa sich einen brodelnden Krisenherd in sein Haus holen? Schon unter normalen Umständen hätte das Land kaum Chancen auf Aufnahme.
Mit dem Blut ihrer Männer und Frauen verteidigt die Ukraine die Freiheit Europas. Der Klang solcher Worte war uns fremd geworden. Heldenmut und Heldentod glaubte Deutschland nicht mehr nötig zu haben. Aus ihrem Opfergang – noch so ein altes Wort – leiten die Ukrainer die Forderung ab, schnell in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Damit verbinden sich drei Hoffnungen: 1. Wechsel aus dem Machtbereich Russlands in den Machtbereich des Westens, 2. eine bessere ökonomische Entwicklung, 3. die Beistandspflicht der 27 EUMitgliedsländer, sollte in Moskau ein neuer Krieg geplant werden.
Weil auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock die alten Tugenden rhetorisch wieder aufnahmen und die Ukrainer zu Verteidigern Europas
erklären, ist es für die Bundesregierung schwierig, den Wunsch abzuschlagen. Dennoch kann sich in der deutschen Staatsspitze niemand für einen EU-Beitritt als Belohnung für das Blutopfer erwärmen – und dafür gibt es gute Gründe. Die Ukraine liegt im Überlappungsbereich zweier Einflusszonen, einerseits der russischen, andererseits der amerikanischen. Die bestehende europäische Friedensordnung ist zusammengebrochen, weil Wladimir Putin die Ukraine mit roher Gewalt unter Kontrolle bringen will. Zuvor bestand in Europa der Irrglaube, es gäbe keine Einflusszonen mehr nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Dieser Irrglaube übersah, dass Europa selbst Teil der amerikanischen Einflusszone war und der Kampf um Vorherrschaft nur aufgrund der Schwäche Russlands nach dem Ende der Sowjetunion ruhte.
Für die Zukunft der Ukraine sind das düstere Aussichten. Wenn der Krieg etwa damit endet, dass Russland einen Teil des Nachbarlandes besetzt hält, dann besteht immer die Gefahr einer neuerlichen Eskalation.
Die Europäer würden sich damit einen brodelnden Konflikt in ihren Staatenklub holen, was nicht in ihrem Interesse liegen kann. Gegen eine schnelle Mitgliedschaft spricht auch, dass die dafür gültigen Prinzipien der Kopenhagener Kriterien außer Kraft gesetzt werden müssten. Selbst unter normalen Bedingungen würde es Jahre dauern, bis die Ukraine EU-Recht in nationales
Recht übertragen hätte. Außerdem kann ein halb zerstörtes Land keine Wirtschaft haben, die dem EU-Wettbewerbsdruck standhielte. Und ob die ukrainischen Oligarchen nach dem Schweigen der Waffen freiwillig auf ihre politische Macht verzichten, ist zweifelhaft.
Die Europäer könnten natürlich ihre eigenen Bedingungen für nichtig erklären und die Ukraine in die eigenen Reihen aufnehmen, um sie von Putin wegzuziehen.
Gleiches könnte dann mit Moldawien und den Ländern des Westbalkans geschehen. All diese Staaten erfüllen die Kopenhagener Kriterien nicht. Wenn sich die EU aus geostrategischen Gründen dazu entscheidet, die eigenen Ränder stärker an sich zu binden, müsste sie bereit sein, diese Länder mit viel Geld dauerhaft zu subventionieren. Sie müsste auch bereit sein zu akzeptieren, dass Politik dort nicht nach dem Brüsseler Lehrbuch über demokratische Staatskunst gemacht würde. Die Probleme dort wären dann Probleme der Europäer.
Aus all diesen Gründen ist es für die Europäer besser, der Ukraine, Moldawien, Georgien und BosnienHerzegowina die Aufnahme in eine erweiterte politische Gemeinschaft anzubieten. Im Osten des Kontinents würde damit eine Schnur von Pufferstaaten gebildet, die eng an die EU gebunden wären, ohne Mitglied zu sein. Was für die Europäer besser wäre, wäre für die Ukrainer jedoch eine herbe Enttäuschung. Sterben für eine halbe Mitgliedschaft in der europäischen Familie ist kein schöner Heldentod.
Das Maximum ist eine lockere Partnerschaft