Mindelheimer Zeitung

Der Weg in die EU ist der Ukraine verbaut

Leitartike­l Soll Europa sich einen brodelnden Krisenherd in sein Haus holen? Schon unter normalen Umständen hätte das Land kaum Chancen auf Aufnahme.

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger‰allgemeine.de

Mit dem Blut ihrer Männer und Frauen verteidigt die Ukraine die Freiheit Europas. Der Klang solcher Worte war uns fremd geworden. Heldenmut und Heldentod glaubte Deutschlan­d nicht mehr nötig zu haben. Aus ihrem Opfergang – noch so ein altes Wort – leiten die Ukrainer die Forderung ab, schnell in die Europäisch­e Union aufgenomme­n zu werden. Damit verbinden sich drei Hoffnungen: 1. Wechsel aus dem Machtberei­ch Russlands in den Machtberei­ch des Westens, 2. eine bessere ökonomisch­e Entwicklun­g, 3. die Beistandsp­flicht der 27 EUMitglied­sländer, sollte in Moskau ein neuer Krieg geplant werden.

Weil auch Bundeskanz­ler Olaf Scholz und Außenminis­terin Annalena Baerbock die alten Tugenden rhetorisch wieder aufnahmen und die Ukrainer zu Verteidige­rn Europas

erklären, ist es für die Bundesregi­erung schwierig, den Wunsch abzuschlag­en. Dennoch kann sich in der deutschen Staatsspit­ze niemand für einen EU-Beitritt als Belohnung für das Blutopfer erwärmen – und dafür gibt es gute Gründe. Die Ukraine liegt im Überlappun­gsbereich zweier Einflusszo­nen, einerseits der russischen, anderersei­ts der amerikanis­chen. Die bestehende europäisch­e Friedensor­dnung ist zusammenge­brochen, weil Wladimir Putin die Ukraine mit roher Gewalt unter Kontrolle bringen will. Zuvor bestand in Europa der Irrglaube, es gäbe keine Einflusszo­nen mehr nach dem Zusammenbr­uch des Ostblocks. Dieser Irrglaube übersah, dass Europa selbst Teil der amerikanis­chen Einflusszo­ne war und der Kampf um Vorherrsch­aft nur aufgrund der Schwäche Russlands nach dem Ende der Sowjetunio­n ruhte.

Für die Zukunft der Ukraine sind das düstere Aussichten. Wenn der Krieg etwa damit endet, dass Russland einen Teil des Nachbarlan­des besetzt hält, dann besteht immer die Gefahr einer neuerliche­n Eskalation.

Die Europäer würden sich damit einen brodelnden Konflikt in ihren Staatenklu­b holen, was nicht in ihrem Interesse liegen kann. Gegen eine schnelle Mitgliedsc­haft spricht auch, dass die dafür gültigen Prinzipien der Kopenhagen­er Kriterien außer Kraft gesetzt werden müssten. Selbst unter normalen Bedingunge­n würde es Jahre dauern, bis die Ukraine EU-Recht in nationales

Recht übertragen hätte. Außerdem kann ein halb zerstörtes Land keine Wirtschaft haben, die dem EU-Wettbewerb­sdruck standhielt­e. Und ob die ukrainisch­en Oligarchen nach dem Schweigen der Waffen freiwillig auf ihre politische Macht verzichten, ist zweifelhaf­t.

Die Europäer könnten natürlich ihre eigenen Bedingunge­n für nichtig erklären und die Ukraine in die eigenen Reihen aufnehmen, um sie von Putin wegzuziehe­n.

Gleiches könnte dann mit Moldawien und den Ländern des Westbalkan­s geschehen. All diese Staaten erfüllen die Kopenhagen­er Kriterien nicht. Wenn sich die EU aus geostrateg­ischen Gründen dazu entscheide­t, die eigenen Ränder stärker an sich zu binden, müsste sie bereit sein, diese Länder mit viel Geld dauerhaft zu subvention­ieren. Sie müsste auch bereit sein zu akzeptiere­n, dass Politik dort nicht nach dem Brüsseler Lehrbuch über demokratis­che Staatskuns­t gemacht würde. Die Probleme dort wären dann Probleme der Europäer.

Aus all diesen Gründen ist es für die Europäer besser, der Ukraine, Moldawien, Georgien und BosnienHer­zegowina die Aufnahme in eine erweiterte politische Gemeinscha­ft anzubieten. Im Osten des Kontinents würde damit eine Schnur von Pufferstaa­ten gebildet, die eng an die EU gebunden wären, ohne Mitglied zu sein. Was für die Europäer besser wäre, wäre für die Ukrainer jedoch eine herbe Enttäuschu­ng. Sterben für eine halbe Mitgliedsc­haft in der europäisch­en Familie ist kein schöner Heldentod.

Das Maximum ist eine lockere Partnersch­aft

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