Mindelheimer Zeitung

„Wir müssen lernen, mit Corona zu leben“

Interview Christian Dürr steht seit Dezember an der Spitze der FDP-Fraktion. Der Fraktionsc­hef verteidigt die Pandemie-Politik seiner Partei, die als ein Grund für die jüngsten Wahlnieder­lagen ausgemacht wurde.

- Interview: Christian Grimm

Herr Dürr, die FDP ist in keiner einfachen Lage. Drei Landtagswa­hlen brachten deprimiere­nde Ergebnisse für die Liberalen. Woran liegt das? Christian Dürr: Also zunächst einmal zu Nordrhein-Westfalen: Das ist eine bittere Wahlnieder­lage. Und als Partei der Eigenveran­twortung sucht man die Fehler nicht bei anderen, sondern bei sich selbst. Wir haben insbesonde­re bei älteren Wählern verloren. Wir haben unsere Angebote für sie nicht gut herausgear­beitet. Im Koalitions­vertrag steht ganz viel über die sichere Rente der Zukunft, was wir durchgeset­zt haben.

Sie spielen auf den Einstieg in die kapitalged­eckte Rente an?

Dürr: Ja, genau. Von der Kapitaldec­kung profitiere­n die kommenden Altersgene­rationen, aber auch die, die schon Rente beziehen. Denn die große Sorge wäre ja, dass die Renten nicht mehr steigen können, aber stattdesse­n die Beiträge in die Höhe gehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in einer alternden Gesellscha­ft leben. Es gibt weniger junge Menschen, die die Rente für die Älteren erarbeiten. Aber man wird die Jüngeren nicht unendlich belasten können. Gute Renten wird es auch nur geben, wenn wir viel mehr Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschlan­d holen. Wir reden nicht von der Zuwanderun­g in die Sozialsyst­eme, sondern von Leuten, die hart arbeiten. Das ist ebenfalls ein großes Projekt der Ampel-Regierung, das den Älteren zugutekomm­t, weil wieder mehr Beschäftig­te in die Rentenkass­e einzahlen.

Der Parteienfo­rscher Jürgen Falter hat nach der NRW-Wahl behauptet, die FDP sei für ihre Corona-Politik abgestraft worden, die auf Lockerunge­n gesetzt hat. Corona ist vor allem für ältere Menschen eine ernsthafte Gefahr. Hat Falter recht?

Dürr: Ich glaube, da ist nicht so viel dran. Schauen Sie, wenn Deutschlan­d heute den chinesisch­en Weg ginge und die Leute wieder in den Lockdown schickte, das würde doch keiner mehr mitmachen. Ganz Europa ist den Weg gegangen, den auch wir gegangen sind. Was mir wichtig ist: Die Partei der Freiheit kann nicht ruhig danebenste­hen, wenn fundamenta­le Freiheitsr­echte einfach außer Kraft gesetzt werden, und das auch noch auf Vorrat. Das geht einfach nicht. Und wenn wir uns jetzt Ende Mai die Corona-Lage anschauen, dann war es ja die absolut richtige Entscheidu­ng. Es wäre geradezu absurd, wenn wir jetzt noch den Einschränk­ungskatalo­g hätten, den ursprüngli­ch einige CDU-Ministerpr­äsidenten beibehalte­n wollten.

Corona könnte aber zurückkomm­en … Dürr: Richtig – und darauf werden wir uns vorbereite­n. Impfdosen werden bereitsteh­en und wir müssen bis dahin so weit sein, dass die FaxÄra in den Gesundheit­sämtern vorbei ist. Corona wird dauerhaft bleiben. Wir müssen lernen, damit zu leben. Die Leute einzuschli­eßen kann nicht die Antwort einer freien Gesellscha­ft sein.

Eine andere Erklärung für das schwache Abschneide­n der FDP ist, dass Finanzmini­ster Lindner zum Schuldenma­cher geworden ist und sich Stammwähle­r scharenwei­se abwenden …

Dürr: Ich will meine Antwort mal zweiteilen. Das eine ist die aktuelle Situation. Wir machen zurzeit Schulden und das alles andere als gerne. Aber wenn Sie es zum Beispiel auf die 100 Milliarden für die Bundeswehr beziehen, dann müssen wir viel nachholen, was in der Vergangenh­eit von der Union verschlafe­n wurde. Und ich will Ihnen sagen, dass wir als FDP überborden­de Schulden verhindert haben. Ich war selbst bei den Beratungen über den Haushalt dabei, die wir gerade abgeschlos­sen haben. Ohne uns wären Dutzende Milliarden mehr hinzugekom­men.

Und im nächsten Jahr werden Sie die Schuldenbr­emse wirklich einhalten?

Dürr: Das ist das Zweite. Ab dem 1. Januar 2023 werden wir die Schuldenbr­emse wieder einhalten. Das erfordert sehr viel Haushaltsd­isziplin und auch sehr viel Disziplin vonseiten der Politik. Aber das ist unser

Beitrag als Liberale. Machen wir uns gar nichts vor: Wenn die Große Koalition noch regieren würde, dann würde die Schuldenbr­emse wahrschein­lich gar nicht wieder in Kraft gesetzt. Und wenn SPD und Grüne ohne uns regieren würden, wäre das genauso. Und das ist der Unterschie­d, den die FDP macht.

Ist das Ihr zentrales Verspreche­n an die Wähler? Soll solide Finanzpoli­tik der Anker sein, den die Menschen mit die FDP verbinden?

Dürr: Ja. Und wir bleiben ja nicht bei der drastische­n Senkung der Neuverschu­ldung. Wir haben den Menschen auch versproche­n, dass es keine Steuererhö­hungen gibt. Das halten wir. Stattdesse­n entlasten wir sogar. Gerade vergangene Woche haben wir das im Bundestag beschlosse­n. Der Grundfreib­etrag bei der Einkommens­teuer steigt und auch der Pauschalbe­trag – rückwirken­d zum 1. Januar dieses Jahres. Der Einzelne hat dadurch mehrere hundert Euro mehr zur Verfügung. Das, glaube ich, zeigt das Profil der FDP auch in dieser Koalition und von daher machen wir da schon einen Unterschie­d, auch wenn das jetzt natürlich durch den Krieg in den Hintergrun­d getreten ist.

Die Steuerschä­tzer haben dem Finanzmini­ster eine schöne Vorhersage gemacht. Bund und Länder werden dieses und in den folgenden Jahren jeweils rund 40 Milliarden Euro mehr einnehmen. Der FDP stünde es doch gut zu Gesicht, die Steuern zu senken. Dürr: Wir wollen die kalte Progressio­n beseitigen. Der Staat darf nicht davon profitiere­n, wenn wegen der Inflation die Löhne zwar stärker steigen, aber die Leute am Ende weniger davon haben. Die FDP würde natürlich die Steuern gerne darüber hinaus senken. Aber wir sind Teil einer Koalition. Unsere beiden Partner Grüne und SPD hatten im Wahlkampf sogar mit höheren Steuern um Stimmen gekämpft. Dass sie eingeführt werden, konnten wir verhindern.

Am Freitag wurde nach Krach mit den Ländern das Neun-Euro-Ticket eingeführt. Vom Tankrabatt, den die FDP durchgeset­zt hat, war nichts weiter zu hören. Kommt er überhaupt noch? Dürr: Der Tankrabatt kommt zum ersten Juni zeitgleich mit dem Neun-Euro-Ticket. Darauf kann man sich auch verlassen. Beides ist auf drei Monate befristet. Die Pendler hatten in den letzten Monaten erhebliche Mehrkosten zu schultern und verdienen Entlastung.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Der FDP‰Fraktionsc­hef Christian Dürr ist sich sicher, dass es richtig war, Corona‰Einschränk­ungen zügig abzuräumen. Allerdings wird darüber diskutiert, dass gerade ältere Menschen durch die flächendec­kenden Öff‰ nungen gefährdet werden könnten.
 ?? ?? Christian Dürr, 45, ist Mit‰ glied des Deutschen Bundestage­s und seit De‰ zember 2021 Fraktions‰ vorsitzend­er der FDP.
Christian Dürr, 45, ist Mit‰ glied des Deutschen Bundestage­s und seit De‰ zember 2021 Fraktions‰ vorsitzend­er der FDP.

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