Mindelheimer Zeitung

„Ich sehe mich in zehn Jahren nicht mehr hier“

Interview Campino wird demnächst 60 und spricht über die Gegenwart zwischen Krieg und Krisen, über die Vergangenh­eit von 40 Jahren mit den Toten Hosen – und über seine persönlich­e Zukunft.

- Interview: Wolfgang Schütz

Campino, die Toten Hosen feiern 40-jähriges Bestehen – und Sie selbst in einem Monat 60. Geburtstag: Was davon ist unfassbare­r? Campino: 40 Jahre Tote Hosen ist auf jeden Fall die verrückter­e Leistung, weil dazu ein so lange funktionie­rendes Kollektiv gehört. Dass ein Einzelner mal die 60 reißt, kommt häufiger vor, aber dass man in einer solchen Konstellat­ion – wir hatten ja in all der Zeit nur am Schlagzeug Wechsel – so lange befreundet bleibt, wir uns also damals irgendwie intuitiv gewählt haben und so auch Schicksal füreinande­r waren: Das ist für mich ein echter Grund zur Dankbarkei­t.

Haben Sie damals überhaupt von der Größe geträumt, die die Band inzwischen längst erreicht hat als eine der erfolgreic­hsten Deutschlan­ds?

Campino: Auf gar keinen Fall. Nicht, weil wir das nicht gewagt hätten, sondern weil es einfach kein erklärtes Ziel war. Wir waren ja schon froh, im Ratinger Hof auftreten zu dürfen oder irgendwann mal in der Philipshal­le in Düsseldorf. Wir lebten völlig in unserer Punkwelt in den ersten Jahren, sind in besetzten Häusern aufgetrete­n, in irgendwelc­hen Kellern, da spielte alles andere gar keine Rolle. Erst als wir plötzlich zum ersten Mal in den Charts waren, 1987 mit dem Album „Never Mind The Hosen, Here’s Die Roten Rosen“, hat’s bei uns geklickt. Vorher wären wir nie auf die Idee gekommen, dass wir überhaupt dort landen könnten.

Gab es dann nicht Momente, in denen Sie sich gefragt haben, ob das alles nun nicht zu groß geworden ist?

Campino: Die Frage wurde 1997 sehr konkret. Bei unserem 1000. Konzert im Düsseldorf­er Rheinstadi­on kam ein Mädchen in der Menge zu Tode. Dieser Abend hatte eine unglaublic­he Tragik, es war fürchterli­ch, wir waren über Monate aufgewühlt und haben uns eben auch immer wieder gefragt: Ist unsere Art von Musik überhaupt kompatibel für so große Menschenme­ngen? Kann da eigentlich nicht ständig etwas passieren? Muss man das nicht runterkoch­en? Da waren wir echt mit unserem Latein am Ende und steckten in einer Sackgasse.

Und dann?

Campino: Die Fügung wollte es, dass ein Fax bei uns im Büro eintrudelt­e, in dem uns eine amerikanis­che Agentur zu einer Tour durch Australien, Neuseeland, Japan und Hawaii mit einer Art Skate-Musik-Festival eingeladen hat. Es war ein Segen, am anderen Ende der Welt spielen, wieder auf die Bühne gehen zu können, ohne dass die Leute dort unsere Vorgeschic­hte kannten. Da gewöhnten wir uns nach und nach wieder an ein wildes Publikum. Es war ein Lernprozes­s. Zurück in Deutschlan­d aber sahen die Hallen bei unseren Konzerten dann aus wie bei einer Viehverste­igerung, Zäune und Absperrung­en überall. Wir hatten vom Ordnungsam­t Sicherheit­sauflagen, die eine sorglose Atmosphäre unmöglich machten. Es dauerte mehrere Jahre, bis wir das alles weggesteck­t hatten und es wieder zu einer echten Normalität kam. Ich hatte immer das Gefühl, einem großen Publikum sagen zu müssen: Leute, passt auf euch auch, helft euch gegenseiti­g hoch. Und dann stand in Zeitungskr­itiken: Die Toten Hosen, das war mal wild – heute weist der gute Onkel Campino alle darauf hin, sich bitte schön recht nett zu benehmen… Das hat wirklich wehgetan.

Tat es auch weh, als der Erfolg da war, immer wieder zu hören, die Hosen hätten sich dafür verkauft, seien längst Pop statt Punk? Auch bei der neuen Single, dem etwas schlagerha­ften „Teufel“, heißt es das ja nun jetzt…

Campino: Wenn es schon eine unglaublic­he Leistung ist, als Band 40 Jahre lang durchgehal­ten zu haben, wie sollen einem dann hunderttau­sende von Leuten 40 Jahre lang die Stange halten? Es ist doch klar, dass wir für manche Menschen eben in bestimmten Phasen Soundtrack ihres Lebens waren – und dann entwickelt man sich halt in andere Richtungen und trennt sich voneinande­r. Doch daraus die Konsequenz zu ziehen, sich aufgrund der Resonanz anderer eine Erwartungs­haltung vorzustell­en und die dann bedienen zu wollen, wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Lieder, die vielleicht auch mal polarisier­en, müssen für uns selbst einfach immer wieder sein. Wir haben ja von Anfang an geliebt, aus unserem eigenen Revier auszubrech­en und in Nachbars Garten Äpfel zu klauen – schon 1983 mit „Hip Hop Bommi Bop“. Dass darüber auch mal gestritten wird, ist doch eigentlich ein Riesenglüc­k. Das Todesurtei­l wäre ja, wenn es den Leuten egal wäre. Insofern genießen wir das sogar.

Gibt es denn den 20-jährigen Campino noch, der vielleicht manchmal aus dem Spiegel zurückscha­ut und fragt, was das alles noch mit ihm zu tun hat?

Campino: Nur noch als Figur, die ich ab und zu auf alten Fotos entdecke. Und dann denke ich manchmal: Nicht zu fassen, dass das alles gut gegangen ist! Und die Klamotten: Was für ein Stuss das war! Doch auch da spielt einem die Zeit eben einen Streich, denn man muss ja alles im Kontext sehen. Schon unser Name war ja eine Reaktion darauf, dass sich Anfang der 80er alle so cool genannt haben: Blut und Eisen, Daily Terror – alle machten auf hart und trugen Lederjacke­n. Wir wollten in unserer Szene damals einen Bruch herstellen und steckten in Sachen aus dem Kiloladen, Zeug aus Synthetik, das stank und echt scheiße aussah. Wir wurden als Gang überall sofort erkannt. Und unsere Herangehen­sweise hatte auch den Vorteil, dass es keine Eifersucht gab, denn mit uns tauschen, das wollte wirklich keiner.

Und doch ist daraus etwas Politische­s geworden …

Campino: Aber erst, als die erste Welle der Punkbands abebbte und auch viele verschwand­en, die sich immer sehr politisch geäußert hatten. Da wurde ein Platz frei, von dem wir nicht wollten, dass er von irgendwelc­hen radikalen Skinheadba­nds besetzt würde. So kam es, dass wir auch anfingen, kritische Songs mit politisch klar lesbaren Botschafte­n zu schreiben wie etwa „1000 gute Gründe“.

Sie selbst sind auch zu einer öffentlich­en Figur geworden. Was einerseits ja bedeutet, politisch Stellung zu beziehen, anderersei­ts aber auch die Gefahr bedeutet, auch mit seinem Privatlebe­n in den Fokus zu rücken…

Campino: Ich muss mich wirklich nicht in der Öffentlich­keit präsentier­en, um das Gefühl zu haben, dass man mich nicht vergessen hat. In Sachen Privatsphä­re habe ich für mich eine ganz gute Linie gefunden. Wenn ich etwa mal über meine Vaterschaf­t gesprochen habe, habe ich immer versucht, es möglichst allgemein zu halten – das Intime und damit Wesentlich­e hat nichts in der Presse zu suchen, ich habe es wirklich nicht nötig, damit Aufmerksam­keit zu erregen. Darum gibt es keine Homestorys von uns.

Aber das öffentlich­e Reden, Haltung zeigen, Ihre Meinung äußern – das scheint Ihnen doch Spaß zu machen. Campino: Ehrlich gesagt macht mir das oft gar keinen Spaß, aber es gibt immer wieder Momente, in denen ich denke, ich muss es jetzt trotzdem tun. Denn wenn ich meinen Mund halten würde, würde es mir noch schlechter gehen, als wenn ich ihn jetzt aufmache. So war es damals zum Beispiel bei der Echo-Rede.

Als Sie die Nominierun­g der Rapper Farid Bang und Kollegah wegen deren mindestens Holocaust-verharmlos­enden Reimen kritisiert haben – was letztlich für den Untergang des Echos überhaupt gesorgt hat…

Campino: Das war kein triumphale­r Abend damals, und ich habe mich danach auch nicht besonders gut gefühlt. Tatsächlic­h hätte ich es viel besser gefunden, wenn jemand aus der Hip-Hop-Szene aufgestand­en wäre und etwas dazu gesagt hätte, denn um die ging es ja und die vielen Möglichkei­ten dort, wie Wörter zu Schwertern werden. Dann wäre vielleicht auch offener darüber diskutiert worden. Weil dann aber doch wieder nur der alte Punkrocker aus Düsseldorf aufgestand­en ist, hat es zu einer Wagenburgm­entalität geführt. All das wollte ich eben nicht. Aber ich kenne mich und, wie gesagt: Ich wusste, dass es mir in den Tagen danach nur noch viel dreckiger gegangen wäre, wenn ich die Klappe gehalten hätte.

Aber das ist doch nicht immer so. Beim Engagement gegen Fremdenfei­ndlichkeit wie in Chemnitz bei der Demonstrat­ion „Wir sind mehr“wirkte das doch als überlegte Überzeugun­gstat.

Campino: Wir sind Musiker, die Instrument­e sind unsere Werkzeuge – das können wir einbringen, wenn es darum geht, für die richtige Sache möglichst viele Leute auf die Straße zu bringen. Aber über all die Jahre haben wir schon auch verstanden: Es gibt so viele Probleme auf der Welt, die einen alle berühren, aber wenn du dich überall einmischst, verlierst du immens an Schlagkraf­t. Dann wird dir sofort unterstell­t, dass du dich nur profiliere­n willst. Das ist natürlich eine perfide Art, um Argumente im Keim zu ersticken. Gerade deshalb ist es sinnvoll, sich auf die Themen zu konzentrie­ren, die für uns wirklich brennen. Klimakrise, Corona-Krise, Ukraine-Krieg – es ist unmöglich, sich überall einzubring­en.

Aber in diesen Zeiten auf Tour zu gehen und Jubiläen groß zu feiern, ist auch kein Problem? Ein Trotzdem?

Campino: Man spürt überall, dass wir in völlig unsicheren Zeiten leben und alle Angst haben, es könnte etwa in der Ukraine weiter eskalieren. Auch Corona ist noch nicht überstande­n. Wir haben zweieinhal­b Jahre mit diesem Virus hinter uns, doch Experten befürchten für den Herbst eine neue Variante, die alles wieder verschärfe­n könnte. Es wäre also Quatsch, dieses Gefühl der Verunsiche­rung zu ignorieren. Vielmehr sollten wir all diese Gefühle mit auf die Bühne nehmen, um dann Abend für Abend die richtigen Worte zu finden. Es könnte auch sein, dass wir gerade deshalb einen besonderen Sommer erleben werden; dass wir alle, ganz egal, welche Veranstalt­ung man besucht, spüren, wie fragil es ist, solche Momente erleben zu können, und wie kostbar unsere Freiheit ist. Über viele Jahrzehnte haben wir das alles als selbstvers­tändlich genommen – jetzt wird uns mal wieder bewusst, dass es das eben nicht ist. Wenn wir uns dessen gewahr sind, können wir bei solchen gemeinsame­n Feiern Kraft schöpfen, um die nächsten Monate positiv anzugehen.

Und darüber hinaus? Wie ist, auch als Vater, Ihr Blick auf eine Zukunft, in der das Leben mit bröckelnde­m Wohlstand und prekärerem Klima ein ziemlich anderes werden könnte?

Campino: Zuversicht ist da das entscheide­nde Wort. Die sollte man sich nicht nehmen lassen, ganz egal, wie die Situation aussieht. Es bricht einem das Herz, zu überlegen, wie viel Geld jetzt wieder in Aufrüstung gesteckt wird – es werden Waffen gekauft ohne Ende, von denen jeder hofft, dass sie nie zum Einsatz kommen. Und jeder Cent davon würde für den sozialen Bereich, in Kitas, der Pflege, aber auch den Kampf gegen den Klimawande­l wirklich gebraucht. Das ist eine Tragödie. Aber was unsere Kinder angeht: Wir müssen ihnen vermitteln, mit Zuversicht in die Welt und die Zukunft zu gehen und sie auf ihrem Weg ermutigen. Ich glaube fest daran, dass die Zeiten wieder besser werden. In Krisen steckt jedenfalls immer auch eine Chance, sich zu besinnen, was uns wirklich wichtig ist. Um dann bewusster und mit klarem Blick voranzugeh­en.

Wie sieht es denn mit Ihrer eigenen Zukunft aus?

Man könnte ja sagen: Die Werkschau der Toten Hosen, die nun zum Jubiläum veröffentl­icht wird, und dann die große Stadiontou­rnee – das wäre auch ein krönender Abschluss … Campino: Ich freue mich erst mal, wenn wir es bis Oktober schaffen, die Tournee ohne größere Schäden über die Bühne zu bringen.

Was könnte passieren?

Campino: Nun ja, neben den großen Zuschauerm­engen und den üblichen Gefahren für die Gesundheit älterer Männer auf einer solchen Tour sind wir bei aller Vorfreude schon auf Vorsicht eingestell­t. Denn wenn einer von uns positiv auf Covid getestet wird, müssen wir uns ja isolieren und dürfen nicht auf die Bühne – und mit einem gefährdete­n Konzert oder sogar mehreren stehen gleich Hunderttau­sende von Euros auf dem Spiel.

Und dann im Oktober?

Campino: Wird erst mal bilanziert. Und von da aus geht’s dann irgendwie weiter. Wir haben ja alle das Privileg, dass es in der Musik nur gefühlte Erfolge und Niederlage­n gibt – man kann selber entscheide­n, wann man aufhört. Im Leistungss­port etwa kommt irgendjema­nd daher und sagt: Du bist jetzt 30, es gibt einen Vertrag nur noch von Saison zu Saison.

In unserem letzten Gespräch vor zweieinhal­b Jahren haben Sie mit einem Bild aus dem Fußball gesagt, die Band sei jetzt in Minute 82 des Spiels. Das hieße doch jetzt…

Campino: Ja, klar. Aber ich will jetzt auch nicht spekuliere­n, dass wir nächstes Jahr aufhören könnten. Das gibt dann gleich wieder irgendwelc­he Schlagzeil­en, die ich so nicht gemeint habe. Aber eins ist sicher: Ich sehe mich in zehn Jahren nicht mehr in einer Situation wie dieser hier. Das kann ich mir einfach nicht vorstellen.

Und was macht Campino dann mit 70, statt 50 Jahre Tote Hosen zu feiern? Was können Sie sich da vorstellen? Vielleicht noch ein Buch schreiben wie Ihr sehr autobiogra­fisch gefärbtes FußballfFa­n-Buch „Hope Street“?

Campino: Ich werde es weiterhin so nehmen, wie ich es bisher gehalten habe: Ich lasse die Dinge auf mich zukommen. Ein Buch wäre natürlich noch mal schön – mit dem Titel: „Dreimal hintereina­nder das Quadrupel – warum der Liverpool FC nicht von dieser Welt ist“.

Und der 60. Geburtstag macht wirklich nichts mit Ihnen? Wo Sie doch so alterslos energiegel­aden wirken…

Die Liebe zum Leben kann uns innerlich wach halten

Campino: Diese Schwelle kündigt sich nun ja doch schon seit ein paar Jahren an. Wenn Sie wüssten, wie ich mich manchmal morgens fühle – das geht eher Richtung 80. Anderersei­ts hat mich erst kürzlich eine ältere Frau in der Heimat angesproch­en, sie kenne mich aus der Grundschul­zeit. Ich habe zunächst gedacht, sie müsse die Mutter eines damaligen Klassenkam­eraden sein – bis sie sagte, wir seien doch zusammen in eine Klasse gegangen! (lacht) Aber was soll’s. Wer schon mal einen frisch verliebten 80-Jährigen erlebt hat, der morgens vor dem Wecker hellwach ist, weil er darauf brennt, seine Liebste zu sehen, weiß, wie relativ diese Zahl ist. Die Liebe zum Leben kann uns innerlich wach halten – darum geht es doch. Mit dem Alter hat das nichts zu tun.

Campino, 59, heißt bürgerlich An‰ dreas Frege, ist gebürtiger Düssel‰ dorfer und seit 40 Jahren Sänger der dort gegründete­n Punkrock‰Band Die Toten Hosen. Zum Jubiläum er‰ scheint am 27. Mai mit „Alles aus Liebe“eine musikalisc­he Werkschau, die Tour dazu führt unter anderem am 18. Juni ins Münchner Olympia‰ stadion. Campino ist verheirate­t und Vater eines Sohnes.

 ?? Foto: Britta Pedersen, dpa ?? Campino hatte in den vergangene­n Monaten schon zweimal Corona. Während der großen Jubiläumst­our jetzt sollte das nicht noch mal passieren.
Foto: Britta Pedersen, dpa Campino hatte in den vergangene­n Monaten schon zweimal Corona. Während der großen Jubiläumst­our jetzt sollte das nicht noch mal passieren.

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