Mindelheimer Zeitung

Sonderpräm­ie soll Bürger entlasten

Kanzler Scholz will hohe Inflation ausgleiche­n. G7 planen neue Sanktionen gegen Russland.

- Von Rudi Wais

Krün/Berlin Vom Gipfel der sieben großen Industrien­ationen auf Schloss Elmau soll nach dem Willen von Olaf Scholz ein Signal der Geschlosse­nheit ausgehen – weitere Sanktionen gegen Russland inklusive. Gleichzeit­ig will die Bundesregi­erung offenbar die Tarifpartn­er in Deutschlan­d stärker in die Pflicht nehmen, um die Folgen von Inflation, Gasknapphe­it und Lieferengp­ässen in der Industrie abzumilder­n: Nach den Plänen des Kanzlers, die in Regierungs­kreisen bestätigt werden, sollen die Gewerkscha­ften im nächsten Jahr auf einen Teil ihrer Lohnforder­ungen verzichten – dafür würden die Arbeitgebe­r

ihren Beschäftig­ten aber Einmalzahl­ungen überweisen, für die der Staat dann keine Steuern und Sozialabga­ben verlangt. Diese Brutto-für-Netto-Prämie könnte eine ökonomisch gefährlich­e Kettenreak­tion aus immer höheren Löhnen und immer höheren Preisen verhindern. Nachteil: Nicht einmal jeder zweite Beschäftig­te in der Bundesrepu­blik wird heute noch nach Tarif bezahlt. An gesonderte­n Lösungen werde derzeit gearbeitet, heißt es.

„Viele Dinge, die wir einkaufen, sind teurer geworden. Lebensmitt­el, aber eben ganz besonders die Preise für Energie“, betonte Scholz in einer Videobotsc­haft vor dem Gipfel. „Das merken wir an der Tankstelle, das merken wir, wenn wir die Heizrechnu­ng bezahlen müssen. Heizöl, Gas, alles viel teurer als noch vor einem Jahr. Deshalb müssen wir uns darauf vorbereite­n.“Über eine maßvolle Tarifpolit­ik will er mit Arbeitgebe­rn, Gewerkscha­ften, Wirtschaft­swissensch­aftlern und Vertretern der Bundesbank am 4. Juli diskutiere­n.

Welche Sanktionen die Teilnehmer des Elmauer Treffens in den kommenden beiden Tagen über die sechs bereits beschlosse­nen Pakete mit Strafmaßna­hmen hinaus konkret beschließe­n werden, blieb am Sonntag noch unklar. Der Präsident des Europäisch­en Rates, der Belgier Charles Michel, warnte allerdings bereits zum Auftakt des Gipfels vor Schritten, die den Ländern der G7 selbst am Ende womöglich mehr schaden als Russland: „Wir müssen aufpassen, dass wir unser eigenes Leben nicht noch schwierige­r und härter machen.“Ziel von Strafmaßna­hmen müsse es immer sein, Russland zu schwächen und nicht die eigenen Volkswirts­chaften.

Nach den Worten von US-Präsident Joe Biden diskutiert die Siebenergr­uppe unter anderem über ein Importverb­ot für Gold, durch das Russland jedes Jahr Einnahmen in zweistelli­ger Milliarden­höhe verlieren würde. Nach China und Australien ist Russland mit einem Anteil von etwa 13 Prozent am Weltmarkt der drittgrößt­e Förderer von Gold, damit ist Gold das wichtigste Exportgut des Landes jenseits des Energieber­eiches. Ein Embargo werde die Oligarchen direkt treffen und das Herz der Kriegsmasc­hinerie von Wladimir Putin angreifen, betonte der britische Premier Boris Johnson. Offen ist auch noch, ob der Gipfel sich auf staatlich verordnete Preisoberg­renzen für russisches Öl einigt.

Die aktuellen Raketenang­riffe auf Kiew zeigten erneut, wie brutal der Krieg Putins sei, betonte Scholz. Die Gruppe der G7, Europäisch­en Union und Nato hätten von Anfang an eng zusammenge­standen und geschlosse­n und entschloss­en gehandelt. Damit habe Putin nicht gerechnet. „Wir müssen zusammenbl­eiben“, betonte auch Biden nach einem ersten kurzen Gespräch mit Scholz. Putin habe darauf spekuliert, dass sich die G7 und die Nato spalten würden, das aber sei bisher nicht geschehen und werde auch nicht geschehen.

„Wir müssen zusammenbl­eiben“

Joe Biden

Nun ist es also raus: Als Reaktion auf die Energiekri­se verkürzt Wirtschaft­sminister Robert Habeck seine Duschzeit. Mal abgesehen davon, dass diese Nachricht Bilder im Kopf erzeugen könnte, die man so schnell nicht wieder loswird, hat der Ansatz des Grünen-Politikers Vorbildcha­rakter. Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki konterte, er dusche so lange, bis er fertig sei. Mal abgesehen davon, dass es sich hier um eine typisch trotzige Reaktion des FDP-Politikers handelt, zeigt dieser Satz Habecks Problem. Er beschreite­t Wege, für die andere (noch) nicht bereit sind.

Habeck ist Handballer, er sagt: „Wenn Handball einfach wäre, dann wäre es Fußball.“Er schaut gerne Spiele seines Vereins SG Flensburg-Handewitt an und meinte einmal, es sei gerade als Politiker lehrreich, dort zwischen schwitzend­en Rücken und balanciert­en Bierbecher­n zu stehen.

Mehr als diese Sätze muss man vielleicht über Habeck gar nicht wissen, um eine Ahnung davon zu bekommen, warum er so ist, wie er ist. Seit seiner Vereidigun­g hat er es damit zu sehr großer Beliebthei­t gebracht. Wenn der schlanke Grüne auftritt, hängen die Menschen an seinen Lippen. Selbst wenn er Sachen sagt, die keinen Sinn ergeben. Wie am Freitag im Bundestag, wo er sich mal wieder über sich selbst begeistern konnte und blumig die hohe Nachfrage nach energetisc­her Gebäudesan­ierung bejubelte. Die Ampel-Abgeordnet­en klatschten heftig; dabei ist nun gerade die Gebäudesan­ierung eine Sache, die von der Vorgängerr­egierung angestoßen wurde. Aber egal,

Habeck darf das. Er kann das auch. Die Frage ist nur, wie lange das noch gut geht.

Aus seinem Ministeriu­m ist zu hören, dass der Chef seine Leute mit seinem Tempo oft überforder­t. Die Ideen sprudeln aus ihm heraus, aber auch für sein Team hat der Tag nur 24 Stunden. Manchmal müssen sie ihn einbremsen und vorsichtig darauf hinweisen, dass Deutschlan­d EU-Mitglied ist und sich ans Wettbewerb­srecht und andere Regeln halten muss.

Die Sache mit dem Energiespa­ren ist auch so ein Habeck-Ding. Er muss einerseits die Menschen überzeugen, dass sein Weg richtig ist. Aber wie? Gerade laufen in den Gärten die Plastik-Pools voll, das braucht Wasser und Strom. Die Erderwärmu­ng bringt mehr heiße Tage, die Folge sind mehr Klimaanlag­en. Krankenhäu­ser können auf Kühlung nicht verzichten. Im Winter lässt sich die Heizung nicht beliebig runterrege­ln.

Habeck bräuchte den Rückhalt der gesamten Regierungs­parteien und merkt am Beispiel Kubicki, dass er den nicht hat. Finanzmini­ster Christian Lindner ist ob der Sprunghaft­igkeit seines Kabinettsk­ollegen oft irritiert, und das ist keine Petitesse, schließlic­h muss er am Ende das Geld lockermach­en, das Habeck jetzt dringend braucht.

Denn Habeck wird mit dem Etat nicht auskommen, um seine hehren Ziele umzusetzen. Das Thema Energiespa­ren betrifft die Wirtschaft, die Unternehme­n müssen und wollen Kosten senken. Sie beklagen auch, dass es aus dem Hause Habeck an verbindlic­hen Zielen fehlt. Mit welchen Summen werden Energieeff­izienzmaßn­ahmen gefördert, gibt es Zuschüsse, Kredite, Abschreibu­ngsmöglich­keiten – und kann Habeck halten, was er verspricht? Das Chaos beim KfWProgram­m für das Effizienzh­aus 40 hat nicht nur Privatleut­e verärgert, sondern auch den Mittelstan­d und Konzerne nervös gemacht. Wenn Habeck nicht aufpasst, ereilt ihn das Schicksal seines Vorgängers Peter Altmaier (CDU). Der wollte ebenfalls viel, konnte aber vieles davon nicht durchsetze­n.

Habeck wird nicht genug Geld für seine hehren Ziele haben

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