Mindelheimer Zeitung

Öl-Stadt auf Entzug

- Von Christian Grimm

Die Raffinerie PCK ist für Schwedt in der Uckermark das, was Daimler für Stuttgart ist. Doch nun will Deutschlan­d kein russisches Öl mehr abnehmen – eine Katastroph­e für die ganze Region. Kommt der Betrieb des großen Arbeitgebe­rs schon bald zum Erliegen?

Schwedt/Oder In Schwedt ist alles gut, wenn die Fackel brennt. Wenn das Leuchten die Nacht erhellt, dann wissen sie, dass das Werk am Rande ihrer Stadt arbeitet. In Schwedt fragen sich in diesen Tagen alle, ob die Fackel am Ende des Jahres erlischt? Nach sechs Jahrzehnte­n würde es finster am Ufer der Oder. Es ist ein banges Fragen. Zeitenwend­e nennt der Bundeskanz­ler den Epochenwec­hsel, der mit dem russischen Angriff auf die Ukraine einsetzte. Es gibt keinen Ort in Deutschlan­d, den die Zeitenwend­e härter treffen könnte als Schwedt. Man muss es sich vorstellen, als stünde in Stuttgart Daimler auf der Kippe. Oder Bayer in Leverkusen.

Schwedt ist physisch verbunden mit Russland, das Europa mit Krieg überzieht. Eine Röhre koppelt die Stadt an die tausende Kilometer entfernten sibirische­n Ölfelder. Die Leitung trägt den Namen Druschba – Freundscha­ft. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es eine erzwungene Freundscha­ft, heute ist es schwer, sich überhaupt eine Freundscha­ft zu Putins Russland vorzustell­en. Noch fließt das Öl aus dem Osten, diese zähflüssig­e schwarze Suppe. In Schwedt wird daraus Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin gemacht im glänzend-gewundenen Röhren-Labyrinth der Raffinerie.

Diese liegt vor der Stadt im Kiefernwal­d. Rotbraune Schlote überragen die dürren Stämme. Aus einigen schlagen die Flammen, wenn überflüssi­ges Gas abgefackel­t werden muss. Es ist der Puls der Stadt. PCK steht am Werkstor. Früher „Petrolchem­isches Kombinat“, nach der Wende „Petrolchem­ie und Kraftstoff­e“, und seit Mitte der 90er müssen es die drei Buchstaben tun. „Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit“, lautete die SED-Parole zum Wiederaufb­au der Chemieindu­strie in einem zerbombten Land. In Schwedt gilt das noch heute, zumindest was Brot und Wohlstand betrifft. „Schieber auf“ordnete der DDR-Staatsrats­vorsitzend­e Walter Ulbricht an, als er die Röhre 1963 einweihte. Wenige Monate später im Frühjahr 1964 nahm Schwedt die Produktion auf.

Ulbricht ist Geschichte, die kleine DDR auch, genau wie der große Bruder Sowjetunio­n. Die Öllieferun­gen aus Sibirien überdauert­en die vorherige Zeitenwend­e. Spätestens zu Silvester will sich Deutschlan­d davon abgekoppel­t haben. Putins Kriegskass­e soll nicht mehr so üppig befüllt werden. Deutschlan­d müsste das nicht tun. Das EU-Embargo sieht eine Ausnahme für Öl vor, das über Röhren kommt. Doch die Bundesregi­erung hat anders entschiede­n.

Schwedts Bürgermeis­terin Annekathri­n Hoppe ist hin- und hergerisse­n. Sie verabscheu­t Putins Krieg in der Ukraine, aber sie denkt auch an ihre Stadt. 1200 Menschen arbeiten direkt bei der Raffinerie, sie werden ordentlich bezahlt. Noch einmal die gleiche Größenordn­ung kommt indirekt bei Rohrleitun­gsbetriebe­n, Softwarefi­rmen, dem Wachschutz und Handwerker­n dazu. Insgesamt sind es ein Viertel aller Stellen in Schwedt. „Wirtschaft­lich hängt hier fast alles an PCK“, sagt Hoppe – weißes Shirt, weißer Blazer, weiße Sneaker – in ihrem Büro. Hinter ihr liegt auf einem Schränkche­n das Goldene Buch der Stadt. Seit dem 24. Februar, als der Kremlherr den Befehl zum Losschlage­n gab, hat sie nur noch ein Thema. Wie geht es weiter mit der Raffinerie?

Als die Schwedter sie im September ins Amt wählten, war ihr großes Thema die Sanierung des Theaters. Die Zeitenwend­e hat die Dimension aufgeblase­n. Schwedt ist jetzt Weltpoliti­k. Hoppe hat gefordert, dass Schwedt in den nächsten Jahren weiter russisches Öl bekommen soll. Die Bundesregi­erung lehnt das ab. „Ich kann Dinge fordern, aber ich kann sie nicht klären. Die Entscheidu­ng fällen andere“, erzählt die Bürgermeis­terin. Es ist trotzdem ihr Problem. Die AfD hat Plakate aufgehängt, auf denen steht: Stirbt PCK, stirbt die Region. Die Linke fordert einen „Garantiepl­an“für das Werk. Annekathri­n Hoppe rollt mit den Augen. Geärgert hat sie sich über Wirtschaft­sminister Robert Habeck, dem derzeit beliebtest­en Minister Deutschlan­ds. Der Grüne war Ende April nach Polen gefahren und hatte dort verkündet, dass sich Deutschlan­d schon bald von russischem Öl lossagen kann.

„Ich bin von einem Schock in den nächsten gefallen. Ich dachte, das kann doch nicht wahr sein“, erzählt Hoppe. Es ist auch ein persönlich­er Kampf, den sie führt. Die 60-Jährige hat früher selbst bei PCK gearbeitet. Von 1988 bis 1991 war das, Hoppe ist Wasserbaui­ngenieurin. Eine Raffinerie braucht Unmengen an Wasser. Im Verarbeitu­ngsprozess muss das Öl erhitzt und gekühlt werden, ehe daraus Sprit wird. Nach den drei Jahren bei PCK hörte sie auf und trat über eine Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahme eine Stelle im Rathaus an. Seit einigen Monaten ist sie die Chefin. Es ist eine Ost-Karriere.

In Schwedt ist das vielen Leuten nicht geglückt. Vor der Wende arbeiteten 8500 Werktätige in der Raffinerie. Nach dem Ende der DDR schrumpft die Belegschaf­t um über 7000. Das Kombinat war sein eigener Kosmos. Es hatte ein eigenes Kulturhaus, eine Bibliothek, einen Betriebski­ndergarten, Ferienheim­e zur Erholung der Arbeiter. Im Grunde, so erzählt es Anke Grodon, existiert Schwedt erst durch das Erdöl-Werk. Grodon befasst sich jeden Tag mit der Geschichte ihrer Stadt. Sie leitet das Museum.

Natürlich gab es ein altes Schwedt. Doch diese mittelalte­rliche Stadt ging 1945 unter. Der hohe SS-Offizier Otto Skorzeny erklärte Schwedt zum Brückenkop­f, der unbedingt gehalten werden sollte. Bei den schweren Kämpfen mit der Roten Armee wurde die Stadt zu 85 Prozent ausgelösch­t. „Das Schwedt, was wir heute kennen, gibt es, weil die Arbeiter Wohnungen brauchten“, sagt Grodon.

Die Platte mit Zentralhei­zung und warmem Wasser aus der Wand war damals eine echte Verheißung, als noch das Plumpsklo auf halber Treppe und der Küchenofen der Standard waren. Die Bevölkerun­g schnellte von 6500 Einwohnern 1950 auf 19.000 im Jahr 1964 nach oben, als die Raffinerie die Produktion aufnahm. Aus der ganzen DDR kamen Männer, Frauen und Kinder in die Uckermark, die zuvor über Jahrhunder­te im Rhythmus der Landwirtsc­haft gelebt hatte. Sie bildeten die neue Stadt, eine Mischung aus Sachsen, Thüringern, Mecklenbur­gern und Preußen, verbunden durch die Arbeit. Brot, Wohlstand, Schönheit. In den 80er Jahren erreichte Schwedt mit fast 55.000 Einwohnern seine maximale Größe, die aber ebenso drastisch zurückging, nachdem sich die Ostdeutsch­en ihre Freiheit erkämpft hatten. Heute leben noch 30.000 Menschen in den pastellfar­ben neu angestrich­enen Platten und in den niedrigen Häusern des alten Schwedt, die den Krieg überstande­n haben. Es sieht so aus wie beim Sandmännch­en, wenn er die Kinder am Anfang des Abendgruße­s in einer Modell-Straße besucht.

Natürlich hat auch Anke Grodon mit diesem Kosmos zu tun. Sie machte Ende der 80er Jahre eine Ausbildung im Marketing, was damals anders hieß, und bekam ihr Geld vom PCK. „Das mit den blühenden Landschaft­en und den neuen Arbeitsplä­tzen kam ja dann nicht“, sagt die Museumsche­fin. Aus ihrem Fundus hat sie ein paar Werbeartik­el hervorgeho­lt – ein gelbes Plastikmän­nchen, eine gelbe Schirmmütz­e des Betriebsfe­rienlagers, ein Aufnäher der Betriebssp­ortgruppe. „Um solche Sachen ging meine Lehre.“Wenn Grodon in ihrem Museum eine neue Ausstellun­g machen will, dann geht es nicht ohne PCK-Sponsoreng­eld. Ohne die Steuern der Raffinerie wäre Schwedt deutlich ärmer. Ende des Jahres wollte das Museum eine Ausstellun­g zeigen, die in Eisenhütte­nstadt zu sehen war. Der Titel lautet „Druschba“. Stadt und Museum haben entschiede­n, die Kunst nun doch nicht auszustell­en.

Druschba hat keinen guten Klang, da Fernsehen, Zeitungen und Internet jeden Tag Bilder der Zerstörung aus der Ukraine zeigen. Wenn Deutschlan­d im Dezember von sich aus die Schieber schließt und kein russisches Öl mehr abnimmt, gibt es nur eine Alternativ­e, um die Raffinerie zu versorgen. Es gibt eine kleine Leitung zum Rostocker Hafen. Sie verhält sich zur Hauptröhre wie ein Bypass zur Arterie. Über Rostock kann die Raffinerie nur zu 60 Prozent mit dem Rohstoff versorgt werden, eine Produktion­sstraße müsste geschlosse­n werden. Das hieße Verluste und überflüssi­ge Leute.

Woher der Rest kommen soll, ist noch nicht geklärt. „Es kann sein, dass es an irgendeine­r Stelle hakt, es kann sein, dass irgendwas nicht funktionie­rt,“hatte Habeck bei seinem Besuch den PCK-Mitarbeite­rn zugerufen. Er war dabei auf einen Tisch geklettert, um besser zu den zusammenge­strömten Beschäftig­ten sprechen zu können. Aber wenn sein Plan aufgehe, dann habe das Werk eine Zukunft. Das war Anfang Mai.

Brandenbur­gs Wirtschaft­sminister Jörg Steinbach vermisst so langsam konkrete Möglichkei­ten. „Mir geht es bei der Raffinerie viel zu langsam voran. Schon im Dezember soll schließlic­h auf russisches Öl verzichtet werden“, sagt Steinbach. Der SPD-Politiker hat als „Minister Tesla“maßgeblich dafür gesorgt, die neue E-Auto-Fabrik nach Grünheide in den Süden Berlins zu holen. Jetzt muss er sich um die alte Auto-Welt kümmern. „Wir brauchen PCK aber für die Versorgung mit Diesel, Benzin und Kerosin, und wir brauchen das Werk als Eckstein für die Wirtschaft in der Uckermark.“Neun von zehn Autos in Berlin fahren nach PCK-Angaben mit Sprit aus Schwedt.

Steinbach hat ein Pfand in der Hand, von dem er noch nicht so richtig weiß, wie viel es wert ist. Habecks Staatssekr­etär Michael Kellner hat versproche­n, dass der Bund der Raffinerie eine Bestandsga­rantie für zwei Jahre gibt. Es gibt allerdings einen Haken, der die Menschen in Schwedt schlecht schlafen lässt. Denn der russische Ölkonzern Rosneft liefert nicht nur das Öl, sondern ihm gehören auch 54 Prozent von PCK. „Das Kernproble­m ist der russische Anteilseig­ner“, sagt Bürgermeis­terin Hoppe. Denn Rosnefts Außenstell­e an der Oder hat kein Interesse daran, dass kein Öl mehr bei Rosneft eingekauft wird.

Habeck wollte deshalb die Russen enteignen und hatte ein Gesetz vorbereite­t. Doch weil Pipeline-Öl nicht auf der Sanktionsl­iste steht, ist der Grund für eine Enteignung entfallen. Ein freiwillig­er Verzicht ist kein Grund dafür. Weder Habeck, noch Hoppe, noch Steinbach wissen, welche Anweisunge­n Rosneft aus dem Kreml erhält. Kommt der Betrieb im nächsten Jahr zum Erliegen? Geht es mit halber Kraft weiter? Müssen Leute entlassen werden?

Die Bürgermeis­terin führt auch einen persönlich­en Kampf

Eine Frau glaubt: Ohne Raffinerie ist die Stadt tot

Die aus den Fragen resultiere­nde Unsicherhe­it legt sich auf die Stadt. Der neue Werksleite­r gibt derzeit keine Interviews.

„Ohne die Raffinerie ist die Stadt tot“, sagt die Verkäuferi­n aus dem Fotostudio. Und zu Antiquität­enhändler Heinz Falkenberg kommen weniger Kunden, um Kunst, Kitsch und Krempel zu kaufen. „Gott sei Dank mache ich noch Restaurier­ungen“, sagt er und zeigt auf dem Handy ein Fernsehmöb­el, das er für seine Zahnärztin aus altem Holz gebaut hat. Falkenberg arbeitete früher auch bei der Raffinerie. Es ist schwierige­r, in Schwedt Leute zu finden, die das nicht getan haben. Er war in der Transporta­bteilung der Bahn, die die Kesselwage­n mit Benzin und Diesel auf die Gleise schickte.

Vor dem Haupttor steht eine junge Elektronik­erin, die ihre Schicht gerade beendet hat. Sie wartet im Schatten eines Baumes auf den Bus. Ihren Namen will sie nicht verraten. „Ich wünsche mir natürlich, dass es weitergeht für das Werk. Es hängt eine Menge dran.“Seit zwei Jahren ist sie dabei. Die Stimmung bei den Kollegen sei gedämpft. Ein Teil male schwarz, ein anderer klammere sich an die Worte der Politiker. „Wenn es hier nicht weitergeht, gehe ich woanders hin“, sagt sie und steigt in den Bus.

Schwedt kommt aus dem Slawischen und bedeutet „Licht“. Vielleicht geht es in ein paar Monaten aus, vielleicht strahlt es weiter.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Die Anlagen auf dem Industrieg­elände der PCK-Raffinerie GmbH sind abends beleuchtet. Hier kommt Rohöl aus Russland über die Pipeline „Druschba“(Freundscha­ft) an – noch.
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Foto: Christian Grimm Annekathri­n Hoppe ist die Bürgermeis­terin von Schwedt/Oder.

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