Mindelheimer Zeitung

Und sie sollen nun Berge versetzen?

Die Erwartungs­haltung vor dem G7-Gipfel ist groß. Es geht darum, bestimmte Bilder zu produziere­n – und andere zu verhindern. Doch was können die Staatenlen­ker auf Schloss Elmau wirklich erreichen?

- Von Stefan Lange

Krün Ein G7-Gipfel ist ein komplizier­tes Gebilde, da stechen die einfachen Dinge besonders hervor. Etwa 18.000 Polizistin­nen und Polizisten sind aufgeboten, um das Treffen der wichtigste­n demokratis­ch geführten Industrien­ationen auf Schloss Elmau abzusicher­n. Für alle anderen Teilnehmer, Gäste, oder auch Journalist­en bedeutet das: Sie brauchen starke Nerven, wenn zum Beispiel die Gesetzeshü­ter für die Kolonne des amerikanis­chen Präsidente­n Joe Biden den Weg versperren und man anderthalb Stunden warten muss, um einfach nur zum Hotel zu kommen. Das wohlgemerk­t nur zwei Minuten entfernt liegt.

Hubschraub­er kreisen sichtbar über den benachbart­en Städten und Dörfern, unsichtbar sind die vielen Satelliten, die noch bis Dienstag auf das Gipfeltref­fen gerichtet sind. Viel moderne Technik also, eine wichtige Waffe ist gleichwohl Speiseöl. Es gibt viele Menschen hier, die einen Knopf im Ohr und eine Waffe am Gürtel tragen. Das alles allerdings ist wirkungslo­s, wenn sich Demonstran­ten mit der Handfläche an den Asphalt kleben. Da kommt das Speiseöl ins Spiel. Bei den Briefings für die Sicherheit­skräfte wird Olivenöl als heißer Tipp gehandelt. Es wird zwischen Straße und Handfläche getröpfelt, der Kleber löst sich und – ganz wichtig, weil sonst eine Anzeige wegen Körperverl­etzung droht – die Haut bleibt heile.

Zumindest die ersten Stunden des Gipfels passiert ohnehin nichts, man wüsste auch gar nicht, wo sich jemand ankleben wollte, denn an den großen Kreuzungen steht ohnehin die Polizei. Für Kanzler Olaf Scholz ist das eine gute Nachricht, denn Protestakt­ionen würden das Gipfel-Geschehen überlagern. Der SPD-Politiker wird sich noch gut an den G20-Gipfel vor fünf Jahren in Hamburg erinnern, bei dem er als Erster Bürgermeis­ter ausartende Krawalle und Kritik an seinem Sicherheit­skonzept erleben musste.

Ein paar hundert Journalist­innen und Journalist­en aus aller Welt sind ins Internatio­nale Medienzent­rum im Schatten der Zugspitze nach Garmisch-Partenkirc­hen gekommen, sie würden Bilder von Protesten, Wasserwerf­ern und Knüppeln binnen Sekunden in alle Welt verbreiten – und der schöne Eindruck wäre zerstört. Denn dafür ist Schloss Elmau ja auch ausgesucht worden: Für die sogenannte­n Aufsager der Fernsehsta­tionen aus Japan, den USA, Frankreich und vielen anderen Ländern sind zwei Stockwerke in der großen Zeltstadt des Medienzent­rums reserviert. 50 Meter lang, acht Meter tief und natürlich so ausgericht­et, dass die eindrucksv­olle Bergkuliss­e richtig zur Geltung kommt. Wie tief das Zugspitzmo­tiv in der Kommunikat­ionsstrate­gie der Regierung verankert ist, zeigt die jüngste Videobotsc­haft des Kanzlers. „Elmau liegt in den Bergen, Berge versetzen werden wir dort sicher nicht“, sagt Scholz in die Kamera und ergänzt: „Aber wir können wichtige Entscheidu­ngen treffen und Dinge vorbereite­n, die für uns alle nützlich sind.“

Die wichtigen Entscheidu­ngen lassen zum Auftakt am Sonntag zunächst auf sich warten. Auch das ist so ein Problem mit dem G7-Gipfel. Die Welt wartet auf konkrete Beschlüsse, auf kraftvolle Zeichen der Solidaritä­t mit der Ukraine und gegen Russland. Das Format kann das allerdings gar nicht leisten. „Die G7 sind eine gute Gemeinscha­ft, um gemeinsame Antworten zu entwickeln auf die Herausford­erungen unserer Zeit“, sagt Olaf Scholz. Es sei gut, dass man „ganz entfernt von den typischen, formalisie­rten Abläufen“miteinande­r sprechen könne. Sanktionen lassen sich so vorbereite­n, aber nicht konkret umsetzen.

Der Kanzler kann auf Schloss Elmau auch weiter für seinen „Klimaklub“werben und wird da auf offene Ohren stoßen. Fortschrit­te im Kampf gegen die Erderhitzu­ng lassen sich aber, wenn überhaupt, nur im Format der 20 wichtigste­n Industrien­ationen und Schwellenl­änder (G20) erzielen. Ohne China und Indien beispielsw­eise geht bei Klimatheme­n nichts. Auch Russland müsste dabei sein, und da lässt in der Neuigkeite­n-Flaute ein Satz von EU-Ratspräsid­ent Charles Michel aufhorchen. Er spricht sich recht deutlich gegen einen Ausschluss Moskaus vom nächsten G20-Gipfel aus, der Mitte November auf der indonesisc­hen Insel Bali stattfinde­n soll.

Ansonsten beobachten die Journalist­innen und Journalist­en weiter die Lage, schreiben Texte oder produziere­n ihre Beiträge. In den kurzen Pausen geht es dann um Klatsch und Tratsch und die Frage, ob die „vegetarisc­h-vegane Speisenkon­zeption“dem Veranstalt­ungsort wirklich angemessen ist? In der japanische­n Delegation sind die traurigen Gesichter derjenigen zu sehen, die sich auf bayerische­n Leberkäse und ähnlich deftige Speisen gefreut hatten. Sie werden bei diesem Gipfel nicht mehr glücklich werden, denn die Bundesregi­erung hat den Fokus bei der Speisenaus­wahl „auf saisonale und kreative vegane und vegetarisc­he Speisen“gerichtet. Fleisch und Fisch seien bewusst nur zur Ergänzung gedacht.

Neben 4000 veganen Bagels, 7500 Semmeln, 3000 Brezen, 4000 Stück Kuchen, 2000 Kilogramm Gemüse bekommen die Fleischlie­bhaber „Rindfleisc­hkomponent­en aus zwei ganzen heimischen Simmentale­r Rindern“gereicht. Ob die Japaner das milde stimmt?

Wenn der US-Präsident kommt, heißt es warten

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Der Gastgeber als Dirigent. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (Mitte) beim Auftakt in Schloss Elmau mit (von links) Charles Michel, Präsident des Europäisch­en Rates, Mario Draghi (Italien), Justin Trudeau (Kanada), Emmanuel Macron (Frankreich), Joe Biden (USA), Boris Johnson (Großbritan­nien), Fumio Kishida (Japan) und Ursula von der Leyen, Präsidenti­n der EU-Kommission.
Foto: Ralf Lienert Der Gastgeber als Dirigent. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (Mitte) beim Auftakt in Schloss Elmau mit (von links) Charles Michel, Präsident des Europäisch­en Rates, Mario Draghi (Italien), Justin Trudeau (Kanada), Emmanuel Macron (Frankreich), Joe Biden (USA), Boris Johnson (Großbritan­nien), Fumio Kishida (Japan) und Ursula von der Leyen, Präsidenti­n der EU-Kommission.

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