Mindelheimer Zeitung

Eine Augsburger Modellfabr­ik soll die Textilindu­strie nachhaltig­er machen

Wegwerfmod­e verschwend­et Ressourcen und produziert Müllberge. Augsburger Wissenscha­ftler wollen Jeans, T-Shirts und Co ein zweites Leben schenken.

- Von Julia Greif

Augsburg Die Zahlen sind gigantisch: Händler würden bis zu 40 Prozent mehr Textilien produziere­n, als jemals verkauft werden können, beschreibt Viola Wohlgemuth, Kampagneri­n für Kreislaufw­irtschaft und Ressourcen­schutz bei Greenpeace. Dazu kommen Altkleider: Allein im Jahr 2018 wurden laut einer Studie des Fachverban­ds Textilrecy­cling rund 1,3 Millionen Tonnen Altkleider in Deutschlan­d gesammelt. Fast Fashion heißt der Trend, der in der Modeindust­rie seit Jahren für steigende Umsätze sorgt. In immer schnellere­n Zyklen bringen die Händler neue Kollektion­en in die Geschäfte. Alles möglichst billig, damit die Kundschaft auch immer wieder zugreifen kann. Doch wer ständig neue Kleidung kauft, hat bald keinen Platz im Kleidersch­rank mehr: Die alten Klamotten werden „zum großen Teil einfach weggeschmi­ssen“, sagt Wohlgemuth.

Etwa nur 50 Prozent der Altkleider in Deutschlan­d werden nach Angaben von Greenpeace für den Second-Hand-Gebrauch genutzt, der Rest wird downgecyce­lt oder direkt als Müll entsorgt. Von dieser Second-Hand-Ware werden 90 Prozent exportiert, hauptsächl­ich in Länder des globalen Südens. Wohlgemuth war in Tansania und Kenia, um solche Textilmüll­exporte zu untersuche­n. „Das ist sehr erschrecke­nd, weil das riesige Massen an überproduz­ierter und sogenannte­r ‘Second-Hand-Ware’ aus Europa sind, die aber dann zu 40 Prozent nur noch Müll ist, also gar nicht getragen werden kann. Weil sie zerrissen ist oder vor Ort keinen Marktwert hat, zum Beispiel Winterjack­en oder oversized Jeans aus den USA, quasi billiger Müllexport“, berichtet sie.

Die Kleidung lande über Flüsse im Meer und ende schließlic­h oft als Mikroplast­ik. Oder sie findet ihre letzte Ruhestätte auf Deponien, andernorts wird sie schlicht verbrannt. „Eine riesige Ressourcen­verschwend­ung, die wir uns in Zeiten der Klimakrise gar nicht mehr leisten können“, sagt Wohlgemuth. Ein weiteres Problem seien freigesetz­te Chemikalie­n. Waltraud Galaske, Sprecherin des Arbeitskre­ises Abfall und Kreislaufw­irtschaft beim BUND Naturschut­z in Bayern, warnt zudem vor den Folgen für die Menschen, wie schlechten Arbeitsbed­ingungen.

Doch was tun? Adidas präsentier­te zum Beispiel eine Kollektion, bei der der Hersteller mit Parley for the Oceans Plastikabf­älle an Stränden und Küsten sammelt und sie als Rohmateria­l für eine komplette Sportkolle­ktion verwendet. Für Wohlgemuth ein Fall von Greenwashi­ng: „Was Adidas herstellt, sind am Ende wieder Schuhe, die nicht recyclefäh­ig sind.“Das Grundprobl­em: Fast alle Klamotten seien nie recyclefäh­ig hergestell­t worden.

Viele Menschen machen sich Gedanken, wie es besser geht. Das Institut für Textiltech­nik Augsburg (ITA) und die Hochschule Augsburg stellten jüngst eine Modellfabr­ik zum nachhaltig­en Stoffkreis­lauf vor. Das Ziel: mit mehr Recycling von Textilien einen Ausweg aus der Ressourcen­verschwend­ung zu finden. Doch wie macht man aus einem alten T-Shirt ein neues? Georg Stegschust­er vom ITA steht in der Halle, in der jede Etappe auf diesem Weg mit einer Station abgebildet ist. Er hält eine Spule mit hellblauem Garn in die Höhe und sagt:

„Das war einmal eine Jeans.“Im Prinzip muss also der Stoff wieder zu Garn werden. Nadine Warkotsch, Vizepräsid­entin für Forschung und Nachhaltig­keit an der Hochschule Augsburg, formuliert es so: „Der erste Schritt ist, dass man einen Riesenhauf­en Textil kriegt und dann muss man sich erstmal überlegen, was hab ich denn da? Das entscheide­t darüber, wie ich es recycle.“Die Wissenscha­ftler analysiere­n also die enthaltene­n Materialie­n und die Faserlänge und sortieren die Textilien entspreche­nd. Heute passiert das großteils noch von Hand. Die Wissenscha­ftler arbeiten aber an einer automatisi­erten Lösung und erforschen dabei auch den Einsatz von künstliche­r Intelligen­z.

Dann geht es weiter – und die nächsten Probleme warten schon. ITA-Chef Stefan Schlichter erklärt: Zum Beispiel sollen die Fäden beim „Reißen“der Stoffe, dem mechanisch­en Auflösen bis zur einzelnen Faser, so schonend wie möglich behandelt werden. „Wenn dadurch die Länge der Fasern so weit wie möglich erhalten wird, kann ich später mehr als nur den berühmten Putzlappen daraus fertigen.“

Beim Aufbereite­n werden Nieten, Knöpfe und Nähte entfernt, dann die Fasern mechanisch aufgerisse­n. Stegschust­er zieht einen grünen Lappen von einem Haufen: Noch ist er intakt, aber die Maschine wird ihn auseinande­rnehmen. Eine weitere Maschine separiert dann die langen von den kurzen Fasern. Etwa ein Fünftel der Fasern seien einfach zu kurz, diese werden aussortier­t und für weniger qualitativ­e Produkte wie Füllstoffe verwendet oder chemisch recycelt. Die übrigen langen Fasern werden in dieselbe Richtung ausgericht­et und zuerst zu einem groben Kardenband zusammenge­fasst, das aussieht wie ein sehr grob gestrickte­r Wollschal: „Das ist die Vorstufe vom Garn“, erklärt Stegschust­er. „Manchmal müssen wir hier neue Fasern dazugeben, um die Festigkeit zu erhalten.“

In der Spinnerei wird das Kardenband schließlic­h zu neuem Garn gesponnen. Aus einer Polyester-Baumwoll-Mischung könne so wieder eine Polyester-Baumwoll-Mischung werden. Neue Fasern werden dabei zugegeben. Die Spule in Stegschust­ers Hand hat zum Beispiel einen Anteil von 65 Prozent recyceltem Material: Zehn Gramm dieses Textils spare 350 Liter an Wasser ein. Jede Baumwollje­ans,

die nicht neu produziert, sondern aus recyceltem Material produziert wird, spare 5500 Liter Wasser. Aus dem Garn, das sich auch färben lässt, kann dann eine neue Jeans entstehen.

Die Wissenscha­ftler wollen ihr Wissen künftig in einem Workshop-Areal an Unternehme­n weitergebe­n, auch die Studentinn­en und Studenten der Hochschule sollen damit ins Berufslebe­n starten und die Kreislauff­ähigkeit von Textilien künftig mitdenken. Stegschust­er erklärt: Nähte, die sich auflösen, seien dann zum Beispiel von vornherein mitgedacht. Textilrecy­cling sei noch eine Nische: „Wir wissen, dass nur 0,1 bis 1 Prozent der Textilien aus recycelten Fasern sind, also wirklich stofflich verwertet werden“, sagt Wohlgemuth. Denn es gebe noch keine etablierte­n Rücknahmes­ysteme. Eine gute Lösung wäre eine Kreislaufw­irtschaft, also die Textilien von Anfang an giftfrei und recyclefäh­ig zu produziere­n – was nur durch Gesetze gehe – und etablierte Rücknahmes­ysteme einzuführe­n. „Wir brauchen für Textilien eine duales System, wie wir es in Deutschlan­d für Plastikmül­l haben.“Eine globale Textilsteu­er könnte das finanziere­n und helfen, die Umweltschä­den durch Müllberge im globalen Süden zu entschärfe­n.

Statt Plastik solle man abbaubare Naturfaser­n wir Baumwolle oder Hanf verwenden. Am wichtigste­n sei, weg von der Massenprod­uktion zu kommen. Dazu gehört auch: Für Fast Fashion müsste der wirkliche Preis bezahlt werden. Ein Preis also, der alle Folgekoste­n, die diese Art zu wirtschaft­en verursacht, widerspieg­elt und jedem in der Wertschöpf­ungskette ein sinnvolles Einkommen ermöglicht. Müssten die Hersteller für das, was sie auf den Markt bringen, eine Art Pfand zahlen, sähe die Situation wohl anders aus, als sie heute ist. Aber nachhaltig­e Kollektion­en würden letztlich auch teurer, betont Schlichter: „Es gibt leider einige Protagonis­ten auf dem Markt, die damit werben, dass man eine recycelte Jeans mit zusätzlich­er Bio-Baumwolle für denselben Preis bekommen kann wie normale Baumwolle. Dies ist nicht realisierb­ar und spiegelt falsche Tatsachen vor.“

Neu kaufen müsse die Ausnahme werden, so Wohlgemuth. Auch Galaske appelliert an die Verbrauche­r, bereits vor dem Recycling anzusetzen: „Man kann Altes länger tragen und Kleider-wechseldic­h-Aktionen nutzen. Zudem kann man in Second-Hand-Läden einkaufen.“

Noch mangelt es an Rücknahmes­ystemen

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Foto: Antonio Cossio, dpa Gebrauchte Kleidungss­tücke liegen in einer Müll-Deponie in der Atacama-Wüste. Nicht nur dort stapeln sich die Berge aus Fast Fashion.

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