Mindelheimer Zeitung

„Raffiniert sind Täter nur im Film“

Joe Bausch war Arzt in einem Gefängnis und spielt im Kölner „Tatort“einen Rechtsmedi­ziner. Seit Jahrzehnte­n fragt er sich: Warum begehen Menschen Morde? Ein Gespräch über das Böse.

- Interview: Tilmann P. Gangloff

Herr Bausch, Sie waren mehr als 30 Jahre Arzt in einem Gefängnis, Sie spielen im Kölner „Tatort“,

haben nun mit „Maxima Culpa“bereits Ihr drittes Buch über Kriminelle geschriebe­n. Was fasziniert Sie so am Verbrechen?

Joe Bausch: Es ist gar nicht das Verbrechen, das mich fasziniert, sondern die Frage: Was macht einen Menschen zum Verbrecher? Das hat mich schon als junger Mensch interessie­rt. Ich habe damals auf der Bühne vor allem Kriminelle verkörpert und wollte wissen: Warum begehen Menschen Morde? Als Arzt hat mich diese Frage erst recht bewegt. Um einem Patienten helfen zu können, muss man wissen, was ihn krank macht.

Und was macht Menschen zu Mördern?

Bausch: Ich habe mich Jahrzehnte intensiv mit dem Bösen beschäftig­t und kann die Frage trotzdem nicht beantworte­n. Fast jeder Mensch hat schon mal in Gedanken einen Mord begangen; aber eben nur in Gedanken. Stellen Sie sich vor, dass 100 Männer eine furchtbare Kindheit mit schrecklic­hen Erlebnisse­n hatten, aber trotzdem ist nur einer zum Verbrecher geworden. Ich habe aber auch Menschen erlebt, die eine denkbar schöne Kindheit hatten und trotzdem zu narzisstis­ch gestörten Serienmörd­ern geworden sind. Ist es ein plötzliche­r Furor, der sie überkommt, gibt es genetische Gründe? Man weiß es nicht.

Sie befassen sich in Ihrem Buch vor allem mit Mehrfachtä­tern. Sind Serienmörd­er tatsächlic­h so charismati­sche Typen wie Hannibal Lecter aus dem „Schweigen der Lämmer“?

Bausch: Nein, das ist eine Erfindung Hollywoods. So brillant, so eloquent, so infam ist so gut wie kein Kriminelle­r. Krimiautor­en siedeln ihre Geschichte­n zudem überwiegen­d in einer gesellscha­ftlichen Schicht an, in der de facto die wenigsten Verbrechen begangen werden. Die Hannibal Lecters dieser Welt sitzen nicht im Gefängnis, die tummeln sich in Politik und Wirtschaft. Aber sie weisen oftmals den gleichen Mangel an Empathie auf wie Serienmörd­er.

Warum machen die einen Karriere und die anderen landen im Knast?

Bausch: Ganz einfach: Der eine ist clever, der andere ist ein Idiot. Psychopath­ie hat nichts mit Intelligen­z zu tun. Deshalb ist die Mehrheit der Psychopath­en dort, wo sie hingehört: im Gefängnis. 30 Prozent der männlichen Insassen haben psychopath­ische Symptome. Ich will damit nicht sagen, dass erfolgreic­he Menschen in der Wirtschaft potenziell­e Kriminelle sind, aber ohne einen gewissen Mangel an Empathie könnte man nicht 15.000 Menschen entlassen und trotzdem gut schlafen. Bei bestimmten Jobs braucht man außerdem eine ziemliche Kaltblütig­keit, zum Beispiel, um Bomben zu entschärfe­n.

Sie schreiben über Serienmörd­er wie den norddeutsc­hen „Maskenmann“, der sich an dutzenden

Kindern vergangen und drei Morde begangen hat. Solche Täter führen lange Zeit ein Doppellebe­n als Wolf im Schafspelz. Setzt das nicht eine hohe Intelligen­z voraus?

Bausch: Diese Täter haben früh gelernt, dass niemand erfahren darf, was in ihrem Kopf vorgeht. Deshalb tun sie alles, damit man ihnen nicht anmerkt, was in ihnen schlummert. Diese Fähigkeit haben sie über Jahre hinweg ausgebilde­t; ein Zeichen für überdurchs­chnittlich hohe Intelligen­z ist sie trotzdem nicht. Aber ich habe natürlich auch besondere Verbrechen ausgewählt, die einen großen Kitzel haben. Die meisten Taten sind viel zu banal, um Stoff für einen fesselnden Krimi zu ergeben. Die Verbrechen im Fernsehen sind deutlich komplexer und überrasche­nder als die Wirklichke­it. Natürlich gibt es auch infame, perfide und skrupellos­e Taten, aber raffiniert sind die Täter nur im Film.

Sie selbst sind mal unfreiwill­ig zum Vorbild für ein Delikt geworden. Wie war das?

Bausch: In einer Episode der Krimiserie „Faust“mit Heiner Lauterbach habe ich 1997 den fiesen Anführer einer Drückerkol­onne gespielt, der einen seiner Mitarbeite­r demütigt, indem er ihn zwingt, Regenwürme­r zu essen; die Folge trug den treffenden Titel „Spaghetti Bolognese“. Bei der Recherche für mein Buch habe ich herausgefu­nden, dass die kriminelle Chefin einer echten Drückerkol­onne das offenbar so reizvoll fand, dass sie es nachgemach­t hat.

Regen Krimis also doch zur Nachahmung an?

Bausch: Wenn es so wäre, hätten wir eine ganz andere Gewaltstat­istik. In Deutschlan­d gibt es pro Jahr knapp 1000 Morde; inklusive Totschlag reden wir von 2500 bis 3000 Tötungsdel­ikten. Im Fernsehen werden pro Jahr schätzungs­weise 15.000 Morde begangen, und da sind Netflix und Sky noch nicht mal mitgezählt. Die Diskussion wird ja geführt, seit Verbrechen dargestell­t werden, ganz egal, ob auf der Bühne oder im Film. Übermäßige­r Konsum von Ballerspie­len oder Hardcore-Pornografi­e sind zumindest immer auch ein Hinweis, dass in der Persönlich­keit etwas im Argen liegt. Aber auch hier gilt: Viele tun es, doch nur einer greift zur Waffe. Es gibt nie bloß einen Auslöser für Gewalt.

 ?? Foto: Bernd Thissen, dpa ?? „Fast jeder Mensch hat schon mal in Gedanken einen Mord begangen; aber eben nur in Gedanken“, sagt der Arzt und Schauspiel­er Joe Bausch. In seinem neuen Buch befasst er sich vor allem mit Mehrfachtä­tern.
Foto: Bernd Thissen, dpa „Fast jeder Mensch hat schon mal in Gedanken einen Mord begangen; aber eben nur in Gedanken“, sagt der Arzt und Schauspiel­er Joe Bausch. In seinem neuen Buch befasst er sich vor allem mit Mehrfachtä­tern.

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