Die Zeit fliegt davon
Vom Feinen das Feinste: Die Kunstmesse in Maastricht zeigt Spitzenobjekte aus 7000-jähriger Kulturgeschichte. Wunderkammer-Arbeiten aus alten süddeutschen Reichsstädten wie Augsburg und Memmingen sind Schwerpunkt.
Maastricht Wer sich für schnelle Schlitten begeistert, fährt zum Genfer Autosalon; wer es liebt, über den Bodensee zu reiten, zur Interboot Friedrichshafen. Bücherratten und -rättinen werden in Frankfurt sowie Leipzig fündig; und Begeisterte von Kunst eben in Maastricht bei der sogenannten TEFAF. Besser geht’s nimmer. Nicht in der Breite von 7000 Menschheitsjahren, aus denen die angebotenen Objekte aller Kontinente stammen, nicht in der Qualitätshöhe. Das ist es auch, was zig Museumsdirektoren und Kuratorinnen in die Südniederlande lockt, wo sie ihre Sammlungen um wichtige Arbeiten aufstocken können, falls – oft genug Voraussetzung – potente Sponsoren zustimmen und zahlen. Heuer findet die Messe erstmals wieder statt, nachdem sie 2020 pandemiebedingt hastig abgebrochen worden war.
Die Auswirkungen dauern noch an, gewiss nicht gemildert durch den Angriffskrieg auf die Ukraine. Zeitenwende. Betuchte Nordamerikaner halten sich zurück, Russen bleiben aus – jetzt, da die Messe wieder Muskeln zeigt, wenn auch eine Nummer kleiner: weniger Aussteller (gut 270), kürzere Laufzeit (bis 30. Juni), kein Katalog, sparsamere Frei-Häppchen und Frei-Weine für die geladenen Gäste der ersten Stunden. Was nicht kleiner ausfällt, sondern größer: das Entgegenkommen der GalerieCrews bei Nachfragen. Das hat man auch schon anders, mit höher getragener Nase, erlebt.
Gleichzeitig aber halten, insbesondere die vertretenen Pariser Kunsthandlungen, an exklusiven Präsentationsformen fest. Die punktgenaue Beleuchtung von Gemälden ist inzwischen – außerhalb der Museen – ja fast schon Standard, jetzt muss auch der architektonische Rahmen zum Angebot passen: die Kapitänskajüte im Schiffsbauch eines Dreimasters für nautische und weitere wissenschaftliche Instrumente, scheinbar royale Räume mit Parkett unten, Stuck oben, für Stil–Interieurs samt Kandelabern, Pendulen, historischem Besteck zur Kamin-Attrappe, Intarsien-Mobiliar. Millimetergenau kalkuliert, der Geschmack zeigt Präzision. Versailles lässt grüßen, nicht der weiße Kubus moderner Betonmuseen.
7000 Jahre Kulturgeschichte aller Himmelsrichtungen: Da herrscht mal kein Proporz – ganz abgesehen davon, dass auch der Kunstmarkt Wellen kennt. Ein TEFAF-Schwerpunkt, der sich in den letzten Jahren gebildet hat, sind Kunst- und Wunderkammerobjekte – vor allem handwerklich feinst gearbeitete Schnitzereien aus Renaissance und Barock. Ob aus
Buchsbaum, ob aus Elfenbein, Schildpatt, Bernstein, Halbedelstein. Als sensationell in Schwerelosigkeit, Dramatik und Rundumansicht ist jene „Chronos“-Statuette einzuordnen, die um 1690 wohl der Barockbildhauer Balthasar Permoser, tätig am Dresdner Hof, aus Buchsbaum schnitt. Der betagte, bärtige Gott der Zeit wurde von jener Kunstkammer Georg
Laue/München, die vor Jahren die Liebe zu alten Wunderdingen maßgeblich wieder beflügelte, bereits verkauft. Und in solchem Fall wird der Preis auf jeden Fall geheim gehalten.
Wer vor allem konnte Spitzenmeister, die noch mit Andacht arbeiteten, ihr Eigen nennen? Nun, viele alte Reichsstädte Süddeutschlands: Augsburg, Kaufbeuren,
Memmingen, Nürnberg, Ulm. Von dort stammt Großartiges, so klein es sich mitunter zeigt.
A wie Augsburg. Hier entstand um 1707 ein berückendes Schachbrett des Meisters Paul Solanier aus Elfenbein, Schildpatt, eingelegtem Silber. Das königliche Spiel war eine Gemeinschaftsarbeit mit Paul Heermann, Hofbildhauer August des Starken in Dresden, der die Spielfiguren schnitzte: Elefanten stellen die Türme dar, sich aufbäumende Pferde die Springer, König und Dame zeigen sich hoch zu Ross. Angeboten von Kugel/Paris.
Aus Augsburg kommt zudem ein Johann Andreas Thelott zugeschriebenes, extrem tief getriebenes Silberrelief um 1700. Die nur 16 Zentimeter breite Darstellung von Orientalen im Tempel ist weiß gesiedet, schimmert mithin wie Perlmutt. Die höchst ziselierte Miniatur kommt bei Mühlbauer/Pocking auf 185.000 Euro.
K wie Kaufbeuren. Geburtsort des Waffenätzers und Grafikers Daniel Hopfer, dessen Eisenradierung „Drei Schweizer Soldaten“in vorzüglichem Erstdruck bei Teeuwisse/Berlin 7500 Euro verlangt.
M wie Memmingen. Nachgewiesen in der Stadt ist für Beginn des 16. Jahrhunderts der Bildschnitzer Hans Thoman, vertreten auch in ersten Museen: New York, Nürnberg. Und nun bietet Blumka/New York ein quadratmetergroßes Lindenholz-Relief mit der Legende des heiligen Eligius an – jene Szene, da er einem Pferd ein neues Hufeisen aufschlägt, der Praktikabilität halber aber zuvor das Pferdebein erst mal abschnitt. Kostenpunkt: 420.000 Euro.
U wie Ulm. In der Stadt mit einst tausenden von Altären lebten und arbeiteten in der deutschen Spätgotik und Frührenaissance Michel Erhart und Daniel Mauch. Virtuose, erstklassige Arbeiten dieser Bildschnitzer bzw. ihres Umfelds sind in Maastricht zu erstehen. Eine alt gefasste Patrizierinnen(-Reliquien?)-Büste von charakteristischen Gesichtszügen für 350.000 Euro sowie bei Neuse/ Bremen eine drall-nackerte VenusStatuette Daniel Mauchs aus seiner späteren Lütticher Zeit, da er im Zuge der Reformation von sakraler Kunst zur Darstellung auch mythologischer Themen übergegangen war. Mauch hat seinen Preis: 850.000 Euro bei rund 20 Zentimetern Venus-Fülle in der Höhe.