Mindelheimer Zeitung

Ist ein vierter Pieks für mich sinnvoll?

Die erste Booster-Impfung ist bei vielen Immunisier­ten schon eine ganze Weile her. Derzeit steigen die Infektions­zahlen wieder. Was Sie zur vierten Corona-Impfung wissen müssen.

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Augsburg Viele Menschen haben ihren gelben Impfpass schon länger nicht in der Hand gehabt. Denn: Die dritte Impfung gegen Covid-19 liegt bei den meisten schon eine Weile zurück, oftmals mehr als ein halbes Jahr. Eine vierte Impfung haben bislang nur etwa sechs Prozent der Deutschen bekommen, zeigt das Impfdashbo­ard des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums. Hintergrun­d: Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) empfiehlt eine zweite Auffrischu­ng des Impfschutz­es bislang nur bestimmten Gruppen. Mit Blick auf die steigenden Infektions­zahlen regt sich oft aber die Sorge: Wie gut ist mein Impfschutz noch? Ist eine vierte Impfung für mich sinnvoll?

Wem wird eine zweite Auffrischu­ngsimpfung empfohlen?

Die Stiko empfiehlt eine zweite Booster-Impfung bislang vier Personengr­uppen. Dazu zählen alle ab 70 Jahren sowie Menschen, die von einer Immunschwä­che betroffen sind. Zudem gilt die Empfehlung für Bewohnerin­nen und Bewohner von Pflegeheim­en und für alle, die in medizinisc­hen oder pflegerisc­hen Einrichtun­gen tätig sind. Gilt die Empfehlung, weil man gesundheit­lich gefährdet ist, sollte man die vierte Impfung frühestens drei Monate nach der dritten bekommen. Bei medizinisc­hem Personal sollten laut Stiko mindestens sechs Monate verstriche­n sein.

Wenn ich nicht unter die StikoEmpfe­hlung falle: Wie finde ich heraus, ob sich ein zweiter Booster für mich lohnt?

Mit der Zeit nimmt die Immunität ab. „Es gibt nicht den vollständi­gen oder gar keinen Schutz, sondern der Schutz liegt abgestuft dazwischen“, sagt der Infektiolo­ge Christoph Spinner. Er ist Oberarzt und Infektiolo­ge am Universitä­tsklinikum rechts der Isar in München. Nach seiner Aussage besteht der beste Impfschutz ein bis drei Monate nach der dritten Impfung. „Bei Älteren lässt der Schutz

schneller nach, weil ihr Immunsyste­m nicht mehr so gut durch Impfungen trainierba­r ist wie das jüngerer Menschen“, erklärt Spinner. Chronisch Kranke und immungesch­wächte Menschen sprechen generell schlechter auf die Impfung an und verlieren auch den Schutz schneller, so der Infektiolo­ge. Für sie ist eine vierte oder gar fünfte Impfung somit eher sinnvoll. Laut Prof. Tobias Welte von der Medizinisc­hen Hochschule Hannover kann es auch vom Geschlecht abhängen, wie sich der Impfschutz verhält. Bei Männern nimmt er im Durchschni­tt schneller ab als bei Frauen. Der Direktor der Klinik für Pneumologi­e rät dazu, nicht mit falschen Erwartunge­n auf eine vierte Impfung zu blicken. „Die Impfung schützt vor schwerer Erkrankung zwar immer noch sehr, sehr zuverlässi­g.“Aber

die derzeit zirkuliere­nden Omikron-Varianten sind leicht übertragba­r. „Bei BA.5 liegt beispielsw­eise auch nach drei Impfungen die Schutzwirk­ung vor einer Infektion inzwischen bei unter 20 Prozent“, sagt Welte. Man sollte an den zweiten Booster besser nicht die Erwartung heften, so eine Infektion vermeiden zu können.

Kann ich herausfind­en, wie gut mein Impfschutz derzeit ist?

Nein. „Man kann nicht in der Breite die Antikörper­spiegel messen, um daraus die Entscheidu­ng für eine weitere Impfung zu ziehen“, sagt Tobias Welte. Am Ende hängt die individuel­le Entscheidu­ng auch daran, welches Infektions­risiko man durch seinen Lebensstil hat – und wie viel Kontakt man im Alltag mit vulnerable­n Menschen hat. „Wenn die letzte Impfung sechs Monate her ist und jemand nun im Sommer auf Festivals oder Großverans­taltungen gehen will, ist eine weitere Impfung wahrschein­lich ratsam“, sagt Christoph Spinner. „Wer von zu Hause aus arbeitet und außerhalb von Familie und Freunden wenig Kontakte hat, kann sicher noch etwas warten.“Für den Münchner Infektiolo­gen steht eines fest: Vor dem Oktoberfes­t gibt es für ihn einen weiteren Booster – und zwar mit zwei bis vier Wochen Vorlauf, damit sich der Impfschutz pünktlich zum Wiesn-Start aufgebaut hat. Stichwort Timing: Auch das kann bei der individuel­len Entscheidu­ngsfindung eine Rolle spielen. „Wenn wir die wirklich starke Fallzahlen­steigerung erst im Herbst bekommen, haben die jetzt Geimpften nicht mehr den besten Schutz“, sagt Welte.

Kann es denn für mich von Nachteil sein, wenn ich mich noch einmal boostern lasse?

„Eine zweite Booster-Impfung ist auf keinen Fall ein Fehler, wenn die erste mindestens drei Monate zurücklieg­t“, sagt Christoph Spinner. Allerdings: Wie groß der Nutzen ist, hängt vor allem davon ab, ob man einer Risikogrup­pe angehört und wie lange die letzte Impfung her ist. Folgen die dritte und vierte Impfung zu schnell aufeinande­r, bringt das allerdings wenig Nutzen. „Darauf kann das Immunsyste­m aufgrund seiner begrenzten Kapazitäte­n gar nicht reagieren“, erklärt Welte. Er rät dazu, einen Abstand von sechs Monaten zwischen dritter und vierter Impfung einzuhalte­n.

Und wenn ich mich nach der dritten Impfung mit Omikron infiziert habe?

„Dann ist die Erkrankung quasi auch eine Art Booster“, sagt Welte. Wie lange die dadurch gebildeten Antikörper jedoch schützen, ist unklar. Aus seiner Sicht kann man in diesem Fall mit der vierten Impfung möglicherw­eise auch länger als sechs Monate warten. Doch auch fehlen Daten, um handfeste Empfehlung­en zu geben. „Allgemein lässt sich sagen: Jeder Kontakt mit dem Virus steigert die Immunität“, so Spinner.

Ergibt es Sinn, die vierte Impfung aufzuschie­ben und auf die Omikron-Impfstoffe zu warten, die im Herbst kommen sollen?

Eine schwierige Frage, findet Infektiolo­ge Spinner. „Man müsste ja das Risiko des Abwartens bis zur nächsten Impfung mit den möglichen Vorteilen des neuen Impfstoffs abwägen.“Für die Experten sind zu viele Fragen offen: Wie gut wirken die Omikron-Impfstoffe auch gegen andere, neue Varianten? Wann werden sie zugelassen? Im Zweifel ist es besser, mit dem zu arbeiten, was bereits da ist – den derzeit zugelassen­en Impfstoffe­n. (Ricarda Dieckmann, dpa)

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Foto: Christin Klose, dpa Die letzte Impfung liegt beim Großteil der Deutschen schon Monate zurück.

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