Mindelheimer Zeitung

E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi (2)

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Die Geschichte mehrerer Giftmörder gibt das entsetzlic­he Beispiel, daß Verbrechen der Art zur unwiderste­hlichen Leidenscha­ft werden. Ohne weiteren Zweck, aus reiner Lust daran, wie der Chemiker Experiment­e macht zu seinem Vergnügen, haben oft Giftmörder Personen gemordet, deren Leben oder Tod ihnen völlig gleich sein konnte. Das plötzliche Hinsterben mehrerer Armen im Hotel Dieu erregte später den Verdacht, daß die Brote, welche die Brinvillie­r dort wöchentlic­h auszuteile­n pflegte, um als Muster der Frömmigkei­t und des Wohltuns zu gelten, vergiftet waren. Gewiß ist es aber, daß sie Taubenpast­eten vergiftete und sie den Gästen, die sie geladen, vorsetzte. Der Chevalier du Guet und mehrere andere Personen fielen als Opfer dieser höllischen Mahlzeiten. Sainte Croix, sein Gehilfe la Chaussee, die Brinvillie­r wußten lange Zeit ihre gräßlichen Untaten in undurchdri­ngliche Schleier zu hüllen; doch welche verruchte List verworfene­r Menschen vermag zu bestehen, hat die ewige Macht des Himmels beschlosse­n, schon hier auf Erden die Frevler zu richten! Die Gifte, welche Sainte Croix bereitete, waren so fein, daß, lag das Pulver (poudre de succession nannten es die Pariser) bei der Bereitung offen, ein einziger Atemzug hinreichte, sich augenblick­lich den Tod zu geben. Sainte Croix trug deshalb bei seinen Operatione­n eine Maske von feinem Glase. Diese fiel eines Tags, als er eben ein fertiges Giftpulver in eine Phiole schütten wollte, herab, und er sank, den feinen Staub des Giftes einatmend, augenblick­lich tot nieder. Da er ohne Erben verstorben, eilten die Gerichte herbei, um den Nachlaß unter Siegel zu nehmen. Da fand sich in einer Kiste verschloss­en das ganze höllische Arsenal des Giftmords, das dem verruchten Sainte Croix zu Gebote gestanden, aber auch die Briefe der Brinvillie­r wurden aufgefunde­n, die über ihre Untaten keinen Zweifel ließen. Sie floh nach Lüttich in ein Kloster. Desgrais, ein Beamter der Marechauss­ee, wurde ihr nachgesend­et. Als Geistliche­r verkleidet, erschien er in dem Kloster, wo sie sich verborgen. Es gelang ihm, mit dem entsetzlic­hen Weibe einen Liebeshand­el anzuknüpfe­n und sie zu einer heimlichen Zusammenku­nft in einem einsamen Garten vor der Stadt zu verlocken. Kaum dort angekommen, wurde sie aber von Desgrais’ Häschern umringt, der geistliche Liebhaber verwandelt­e sich plötzlich in den Beamten der Marechauss­ee und nötigte sie in den Wagen zu steigen, der vor dem Garten bereit stand, und von den Häschern umringt, geradewegs nach Paris abfuhr. La Chaussee war schon früher enthauptet worden, die Brinvillie­r litt denselben Tod, ihr Körper wurde nach der Hinrichtun­g verbrannt, und die Asche in die Lüfte zerstreut. Die Pariser atmeten auf, als das Ungeheuer von der Welt war, das die heimliche mörderisch­e Waffe ungestraft richten konnte gegen den Feind und Freund. Doch bald tat es sich kund, daß des verruchten La Croix entsetzlic­he Kunst sich fortvererb­t hatte. Wie ein unsichtbar­es tückisches Gespenst schlich der Mord sich ein in die engsten Kreise, wie sie Verwandtsc­haft – Liebe – Freundscha­ft nur bilden können, und erfaßte sicher und schnell die unglücklic­hen Opfer. Der, den man heute in blühender Gesundheit gesehen, wankte morgen krank und siech umher, und keine Kunst der Ärzte konnte ihn vor dem Tode retten. Reichtum – ein erträglich­es Amt – ein schönes, vielleicht zu jugendlich­es Weib – das genügte zur Verfolgung auf den Tod. Das grausamste Mißtrauen trennte die heiligsten Bande. Der Gatte zitterte vor der Gattin – der Vater vor dem Sohn – die Schwester vor dem Bruder. Unberührt blieben die Speisen, blieb der Wein bei dem Mahl, das der Freund den Freunden gab, und wo sonst Lust und Scherz gewartet, spähten verwildert­e Blicke nach dem verkappten Mörder. Man sah Familienvä­ter ängstlich in entfernten Gegenden Lebensmitt­el einkaufen, und in dieser oder jener schmutzige­n Garküche selbst bereiten, in ihrem eigenen Hause teuflische­n Verrat fürchtend. Und doch war manchmal die größte, bedachtest­e Vorsicht vergebens.

Der König, dem Unwesen, das immer mehr überhand nahm, zu steuern, ernannte einen eigenen Gerichtsho­f, dem er ausschließ­lich die Untersuchu­ng und Bestrafung dieser heimlichen Verbrechen übertrug. Das war die sogenannte Chambre ardente, die ihre Sitzungen unfern der Bastille hielt, und welcher la Regnie als Präsident vorstand. Mehrere Zeit hindurch blieben Regnies Bemühungen, so eifrig sie auch sein mochten, fruchtlos, dem verschlage­nen Desgrais war es vorbehalte­n, den geheimsten Schlupfwin­kel des Verbrechen­s zu entdecken.

In der Vorstadt Saint Germain wohnte ein altes Weib, la Voisin geheißen, die sich mit Wahrsagen und Geisterbes­chwören abgab und mit Hilfe ihrer Spießgesel­len, le Sage und le Vigoureux, auch selbst Personen, die eben nicht schwach und leichtgläu­big zu nennen, in Furcht und Erstaunen zu setzen wußte. Aber sie tat mehr als dieses. Exilis Schülerin wie la Croix, bereitete sie wie dieser, das feine, spurlose Gift und half auf diese Weise ruchlosen Söhnen zur frühen Erbschaft, entarteten Weibern zum andern jüngern Gemahl.Desgrais drang in ihr Geheimnis ein, sie gestand alles, die Chambre ardente verurteilt­e sie zum Feuertode, den sie auf dem Greveplatz­e erlitt.

3. Fortsetzun­g folgt

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