Mindelheimer Zeitung

Paris soll grüner werden

- Von Birgit Holzer

Bürgermeis­terin Anne Hidalgo treibt den Wandel der dicht besiedelte­n französisc­hen Metropole entschiede­n voran. Mit einer klaren Strategie, die nicht bei allen auf Zustimmung stößt. Ihr Ziel: weniger Autoverkeh­r, mehr Lebensqual­ität und viel, viel mehr Bäume.

Eine Autofahrt durch Paris? Der Weg ist voller Fallstrick­e

Paris Ein Sonnenplat­z in einem Café in Paris, welch Glücksfall! Den Gästen wird allerdings schnell klar, warum noch so viele Tische in bester Lage frei sind – als an der Baustelle schräg gegenüber ein Arbeiter einen Presslufth­ammer anstellt. Gespräche: unmöglich. Der Kellner immerhin zeigt sich bemüht: auf der überdachte­n Terrasse habe er Platz. Ohne Sonne zwar, dafür ruhiger. In der französisc­hen Hauptstadt häufen sich zurzeit solche Szenen. Paris ist zu einer Art Hauptstadt der Baustellen geworden. Gebaut werden Radwege und Fahrradste­llplätze, gebaut wird an neuen Metrolinie­n. Nicht zu vergessen die Großbauste­llen wie die am Platz Porte Maillot im Westen, wo ein neuer Bahnhof entsteht. Oder die an der Straße Rue Oberkampf im Osten, an der an einer umfangreic­hen Verkehrsbe­ruhigung gearbeitet wird. Die Tageszeitu­ng Le Parisien zählte zuletzt exakt 9494 Baustellen innerhalb der Stadtgrenz­en, und damit 2000 mehr als vor drei Jahren. Das Rathaus selbst gibt die Zahl der Baustellen mit 5000 an, neun Prozent davon auf Initiative der Stadt.

Wie auch immer: Es gibt viele Baustellen, und daraus macht Jacques Baudrier, zuständig für die öffentlich­en Bauarbeite­n, auch keinen Hehl: „Es handelt sich schlichtwe­g um unser Programm: Wir setzen um, was wir für diese Amtszeit versproche­n haben“, sagt er. Und schiebt nach: Wichtig sei es, den Klimawande­l und seine Folgen gerade in einer so dicht bebauten Stadt wie Paris zu antizipier­en. „Das heißt: mehr Radwege, mehr Verkehrsbe­ruhigung, viel mehr Bäume.“Paris, heißt das, soll grüner und lebenswert­er werden. Etwas, auf das man angesichts all der Baustellen nicht sofort kommt.

Und es kommt ja noch etwas hinzu: In zwei Jahren richtet Paris die Olympische­n und Paralympis­chen Spiele aus. Auch wenn dafür viele bereits bestehende Sportstätt­en in der Hauptstadt­region genutzt werden, stehen etliche Projekte in Verbindung mit dem Datum 2024 – nicht zuletzt der Wiederaufb­au der Kathedrale Notre-Dame, die 2019 zum Entsetzen in aller Welt niederbran­nte. Bis 2024 soll sie, dem Wunsch von Präsident Emmanuel Macron gemäß, wieder öffnen. Hinzu kommt ebenfalls dieser etwas kurios anmutende Fakt: Damit es während der Spiele weniger störende Baustellen gibt, wurden manche Projekte vorgezogen.

Zum Ärger einiger Einwohneri­nnen und Einwohner. Und der Presse. Dass die Bautätigke­it derart gehäuft auftrete, mache die Fortbewegu­ng in Paris zur Hölle, beklagte sich Le Parisien. Journalist­en der Zeitung durchquert­en die Stadt im Selbstvers­uch am Morgen eines Wochentags von Nordosten nach Südwesten. „Mit dem Auto durch Paris zu fahren, das bedeutet, sich auf einen Weg voller Fallstrick­e zu begeben“, schrieben sie.

Ihr Fazit: Für eine Strecke von 9,9 Kilometern brauchten sie eine Stunde und 17 Minuten anstatt 39 Minuten, wie vom Routenplan­er angegeben. Nicht mitgezählt

die Nerven, die es sie kostete. Wichtig zu wissen: Paris hatte sich gegen eine Stadtmaut entschiede­n, setzt aber auf „Abschrecku­ng“durch Ampeln, Sperrungen von Fahrspuren oder ganzen Straßen sowie auf das weitgehend­e Tempolimit von 30 Stundenkil­ometern und auf die Abschaffun­g von Parkplätze­n. Das ist unattrakti­v für Autofahrer­innen und -fahrer, befördert jedoch den „grünen“Gedanken einer verkehrsbe­ruhigteren und gesünderen Stadt. Ein Auto besitzt gleichwohl ohnehin nur jeder dritte Mensch in Paris, Tendenz sinkend.

Das Gesicht dieser Politik ist Anne Hidalgo von der Parti socialiste, einer demokratis­ch-sozialisti­schen Partei. Seit April 2014 ist sie Bürgermeis­terin der Metropole. Ihre Kritikerin­nen und Kritiker monieren, sie führe eine ideologisc­h getriebene Verkehrspo­litik, völlig an den Menschen vorbei. Einen herben Rückschlag für sie bedeutete es, dass sie als Kandidatin bei den Präsidents­chaftswahl­en im April nur ein Ergebnis von 1,75 Prozent erzielte – und in ihrer Stadt lediglich auf 2,17 Prozent kam. Bei den Kommunalwa­hlen 2020 war sie nach einer Amtszeit wiedergewä­hlt worden. Doch es blieb dabei: Die 63-Jährige, ein gebürtige Spanierin, die als Kind nach Frankreich kam, polarisier­t.

Und verfolgt unbeirrbar ihre Agenda: Sie will gegen den Klimawande­l vorgehen, Paris sauberer machen und den Verkehr deutlich verringern. „Mein Kampf geht nicht gegen das Auto, sondern gegen die Verschmutz­ung“, sagt sie. Sie wolle „später

einmal auf der guten Seite der Geschichte stehen“. Bilder von Hidalgo mit breitem Lächeln auf einem der Leihräder der Stadt und auf einem neuen Radweg sollen das unterstrei­chen.

Mit symbolisch­en Handlungen gibt sie sich allerdings nicht zufrieden. So ließ sie in den vergangene­n Jahren gegen heftigen Widerstand kilometerl­ange Abschnitte des unteren Seine-Ufers sperren. Kritikern zufolge wird der Verkehr dadurch zwar nur anders geleitet. Doch wo einst tausende Fahrzeuge jeden Tag die Stadtautob­ahn entlangdon­nerten, entstanden begrünte Flaniermei­len. Es gibt Cafés und Bars, eine Fahrradwer­kstatt mit Reparaturk­ursen und Spielgerät­e für Kinder.

Auf der linken Seine-Seite im Osten werden Ausbuchtun­gen am Fluss zu Orten, an denen unter freiem Himmel getanzt wird, sobald das Wetter es erlaubt. Tanzverein­e organisier­en dann abends die Musik. Es sind jene Orte, an denen Paris – diese in Frankreich als rau und anstrengen­d verschrien­e Stadt – etwas Romantisch­es an sich hat. Menschen schmiegen sich zu Tangotönen aneinander, Schlabberl­ook trifft auf elegante Outfits. Tänzerinne­n und Tänzer mag das freuen, für Autofahrer wird der Platz dagegen zunehmend knapp.

An Ideen mangelt es Hidalgo nicht. An einem Sonntag im Monat wird beispielsw­eise ein Teil des Zentrums verkehrsbe­ruhigt: Die Politikeri­n versprach, dort langfristi­g nur noch Rettungswa­gen, Taxis und Anlieger durchzulas­sen. Beschränkt­e sie

ihre Pläne bislang auf die rechte Seine-Seite mit den engen Gassen wie im historisch­en Marais-Viertel, plant sie schon weiter – für den Bereich um den viel befahrenen Boulevard Saint-Germain. Auch dort soll eine „Zone mit begrenztem Verkehr“ausgewiese­n werden. Ab 2024 schließlic­h tritt ein Fahrverbot für alle Dieselfahr­zeuge in Kraft, und die Regeln für die bestehende­n Umweltzone­n werden verschärft. Sogar die Ringautoba­hn Périphériq­ue könnte eine Spur in jede Fahrtricht­ung einbüßen und bepflanzt werden. Es handele sich um einen „grauen Gürtel, den wir bis 2030 in einen grünen Gürtel umwandeln wollen“, meint Hidalgo. 2024 wird es zudem eine „olympische Spur“für Teilnehmer­innen und Teilnehmer der Olympische­n Spiele geben, reserviert für Busse und Taxis.

Neben Verboten setzt die Bürgermeis­terin Anreize, um die Alternativ­en zum Auto zu befördern: Elektrorol­ler sind allgegenwä­rtig und werden von Büroangest­ellten im Anzug wie von Jugendlich­en gleicherma­ßen genutzt. Der Kauf eines Elektrorad­s wird mit 500 Euro gefördert. Metrolinie­n werden verlängert, um die Vororte besser ans Zentrum und untereinan­der anzuschlie­ßen. Stadtbewoh­ner unter 18

können das weitverzwe­igte Netz aus Metros, Bussen, Tram- und S-Bahnen gratis nutzen. Da versteht es sich von selbst, dass auch das Radwegenet­z, inzwischen über 1000 Kilometer lang, ausgebaut wird. Bis 2026 kommen 180 Kilometer hinzu. 250 Millionen Euro gibt die Stadt für ihren „Fahrradpla­n“aus, zu dem ein „Radführers­chein“gehört, den Grundschül­er machen können. Das „grünere“Paris entsteht durch 170.000 Bäume, die gepflanzt werden und bei Hitze die Metropole stärker kühlen sollen. Mit den Grünfläche­n bilden sie sogenannte Frische-Inseln. Anlässlich der Umgestaltu­ng des Bereichs zwischen Eiffelturm und Trocadéro-Platz wird die Brücke Pont d’Iéna bepflanzt und ein begrüntes Amphitheat­er eingericht­et.

Und, und, und. Und die Prachtstra­ße Champs-Élysées fehlt in Hidalgos Plänen ebenfalls nicht, auch nicht der Platz um Notre-Dame, die „umfassend“begrünt werden. Nach einem Vorschlag des belgischen Landschaft­sarchitekt­en Bas Smets soll die Ostfassade des Kirchenbau­s in eine „Waldlichtu­ng“eingebette­t werden. An der Südseite entsteht ein Park mit einer Länge von 400 Metern. Smets sagt: „Seit 800 Jahren ist Notre-Dame ein herausrage­nder Zeuge des Wandels der Stadt. Diese Umgebung neu zu denken, das heißt, den öffentlich­en Raum von morgen infrage zu stellen.“

Dieses Paris von morgen ist eine ständige Weiterentw­icklung des Paris von gestern und heute. Mit jeder Baustelle zeigt sich dies gerade ein wenig mehr.

Ihr Kampf gehe nicht gegen das Auto, beteuert Anne Hidalgo

 ?? Foto: Alain Jocard, AFP/dpa ?? Mit symbolisch­en Handlungen gibt sich Politikeri­n Anne Hidalgo nicht zufrieden. So ließ sie in den vergangene­n Jahren gegen heftigen Widerstand kilometerl­ange Abschnitte des unteren Seine-Ufers für den Autoverkeh­r sperren. Erst Anfang Juli tanzte sie mit Bürgerinne­n und Bürgern an einem über den Sommer eingericht­eten Stadtstran­d.
Foto: Alain Jocard, AFP/dpa Mit symbolisch­en Handlungen gibt sich Politikeri­n Anne Hidalgo nicht zufrieden. So ließ sie in den vergangene­n Jahren gegen heftigen Widerstand kilometerl­ange Abschnitte des unteren Seine-Ufers für den Autoverkeh­r sperren. Erst Anfang Juli tanzte sie mit Bürgerinne­n und Bürgern an einem über den Sommer eingericht­eten Stadtstran­d.

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