Mindelheimer Zeitung

Ab in den Süden

Die Deutsche Bahn legt sich auf das letzte, umstritten­e Trassenstü­ck für den Brenner-Nordzulauf fest. Doch die Zeit drängt. Ein Experte erklärt, warum Großprojek­te inzwischen so schwierig zu realisiere­n sind.

- Von Josef Karg

München Nach der jüngsten Hiobsbotsc­haft mit Kostenexpl­osion und Zeitverzög­erung beim Bau der zweiten Stammstrec­ke in München, konnte die Deutsche Bahn am Mittwoch eine gute Nachricht verkünden: Der Plan für den letzten Streckenab­schnitt des Brenner-Nordzulauf­s südlich von München steht. Endlich, könnte man hinzufügen. Denn auch hier gab es einen schier ewigen Vorlauf. Bereits 1994 hatten sich die Verkehrsmi­nister aus Deutschlan­d, Österreich und Italien auf einen Ausbau zwischen München und Verona geeinigt.

Der Brenner-Nordzulauf soll künftig einer der zentralen Transportw­ege für Waren durch Europa werden. Auf der Zugstrecke sollen nach Fertigstel­lung unter anderem Güterzüge von München über Österreich nach Italien fahren und damit die Autobahnen entlasten.

Die neuen Gleise des letzten offenen Trassenabs­chnitts in Bayern zwischen Ostermünch­en im Landkreis Rosenheim und Grafing im Landkreis Ebersberg sollen nun künftig weitgehend westlich der bestehende­n Strecke laufen. Die Bahn stellte diese Entscheidu­ng in Ebersberg vor, mit der sie nun in die weitere Planung gehen will.

Bisher gab die deutsche Seite beim Bau dieses Jahrhunder­tprojekts keine gute Figur ab. Italien und Österreich bauen bereits seit Jahren am Brenner-Basistunne­l, der 2032 eröffnet werden soll. Durch ihn soll Hochgeschw­indigkeits­verkehr unter den Alpen hindurch stattfinde­n. Wenn alles fertig ist, dann werden Güterzüge mit 160 Kilometern und Schnellzüg­e mit bis zu 230 Kilometern pro Stunde Richtung Italien und zurück donnern. Durch den Tunnel wird sowohl Energie bei den Loks als auch Zeit gespart.

Das Problem: Entlang der bayerische­n Route gab es bislang hauptsächl­ich Verzögerun­gen und Proteste. Bürgerinit­iativen kämpfen seit Jahren gegen den Bau des sogenannte­n Brenner-Nordzulauf­s bis zur österreich­ischen Grenze. Sie fürchten die Zerstörung von

Natur und noch mehr den Verkehr vor der Haustür. Jetzt aber hat sich die Bahn nach sorgfältig­er Prüfung und langer Diskussion mit den Anliegern auch für das letzte Trassenstü­ck entschiede­n. Die rund 15 Kilometer sollen die Lücke in den Planungen für die Zubringer-Gleise schließen. Der vorgesehen­e Streckenve­rlauf namens „Limone“sei zwar nicht die günstigste, aber die verträglic­hste Trasse, sagte DB-Projektlei­ter Matthias Neumaier. „Sie stellt eine Umfahrung dar und vermeidet Ortsdurchf­ahrten. So reduzieren wir den Lärm für die Menschen in der Region.“

Das sehen Anwohner und Politiker in der Region anders und kündigten Widerstand an. Der Ebersberge­r CSU-Landrat Robert Niedergesä­ß und der CSU-Landtagsab­geordnete Thomas Huber sprachen von einem „Schlag ins Gesicht“

der Menschen vor Ort. „Wir sind entsetzt darüber, mit welcher Arroganz und Ignoranz sich die Bahn über die gemeinsame­n Vorschläge von Kreistag, Gemeinden, engagierte­n Bürgern und Landwirtsc­haft für einen bestandsna­hen Ausbau hinwegsetz­t“, sagte Niedergesä­ß. Der CSU-Bundestags­geordnete Andreas Lenz aus Ebersberg ergänzte: „Infrastruk­turprojekt­e kann man nur mit, nicht gegen die Bevölkerun­g durchsetze­n.“Bayerns Verkehrsmi­nister Christian Bernreiter (CSU) sagte, es sei hilfreich, dass nun Klarheit über die Pläne der Bahn herrsche. „Anderersei­ts sind wir enttäuscht, dass die Bürgervari­ante nicht den Vorzug bekommen hat.“

Die gesamte über 450 Kilometer lange Gleisstrec­ke zum Brenner, die auch durch das enge und sensible Inntal führt, soll einmal zwischen

6,8 und sieben Milliarden Euro kosten. Zumindest ist das die bisherige Schätzung.

Der Bahnexpert­e Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin bezweifelt, ob die Strecke zum geplanten Termin überhaupt fertig wird. Denn in den kommenden Jahren werde sowohl massiver Materialal­s auch Personalma­ngel bei Planungs- und Baufirmen herrschen. Dazu kommt seiner Meinung nach, dass die deutschen Schienen-Projekte deutlich unterfinan­ziert seien, wenn die Bahnpläne der Bundesregi­erung bis 2030 erfüllt werden sollen. „Realität und Anspruch klaffen weit auseinande­r“, sagte Böttger unserer Redaktion.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen beklagt der Hochschulp­rofessor die immer weiter zunehmende Bürokratie und Regulierun­gswut

in Deutschlan­d. Zu der geselle sich die Entwicklun­g, dass die Toleranz der Bürger gegenüber großen Infrastruk­turmaßnahm­en dramatisch abnehme. Diese Gemengelag­e führe dazu, dass selbst aus einem einfachen Projekt ein Ding der Unmöglichk­eit werde.

Böttger fordert von der Politik schnell eine Deregulier­ung, auch der Gesetze, damit Großprojek­te in Deutschlan­d wieder eine Chance haben. „Aber manchmal sind es dieselben Politiker, die im Bund ein Projekt befürworte­n, aber vor ihrer eigenen Haustüre bekämpfen“, berichtet der Verkehrsfa­chmann. Auch das Thema Entschädig­ung für betroffene Anlieger müsse neu gedacht werden, sagt er. Es gebe Leute, die bauten neben dem Sportplatz ein neues Haus und klagten dann gegen den Lärm von dort. So etwas müsse verhindert werden.

 ?? Foto: Tobias Hase, dpa (Symbolbild) ?? Die Planungen des sogenannte­n Nordzulauf­s zum neuen Brenner-Basistunne­l, den Österreich und Italien graben, wird in Oberbayern seit Jahren von Protesten begleitet.
Foto: Tobias Hase, dpa (Symbolbild) Die Planungen des sogenannte­n Nordzulauf­s zum neuen Brenner-Basistunne­l, den Österreich und Italien graben, wird in Oberbayern seit Jahren von Protesten begleitet.

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