Ab in den Süden
Die Deutsche Bahn legt sich auf das letzte, umstrittene Trassenstück für den Brenner-Nordzulauf fest. Doch die Zeit drängt. Ein Experte erklärt, warum Großprojekte inzwischen so schwierig zu realisieren sind.
München Nach der jüngsten Hiobsbotschaft mit Kostenexplosion und Zeitverzögerung beim Bau der zweiten Stammstrecke in München, konnte die Deutsche Bahn am Mittwoch eine gute Nachricht verkünden: Der Plan für den letzten Streckenabschnitt des Brenner-Nordzulaufs südlich von München steht. Endlich, könnte man hinzufügen. Denn auch hier gab es einen schier ewigen Vorlauf. Bereits 1994 hatten sich die Verkehrsminister aus Deutschland, Österreich und Italien auf einen Ausbau zwischen München und Verona geeinigt.
Der Brenner-Nordzulauf soll künftig einer der zentralen Transportwege für Waren durch Europa werden. Auf der Zugstrecke sollen nach Fertigstellung unter anderem Güterzüge von München über Österreich nach Italien fahren und damit die Autobahnen entlasten.
Die neuen Gleise des letzten offenen Trassenabschnitts in Bayern zwischen Ostermünchen im Landkreis Rosenheim und Grafing im Landkreis Ebersberg sollen nun künftig weitgehend westlich der bestehenden Strecke laufen. Die Bahn stellte diese Entscheidung in Ebersberg vor, mit der sie nun in die weitere Planung gehen will.
Bisher gab die deutsche Seite beim Bau dieses Jahrhundertprojekts keine gute Figur ab. Italien und Österreich bauen bereits seit Jahren am Brenner-Basistunnel, der 2032 eröffnet werden soll. Durch ihn soll Hochgeschwindigkeitsverkehr unter den Alpen hindurch stattfinden. Wenn alles fertig ist, dann werden Güterzüge mit 160 Kilometern und Schnellzüge mit bis zu 230 Kilometern pro Stunde Richtung Italien und zurück donnern. Durch den Tunnel wird sowohl Energie bei den Loks als auch Zeit gespart.
Das Problem: Entlang der bayerischen Route gab es bislang hauptsächlich Verzögerungen und Proteste. Bürgerinitiativen kämpfen seit Jahren gegen den Bau des sogenannten Brenner-Nordzulaufs bis zur österreichischen Grenze. Sie fürchten die Zerstörung von
Natur und noch mehr den Verkehr vor der Haustür. Jetzt aber hat sich die Bahn nach sorgfältiger Prüfung und langer Diskussion mit den Anliegern auch für das letzte Trassenstück entschieden. Die rund 15 Kilometer sollen die Lücke in den Planungen für die Zubringer-Gleise schließen. Der vorgesehene Streckenverlauf namens „Limone“sei zwar nicht die günstigste, aber die verträglichste Trasse, sagte DB-Projektleiter Matthias Neumaier. „Sie stellt eine Umfahrung dar und vermeidet Ortsdurchfahrten. So reduzieren wir den Lärm für die Menschen in der Region.“
Das sehen Anwohner und Politiker in der Region anders und kündigten Widerstand an. Der Ebersberger CSU-Landrat Robert Niedergesäß und der CSU-Landtagsabgeordnete Thomas Huber sprachen von einem „Schlag ins Gesicht“
der Menschen vor Ort. „Wir sind entsetzt darüber, mit welcher Arroganz und Ignoranz sich die Bahn über die gemeinsamen Vorschläge von Kreistag, Gemeinden, engagierten Bürgern und Landwirtschaft für einen bestandsnahen Ausbau hinwegsetzt“, sagte Niedergesäß. Der CSU-Bundestagsgeordnete Andreas Lenz aus Ebersberg ergänzte: „Infrastrukturprojekte kann man nur mit, nicht gegen die Bevölkerung durchsetzen.“Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) sagte, es sei hilfreich, dass nun Klarheit über die Pläne der Bahn herrsche. „Andererseits sind wir enttäuscht, dass die Bürgervariante nicht den Vorzug bekommen hat.“
Die gesamte über 450 Kilometer lange Gleisstrecke zum Brenner, die auch durch das enge und sensible Inntal führt, soll einmal zwischen
6,8 und sieben Milliarden Euro kosten. Zumindest ist das die bisherige Schätzung.
Der Bahnexperte Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin bezweifelt, ob die Strecke zum geplanten Termin überhaupt fertig wird. Denn in den kommenden Jahren werde sowohl massiver Materialals auch Personalmangel bei Planungs- und Baufirmen herrschen. Dazu kommt seiner Meinung nach, dass die deutschen Schienen-Projekte deutlich unterfinanziert seien, wenn die Bahnpläne der Bundesregierung bis 2030 erfüllt werden sollen. „Realität und Anspruch klaffen weit auseinander“, sagte Böttger unserer Redaktion.
Das ist die eine Seite. Auf der anderen beklagt der Hochschulprofessor die immer weiter zunehmende Bürokratie und Regulierungswut
in Deutschland. Zu der geselle sich die Entwicklung, dass die Toleranz der Bürger gegenüber großen Infrastrukturmaßnahmen dramatisch abnehme. Diese Gemengelage führe dazu, dass selbst aus einem einfachen Projekt ein Ding der Unmöglichkeit werde.
Böttger fordert von der Politik schnell eine Deregulierung, auch der Gesetze, damit Großprojekte in Deutschland wieder eine Chance haben. „Aber manchmal sind es dieselben Politiker, die im Bund ein Projekt befürworten, aber vor ihrer eigenen Haustüre bekämpfen“, berichtet der Verkehrsfachmann. Auch das Thema Entschädigung für betroffene Anlieger müsse neu gedacht werden, sagt er. Es gebe Leute, die bauten neben dem Sportplatz ein neues Haus und klagten dann gegen den Lärm von dort. So etwas müsse verhindert werden.