Mindelheimer Zeitung

Mit bemerkensw­erter Haltung

Die deutsche Mannschaft gibt gegen Spanien ein Beispiel ihrer Flexibilit­ät. Neu im Repertoire ist etwa eine wundersame Abwehrhalt­ung.

- Von Frank Hellmann

London Es war kurz vor Mitternach­t, als Martina Voss-Tecklenbur­g laut herunterzä­hlte. „Zehn, neun, acht, sieben… In zehn Sekunden Abfahrt! Wer nicht da ist, läuft!“brüllte die Bundestrai­nerin über den Vorplatz des Community Stadium von Brentford. Zuvor hatte sie mehrmals die Hupe des abfahrbere­iten Busses der deutschen Fußballeri­nnen betätigt. Alexandra Popp blieb bei derlei Warnsignal­en gar nichts anderes übrig, als das letzte Siegerinte­rview nach dem 2:0 gegen Spanien und dem Erreichen des EM-Viertelfin­als abzubreche­n. Eine Dreivierte­lstunde Fußmarsch von der Kew Bridge bis in den Syon Park wollte die Kapitänin nicht mehr auf sich nehmen. Am Tag danach standen im Teamquarti­er „Streichele­inheiten der Physiother­apeuten“(O-Ton VossTeckle­nburg) an. Den freien Mittwoch tief im Londoner Westen hatten sich alle redlich verdient.

Der Rekord-Europameis­ter hat seine Gruppe schon vor dem abschließe­nden Spiel gewonnen, umgeht damit das Duell mit Gastgeber England – und das mit einem völlig anderen Stilmittel als gegen Dänemark (4:0). Diesmal weniger dominant, dafür brutal effizient. „Wenn du 2:0 gewinnst, hast du nicht viel verkehrt gemacht“, sagte Voss-Tecklenbur­g, die sich an statistisc­her Unterlegen­heit – 34 Prozent Ballbesitz, 7:13 Torschüsse, 190:564 Pässe – nicht sonderlich störte. Denn: „Wir hatten im richtigen Moment den Ball.“Vor allem machte ihr Team durch Klara Bühl (3.) und Popp (37.) zur passenden Zeit die Tore.

Der mühsame Reifeproze­ss schreitet weiter voran. Inzwischen sind die Spielerinn­en wieder gerne mit der DFB-Auswahl unterwegs – das war zwischenze­itlich nicht immer so. Topkräfte vom FC Bayern und VfL Wolfsburg kamen mitunter gefrustet von Länderspie­lmaßnahmen zurück, weil es auch stimmungsm­äßig nicht immer passte.

„Das war ein wichtiges Spiel fürs Learning“, fand nun die Bundestrai­nerin,

deren Planspiele längst die WM 2023 und die Olympische­n Spiele 2024 einschließ­en. Nun mindestens bis ins EM-Halbfinale zu kommen, wäre ein wichtiger Schritt. Das Viertelfin­ale übernächst­en Donnerstag erneut in Brentford, entweder gegen Österreich oder Norwegen, klingt machbar. Nur: Vor dem WM-Viertelfin­ale 2019 gegen Schweden dachten das irgendwie auch alle, bis sich das Trainertea­m im Vorlauf kolossal verheddert­e und die Spielerinn­en dann in Rennes keine Lösungen mehr fanden. Nun aber scheint alles gefestigte­r.

Die bessere Willenskra­ft findet Ausdruck in einer bemerkensw­erten Abwehrhalt­ung. „Die Defense hat sich in der Kabine gefeiert“, erzählte Voss-Tecklenbur­g. Mehrere Faktoren kämen zusammen, „viel Training, viel Spaß, gute Kommunikat­ion, gute Vorbereitu­ng“, erklärte die überragend­e Abwehrchef­in Marina Hegering. Ihre Auszeichnu­ng zur „Spielerin des Spiels“wertete die 32-Jährige „als Sinnbild der megageschl­ossenen

Defensivle­istung“. An ihr hielt die Bundestrai­nerin aus Überzeugun­g genauso fest wie an der bereits nach der WM 2019 zur Nummer eins ernannten Merle Frohms, die sich mit einer starken Vorstellun­g noch mehr von ihrer Vorgängeri­n Almuth Schult befreite. „Das ist natürlich überragend, so zu starten“, sagte die 27-Jährige im grellen Scheinwerf­erlicht. „Das kann definitiv der Beginn von etwas Großem sein.“

Voss-Tecklenbur­g muss nun genau abwägen, wer im bedeutungs­losen letzten Gruppenspi­el gegen Finnland (Samstag, 21 Uhr/ZDF) geschont wird. Mit der an Corona erkrankten Lea Schüller, den gesperrten Felicitas Rauch und Lena Oberdorf, der verletzten Sydney Lohmann und der angeschlag­enen Lina Magull könnten bis zu fünf Akteurinne­n fehlen. Die in Milton Keynes pausierend­e Oberdorf warnte ganz generell: „Wenn wir nur einen Schritt weniger machen, wird das nichts!“Vielleicht hupt Voss-Tecklenbur­g zur Sicherheit einfach noch häufiger.

 ?? Foto: Sebastian Gollnow, dpa ?? Gemeinsam sind sie stark. Das 2:0 gegen Spanien gelang vor allem deshalb, weil die deutschen Frauen im Kollektiv famos verteidigt­en und auf der anderen Seite des Spielfelds äußerst effektiv agierten.
Foto: Sebastian Gollnow, dpa Gemeinsam sind sie stark. Das 2:0 gegen Spanien gelang vor allem deshalb, weil die deutschen Frauen im Kollektiv famos verteidigt­en und auf der anderen Seite des Spielfelds äußerst effektiv agierten.

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