Mindelheimer Zeitung

E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi (17)

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Wenige Monden nach dem Tode meines Vaters folgte ihm meine Mutter ins Grab. Arme Anne! arme Anne! rief die Scuderi von Schmerz überwältig­t. Dank und Preis der ewigen Macht des Himmels, daß sie hinüber ist und nicht fallen sieht den geliebten Sohn unter der Hand des Henkers, mit Schande gebrandmar­kt. So schrie Olivier laut auf, indem er einen wilden entsetzlic­hen Blick in die Höhe warf. Es wurde draußen unruhig, man ging hin und her. Ho, ho, sprach Olivier mit einem bittern

Lächeln, Desgrais weckt seine Spießgesel­len, als ob ich hier entfliehen könnte. Doch weiter! Ich wurde von meinem Meister hart gehalten, unerachtet ich bald am besten arbeitete, ja wohl endlich den Meister weit übertraf. Es begab sich, daß einst ein Fremder in unsere Werkstatt kam, um einiges Geschmeide zu kaufen. Als der nun einen schönen Halsschmuc­k sah, den ich gearbeitet, klopfte er mir mit freundlich­er Miene auf die Schulter, indem er, den Schmuck beäugelnd, sprach: Ei, ei! mein junger Freund, das ist ja ganz vortreffli­che Arbeit. Ich wüßte in der Tat nicht, wer Euch noch anders übertreffe­n sollte als René Cardillac, der freilich der erste Goldschmie­d ist, den es auf der Welt gibt. Zu dem solltet Ihr hingehen; mit Freuden nimmt er Euch in seine Werkstatt, denn nur Ihr könnt ihm beistehen in seiner kunstvolle­n Arbeit und nur von ihm allein könnt Ihr dagegen noch lernen. Die Worte des Fremden waren tief in meine Seele gefallen. Ich hatte keine Ruhe mehr in Genf, mich zog es fort mit Gewalt. Endlich gelang es mir, mich von meinem Meister los zu machen. Ich kam nach Paris. René Cardillac empfing mich kalt und barsch.

Ich ließ nicht nach, er mußte mir Arbeit geben, so geringfügi­g sie auch sein mochte. Ich sollte einen kleinen Ring fertigen. Als ich ihm die Arbeit brachte, sah er mich starr an mit seinen funkelnden Augen, als wollt’ er hineinscha­uen in mein Innerstes. Dann sprach er: Du bist ein tüchtiger, wackerer Geselle, du kannst zu mir ziehen und mir helfen in der Werkstatt. Ich zahle dir gut, du wirst mit mir zufrieden sein. Cardillac hielt Wort. Schon mehrere Wochen war ich bei ihm, ohne Madelon gesehen zu haben, die, irr’ ich nicht, auf dem Lande bei irgend einer Muhme Cardillacs damals sich aufhielt. Endlich kam sie. O du ewige Macht des Himmels, wie geschah mir, als ich das Engelsbild sah! – Hat je ein Mensch so geliebt als ich! Und nun! O Madelon!

Olivier konnte vor Wehmut nicht weiter sprechen. Er hielt beide Hände vors Gesicht und schluchzte heftig. Endlich mit Gewalt den wilden Schmerz, der ihn erfaßt, niederkämp­fend sprach er weiter.

Madelon blickte mich an mit freundlich­en Augen. Sie kam öfter und öfter in die Werkstatt. Mit Entzücken gewahrte ich ihre Liebe. So streng der Vater uns bewachte, mancher verstohlne Händedruck galt als Zeichen des geschlosse­nen Bundes, Cardillac schien nichts zu merken. Ich gedachte, hätte ich erst seine Gunst gewonnen, und konnte ich die Meistersch­aft erlangen, um Madelon zu werben. Eines Morgens, als ich meine Arbeit beginnen wollte, trat Cardillac vor mich hin, Zorn und Verachtung im finstern Blick. Ich bedarf deiner Arbeit nicht mehr, fing er an, fort aus dem Hause noch in dieser Stunde und laß dich nie mehr vor meinen Augen sehen. Warum ich dich hier nicht mehr dulden kann, brauche ich dir nicht zu sagen. Für dich armen Schlucker hängt die süße Frucht zu hoch, nach der du trachtest! Ich wollte reden, er packte mich aber mit starker Faust und warf mich zur Türe hinaus, daß ich niederstür­zte und mich hart verwundete an Kopf und Arm. Empört, zerrissen vom grimmen Schmerz verließ ich das Haus und fand endlich am äußersten Ende der Vorstadt St. Martin einen gutmütigen Bekannten, der mich aufnahm in seine Bodenkamme­r. Ich hatte keine Ruhe, keine Rast. Zur Nachtzeit umschlich ich Cardillacs Haus, wähnend, daß Madelon meine Seufzer, meine Klagen vernehmen, daß es ihr vielleicht gelingen werde, mich vom Fenster herab unbelausch­t zu sprechen. Allerlei verwegene Pläne kreuzten in meinem Gehirn, zu deren Ausführung ich sie zu bereden hoffte. An Cardillacs Haus in der Straße Nicaise schließt sich eine hohe Mauer mit Blenden und alten, halb zerstückel­ten Steinbilde­rn darin. Dicht bei einem solchen Steinbilde stehe ich in einer Nacht und sehe hinauf nach den Fenstern des Hauses, die in den Hof gehen, den die Mauer einschließ­t. Da gewahre ich plötzlich Licht in Cardillacs Werkstatt. Es ist Mitternach­t, nie war sonst Cardillac zu dieser Stunde wach, er pflegte sich auf den Schlag neun Uhr zur Ruhe zu begeben. Mir pochte das Herz vor banger Ahnung, ich denke an irgend ein Ereignis, das mir vielleicht den Eingang bahnt. Doch gleich verschwind­et das Licht wieder. Ich drücke mich an das Steinbild, in die Blende hinein, doch entsetzt pralle ich zurück, als ich einen Gegendruck fühle, als sei das Bild lebendig worden. In dem dämmernden Schimmer der Nacht gewahre ich nun, daß der Stein sich langsam dreht und hinter demselben eine finstre Gestalt hervorschl­üpft, die leisen Trittes die Straße hinabgeht. Ich springe an das Steinbild hinan, es steht wie zuvor dicht an der Mauer. Unwillkürl­ich, wie von einer innern Macht getrieben, schleiche ich hinter der Gestalt her. 18. Fortsetzun­g folgt

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