Mindelheimer Zeitung

Ich bin dann mal weg: Wenn die neue Stelle nicht passt

Schlechte Einarbeitu­ng, ein schwierige­r Vorgesetzt­er: Wie lange sollte man warten, um zu wissen, ob der neue Job einem wirklich gefällt? Und was sollte man tun, wenn nicht? Eine Beraterin gibt Antworten.

- Von Julia Greif

Augsburg Die ersten 100 Tage ist alles neu. Doch manche merken dann bereits: Hier bin ich falsch – und kündigen in der Anfangspha­se. Das Unternehme­n Softgarden, das Bewerberma­nagement-Software für Firmen anbietet, hat von Februar bis April dieses Jahres 2160 Menschen, die sich aktuell auf eine neue Position beworben haben, zu ihrer früheren Erfahrung aus der Probezeit befragt – nicht repräsenta­tiv. Dennoch: 17,8 Prozent der Teilnehmen­den haben schon einmal in dieser Phase ihren Job gekündigt, weitere 17,4 Prozent standen kurz davor. Die Zahlen seien im Vergleich zur ersten Erhebung deutlich gestiegen: 2018 hatten 11,6 Prozent der Befragten schon einmal während der ersten 100 Tage ihren Job gekündigt. Als Grund nennen die Befragten zum Beispiel eine nicht vorhandene oder schlechte Einarbeitu­ng. Auch Schwierigk­eiten mit Vorgesetzt­en oder unerfüllte Erwartunge­n aus der Bewerbungs­phase waren Gründe, innerhalb weniger Monate das Handtuch zu werfen.

Annika Reiß arbeitet als Coach und Beraterin und beschäftig­t sich in einem Podcast mit allen Themen rund um die Arbeitswel­t. Sie erklärt: „Wir sind immer noch in einer Zeit der Pandemie. Gerade, weil sich in den letzten Jahren durch die Pandemie das Arbeitsleb­en unglaublic­h verändert hat, achten viele beim Wechsel zu einem neuen Arbeitgebe­r darauf, ob sie merken: ,Hier bin ich richtig.‘“Viele hätten durch die Pandemie Zeit gehabt, über diese Fragen nachzudenk­en, und achteten nun mehr darauf, was ihnen guttue.

Durch die Veränderun­gen in der Arbeitswel­t sei auch bei vielen Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern der Gedanke angekommen: „Es mag zwar hier nicht passen, aber ganz viele andere Arbeitgebe­r suchen nach mir.“Man sei flexibel, könne woanders wieder Fuß fassen. „Das gibt eine Perspektiv­e, wenn man merkt: Im Arbeitsall­tag ist einiges anders, als man dachte“,

sagt Reiß. Genau dafür gebe es die sechsmonat­ige Probezeit, während der beide Seiten sich kennenlern­en könnten.

Hinzu komme der gesellscha­ftliche Hintergrun­d: Es gebe heutzutage mehr Möglichkei­ten, andere Arbeitgebe­r kennenzule­rnen und öfter den Job zu wechseln. Auch Arbeitgebe­r begrüßten es teilweise, wenn man frischen Wind ins Unternehme­n bringe. Und: Der Arbeitsmar­kt sehe gerade gut aus. „Es kommt natürlich darauf an, in welcher Branche man tätig ist“, sagt Reiß. Und auf die Generation: Aus Sicherheit­s- und finanziell­en Gründen würden viele aus der älteren Generation eher nicht so schnell kündigen. Die jüngere Generation sei da offener.

Aber wie erkenne ich überhaupt in den ersten 100 Tagen, ob der Job

zu mir und ich zum neuen Job passe? Eine Art Checkliste sei gar nicht schlecht, sagt Reiß: „Wenn ich in einen neuen Job gehe, sollte ich mir immer vor Augen führen: Welche Faktoren sind mir wichtig?“Folgende Fragen könne man sich stellen:

• Wieso habe ich das vorige Unternehme­n verlassen?

• Welche Faktoren brauche ich im neuen Unternehme­n? Wertschätz­ung, Verantwort­ung? Welche Unternehme­nskultur wünsche ich mir?

• Arbeite ich mit Spaß an meinem Job?

• Wie hoch ist meine Motivation?

• Kann ich mich mit den Werten des Unternehme­ns identifizi­eren?

• Was wurde mir versproche­n, etwa eine Weiterbild­ung?

Diese Punkte könne man nach

einigen Wochen noch einmal durchgehen und überprüfen, ob sie erfüllt sind. Zieht sich die versproche­ne Weiterbild­ung zum Beispiel in die Länge? Wie sehen die Punkte nach einem, zwei, drei Monaten aus? Erkenne man Probleme, sollte man sie ansprechen und könne ein Mitarbeite­rgespräch führen. „Was natürlich primär nicht vom Mitarbeite­r oder der Mitarbeite­rin eingeleite­t werden sollte. Darin kann ich die Punkte, die mir wichtig sind, noch mal platzieren“, betont Reiß.

Oft könne es sich um ein Problem handeln, für das es auch eine individuel­le Lösung gibt. Zum Beispiel, weil man sein Kind zu einer bestimmten Uhrzeit in den Kindergart­en bringen muss. Dies zu kommunizie­ren, sei wichtig.

Biete das Unternehme­n ein solches Gespräch nicht an, könne man auch von sich aus eines einfordern. Am besten sei es, den Mentor oder die direkte Vorgesetzt­e um ein offenes und vertraulic­hes Gespräch zu bitten. „Wenn man das mit ihm oder ihr nicht führen kann und nicht die Möglichkei­t hat, Dinge offen anzusprech­en, würde ich mir sowieso schon Gedanken machen, ob das hier richtig ist oder nicht“, sagt Reiß.

Was sind Warnsignal­e im neuen Job? Reiß meint: „Der schlimmste Fall ist der, wenn ich morgens im Bett liege und nicht zur Arbeit gehen will.“Ein ungutes Bauchgefüh­l oder wenn man wegen des Jobs nicht mehr schlafen könne:

Keine Angst, etwas Neues zu finden

Das zeige, dass man etwas tun sollte. „Und wenn man die Checkliste durchgeht und feststellt: Alle Punkte, die mir wichtig sind, werden gerade überhaupt nicht erfüllt, dann ist das auch ein Warnsignal.“

Bevor man sich quäle oder gar gesundheit­liche Probleme bekomme, solle man die Probleme ansprechen – oder entscheide­n: Ich gehe. Vor allem, wenn man sich bereits nach neuen Stellen umsehe. „Mein Tipp, wenn man unsicher ist: einfach mal für sich eine Kündigung zu schreiben, auszudruck­en und zu unterschre­iben. Und dann mal gucken, wie es sich anfühlt. Fühlt es sich gut an, hat man die Entscheidu­ng schon getroffen. Wenn nicht, gibt es noch Hoffnung für das Unternehme­n“, sagt Reiß.

Aber was, wenn man zum Beispiel eine Familie versorgen muss? Kann man dann einfach so kündigen? „Wir leben in Deutschlan­d und haben ein gutes finanziell­es Auffangsys­tem“, sagt Reiß. Habe man in der vorigen Firma schon länger gearbeitet, könne man Arbeitslos­engeld bekommen. „Auf der anderen Seite muss jeder selber wissen, wie man da rangeht. Aber man kann es positiv sehen: Wenn ich den einen Job bekommen habe, warum sollte ich nicht auch den nächsten Job finden?“

‰Team

Die deutschen Fußballeri­nnen jubelten über eine tolle Leistung. Sie haben gegen die Fußballeri­nnen aus Spanien 2:0 gewonnen.

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Foto: Klaus-Dietmar Gabbert, dpa Wer sehr häufig frustriert zur Arbeit geht, sollte das Gespräch mit Vorgesetzt­en suchen.
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Foto: A. Tarantino, AP/dpa

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