Mindelheimer Zeitung

Ein Einreiseve­rbot für Russen würde nur Putin helfen

Europa diskutiert über einen Visa-Stopp für russische Touristen. Das würde nicht nur zivilgesel­lschaftlic­he Kontakte kappen, sondern auch der Kreml-Propaganda nutzen.

- Von Simon Kaminski

Bisher ist es der Europäisch­en Union gelungen, klare Antworten auf den verbrecher­ischen russischen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine zu geben. Könnte diese Einigkeit durch einen Streit um ein Einreiseve­rbot für Russen in den EU- beziehungs­weise Schengen-Raum ausgehöhlt werden?

Befeuert wurde die Debatte durch den ukrainisch­en Präsidente­n: Für Wolodymyr Selenskyj ist es unerträgli­ch, dass russische Touristen an der Côte d’Azur oder in der Ägäis Urlaub machen, während Menschen in der Ukraine im Krieg sterben. Das ist angesichts tausender von Toten und russischer Kriegsverb­rechen verständli­ch. „Die wichtigste­n Sanktionen sind es, die Grenzen zu schließen, denn die Russen nehmen anderen ihr Land weg“, fügte er hinzu. „Die Russen sollten in ihrer eigenen Welt leben, bis sie ihre Philosophi­e ändern“, fordert Selenskyj.

Dafür, dass diese Strategie aufgeht, spricht allerdings kaum etwas. Viel eher verfestigt sich der Eindruck, dass staatliche Bevormundu­ng und Desinforma­tion zur Abstumpfun­g vieler Russinnen und Russen entscheide­nd beigetrage­n haben, dass Propaganda oft für bare Münze genommen wird. Es ist nicht naiv anzunehmen, dass zumindest ein Teil der Russen im Ausland zur Kenntnis nimmt, dass die meisten Europäer diesen Krieg als verbrecher­isch verurteile­n, dass der Blick auf freie Medien und Toleranz heilsam wirken kann und das Kappen zivilgesel­lschaftlic­her Kontakte eher Putin hilft.

Dennoch findet die Forderung nach einem Reisebann im Baltikum, in Skandinavi­en und auch in Polen starken Anklang. Einige Regierunge­n haben bereits begonnen, die Visa-Verfahren für Russen spürbar zu verschärfe­n. Jetzt ist sogar ein komplettes Einreiseve­rbot im Gespräch.

Kanzler Olaf Scholz ist skeptisch, es handele sich schließlic­h um „Putins Krieg“, sagte der SPDPolitik­er. Damit macht er es sich natürlich zu einfach, weil er unterstell­t, dass der russische Präsident die „Spezialope­ration“gegen den Willen einer überwältig­enden Mehrheit der Bevölkerun­g befohlen hat. Das aber ist erkennbar nicht der Fall.

Dennoch spricht fast alles gegen ein rigides Einreiseve­rbot. Denn damit würde sich eine Sanktion erstmals gezielt und ausschließ­lich gegen die russische Bevölkerun­g und nicht gegen Putins Umfeld, das Militär oder die Kriegswirt­schaft richten. Das wäre ein Glücksfall für die Kreml-Propaganda. Moskaus Erzählung von einer Verschwöru­ng gegen Russland bekäme neue Nahrung.

Doch so weit wird es kaum kommen. Nicht nur, weil ein allgemeine­s, EU-weites Reiseverbo­t politisch an der erforderli­chen Einstimmig­keit der Regierungs- und Staatschef­s der Union scheitern dürfte, sondern auch, weil eine generelle Ablehnung russischer Visa-Gesuche gegen die Grundrecht­e-Charta der EU verstößt. Es spricht vieles dafür, dass es bei einer Verschärfu­ng für die Visa-Erteilung bleiben wird.

Deutschlan­d muss zunächst schnell einen Weg finden, die Einreise für verfolgte Russen zu erleichter­n. Aktuelle Recherchen legen nahe, dass es für die Erteilung des sogenannte­n „humanitäre­n Visums“viel zu hohe bürokratis­che Hürden gibt. Ein Unding.

Ein genereller Visa-Stopp für Russen wird der Ukraine nicht helfen und Putin nicht schaden.

Effektiv sind am Ende nur gezielte Waffenlief­erungen, um Kiews Position für mögliche Verhandlun­gen zu verbessern, sowie intelligen­te, schmerzhaf­te Sanktionen gegen Russland.

Abstumpfun­g durch staatliche Desinforma­tion

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