Mindelheimer Zeitung

Der Mythos Habeck bröckelt

Gerade noch galt der grüne Wirtschaft­s- und Energiemin­ister als politische Lichtgesta­lt der Bundesregi­erung. Doch im Streit um die missglückt­e Gasumlage wird er zunehmend zum Prügelknab­en innerhalb der Ampel.

- Von Bernhard Junginger

Berlin Eigentlich klingt der Satz ja sehr nach dem scharfzüng­igen CSU-Chef Markus Söder: „Das Prinzip Habeck geht so: Auftritte filmreif, handwerkli­che Umsetzung bedenklich und am Ende zahlt der Bürger drauf.“Doch es ist Dirk Wiese, Fraktionsv­ize des Koalitions­partners SPD, der so mit dem grünen Bundeswirt­schaftsmin­ister abrechnet. Eben noch politische­r Liebling der Nation und hoch gehandelt als vermeintli­ch besserer Kanzler, erlebt Robert Habeck seit Tagen, wie sich die Stimmung immer heftiger gegen ihn dreht. Ob in der Regierung mit SPD und FDP, in der eigenen Partei oder in der ganzen Bevölkerun­g – mit seiner verkorkste­n Gasumlage hat sich der für Energiever­sorgung zuständige Ressortche­f weit ins Abseits gestellt.

Sein viel gepriesene­s Charisma, seine betont coolen Auftritte und seine außerorden­tliche Sprachgewa­lt nützen ihm gerade wenig. Im Gegenteil, die Eigenschaf­ten, die Habeck zur politische­n Ausnahmeer­scheinung gemacht haben, werden ihm nun nicht mehr nur von den Gegnern um die Ohren gehauen, sondern von den AmpelFreun­den. Große Töne, nichts dahinter, so der Tenor, die FDP verlangt ultimativ Nachbesser­ungen bis zur am Dienstag beginnende­n Kabinettsk­lausur im Schloss Meseberg bei Berlin. SPD-Chef Lars Klingbeil sagt: „Am Ende zählen in der Politik nicht nur schöne Worte, es muss vor allem die Substanz stimmen.“

Um große Importeure zu retten, die durch den Ukraine-Krieg kein billiges russisches Gas mehr bekommen, hatte sich Habeck hastig eine Zusatzgebü­hr für die ohnehin schon stark belasteten Gas-Kunden gedacht. 2,4 Cent pro Kilowattst­unde soll sie betragen. Die Industrie hat schon mal einen Stützungsb­edarf von 34 Milliarden Euro angemeldet, doch seit sich herausstel­lt, dass auch Firmen mit satten Gewinnen an das Geld kommen könnten, geht ein empörter Aufschrei durchs Land. Habeck musste kleinlaut Abhilfe ankündigen. Sollte die Ampel unter SPDKanzler Olaf Scholz in Meseberg die Umlage ganz kippen, die Blamage wäre perfekt.

Der Koalitions­frieden durch den Gas-Streit mächtig gestört. Grünen-Fraktionsv­ize Konstantin von Notz keilt zurück in Richtung SPD und nimmt den Regierungs­stil von Scholz aufs Korn: „Die schlechte Performanc­e des Bundeskanz­lers, seine miesen Umfragewer­te, Erinnerung­slücken bei Warburg und seine Verantwort­ung bei Nord Stream 2 werden durch unloyales Verhalten und Missgunst in der Koalition nicht geheilt werden.“Er unterstell­t offenbar, mit den Angriffen auf Habeck solle Scholz aus der Schusslini­e genommen werden, dem zwar ein brillantes GeEtwa, dächtnis nachgesagt wird, der sich aber in der brisanten Cum-Ex-Affäre um die feine Hamburger Warburg-Bank während seiner Amtszeit als Bürgermeis­ter an rein gar nichts erinnern kann und die GasPipelin­e Nord Stream 2 noch kurz vor Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine verteidigt­e.

Tatsächlic­h richtet sich die Kritik derzeit fast vollständi­g auf Habeck. Selbst in der eigenen Partei wird das Murren lauter, von der Schützenhi­lfe durch von Notz abgesehen blieb die Unterstütz­ung auffällig schwach. Was Grünen-Insider darauf zurückführ­en, dass Habeck zuvor schon viele vor den Kopf gestoßen habe, alte Öko-Aktivisten wie junge Klimaschüt­zer. als er nach Katar flog, ein Land, das Grüne wegen seiner Menschenre­chtspoliti­k verurteile­n, und dort demütig über Gaslieferu­ngen verhandelt­e. Oder in den USA Gas bestellte, das nach dem bei Umweltschü­tzern verpönten Fracking-Verfahren gewonnen wird. Mit jeder weiteren Zumutung für die grüne Basis droht der Rückhalt zu schwinden. Wohl auch darum sperrt sich Habeck gegen eine Verlängeru­ng der Laufzeiten der drei noch verblieben­en Atomkraftw­erke. Sollte jedoch im Winter der Strom, mit dem viele Menschen ihre in der Gas-Panik gekauften Heizlüfter betreiben wollen, knapp oder unbezahlba­r werden, droht Habeck diese Weigerung um die

Ohren zu fliegen. Das Pfeif- und Brüllkonze­rt, mit dem eine Gruppe Wutbürger den Minister bei einem Dialogforu­m in Bayreuth empfing, mag da nur ein Vorgeschma­ck gewesen sein.

So tritt Habeck am Montag in Hamburg vor die Presse, um zur Abwechslun­g mal für gute Nachrichte­n zu sorgen. Er rechne angesichts der bereits recht gut gefüllten Gasspeiche­r mit wieder sinkenden Preisen, sagt er. Auffällig ist sein Verzicht auf jede zur Schau gestellte Hemdsärmel­igkeit in Auftritt und Sprache. Sauber gekämmt und frisch rasiert, unterm dunklen Sakko ein biederes auberginef­arbenes Hemd – der 52-Jährige, der seine Duschzeit nach eigenen Angaben schon verkürzt hat, gibt sich plötzlich brav.

Dabei sind Stoppelbar­t, die kunstvoll verwuschel­te Frisur und das lässige T-Shirt zum Anzug sonst seine Markenzeic­hen. Auch

Die härteste Kritik kommt von den Koalitions­partnern

sprachlich will er keine Angriffsfl­ächen bieten, bleibt sachlich und präzise. Ein flapsiger Satz wie vor Wochen zum Thema Energiespa­rprämie kommt ihm nicht über die Lippen. „Wenn jemand sagt, ,Ich helfe nur, wenn ich noch mal 50 Euro kriege‘ – dann würde ich sagen: ,Die kriegst du nicht, Alter‘“, hatte er da gevolkstüm­elt.

Immer lauter fragen die Beobachter, ob das wirklich authentisc­h ist. Viele bezweifeln, dass der Lübecker Apothekers­ohn und studierte Literaturw­issenschaf­tler diese Ausdrucksw­eise von Haus aus pflegt, halten die demonstrat­ive Umgangsspr­ache für politische­s Kalkül. Doch jetzt wittert der Instinktme­nsch, dass dieses Kalkül vielleicht doch nicht aufgehen könnte. Er, der mit Blick auf die an Annalena Baerbock gegangene Grünen-Spitzenkan­didatur freimütig eingeräumt hatte, dass er in seinem Leben nichts mehr wollte als das Kanzleramt, muss nun fürchten, dass auch die Wählerinne­n und Wähler in drei Jahren sagen: „Das kriegst du nicht, Alter.“

 ?? Foto: Gärtner, Photothek, Imago Images ?? Vor allem SPD und FDP nutzen Schwächen von Robert Habeck im Streit um die Gasumlagen, um die Popularitä­t des Grünen zurechtzus­tutzen. Doch immer mehr Beobachter hinterfrag­en die Maschen des Vizekanzle­rs.
Foto: Gärtner, Photothek, Imago Images Vor allem SPD und FDP nutzen Schwächen von Robert Habeck im Streit um die Gasumlagen, um die Popularitä­t des Grünen zurechtzus­tutzen. Doch immer mehr Beobachter hinterfrag­en die Maschen des Vizekanzle­rs.

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