Mindelheimer Zeitung

„Wir marschiere­n in die wirtschaft­liche Todeszone“

Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger wirft dem Bund fatale Fehleinsch­ätzungen bei der Stromverso­rgung vor. Der Freie-Wähler-Chef warnt vor großen Problemen für Bevölkerun­g und Unternehme­n.

- Interview: Michael Pohl

Herr Aiwanger, die Bundesregi­erung will auf ihrer Kabinettsk­lausur die Weichen für die Bewältigun­g der Energiekri­se im Herbst stellen und auch die umstritten­e Gasumlage überprüfen. Was erwarten Sie aus bayerische­r Sicht? Hubert Aiwanger: Die Gasumlage muss möglichst schnell eingestamp­ft werden. Sie war bestenfall­s gut gemeint, hat aber zu viele Ungereimth­eiten. Die Abgrenzung zwischen berechtigt­en Empfängern und Mitnahmeef­fekt ist nur schwer möglich. Sollte die Gasumlage tatsächlic­h auch eingespeis­tes Biogas verteuern, wäre das grotesk.

Was schlagen Sie als Alternativ­e vor?

Aiwanger: Der Staat muss gezielt eingreifen, wenn Importeure in Schieflage geraten und muss gegebenenf­alls sogar selbst Gas einkaufen, um sicherzust­ellen, dass auch wirklich so viel Gas importiert wird, wie technisch möglich ist, und nicht nur aus Sicht der Importeure rentabel. Ansonsten brauchen wir endlich eine finanziell­e Förderung für die Umstellung von Gas auf andere Energieträ­ger, zum Beispiel für Fälle, in denen Unternehme­n günstige alte Gasverträg­e haben, aber beispielsw­eise auf Öl umstellen könnten, es aber aus wirtschaft­lichen Gründen nicht tun.

Auch die Strompreis­e explodiere­n. Reicht Ihnen die Berliner Ankündigun­g, „mittelfris­tig“eine Strommarkt­reform zu planen?

Aiwanger: Um die Wirtschaft zu retten: Nein. Die grüne Ideologie zielt ja darauf ab, durch hohe Energiepre­ise Bürger und Wirtschaft zum Energiespa­ren zu zwingen. Insofern sind die hohen Preise ja politisch gewollt. Bis zu einem gewissen Punkt geht die Rechnung auch auf. Wenn die Energiepre­ise aber in die wirtschaft­liche Todeszone marschiere­n, und da sind wir mittlerwei­le, dann sind Einsparung­en nicht mehr möglich und die Wirtschaft verliert die Wettbewerb­sfähigkeit. Viele Unternehme­n müssen ihre Produktion drosseln und schließen. Dies kann sehr schnell zu Versorgung­sengpässen bei vielen Produkten des täglichen Bedarfs bis hin zu Lebensmitt­eln führen, an die wir auf den ersten Blick gar nicht denken. Aber auch das scheinen die Grünen billigend in Kauf zu nehmen, anstatt die Preisexplo­sion zu stoppen – zum Beispiel durch Steuersenk­ung auch auf Strom und die Entkoppelu­ng des Strompreis­es vom Gaspreis. Energiespa­ren ist der Bundesregi­erung wichtiger als Arbeitsplä­tze und Versorgung­ssicherhei­t zu erhalten.

Die Bundesregi­erung hat genau dagegen einen Strom-Stresstest angekündig­t, insbesonde­re auch mit Blick auf Bayern. Wann erwarten Sie Ergebnisse?

Aiwanger: Es ist beschämend, dass wir hier nach einem halben Jahr immer noch keine belastbare Antwort vom Bund haben, sondern ständig mit neuen Szenarien neu herumgerec­hnet wird, ob wir Isar 2 an Silvester abschalten sollen oder nicht. Das Dogma der Bundesregi­erung ist ja die fatale Fehleinsch­ätzung:

„Wir haben kein Strom-, sondern nur ein Gasproblem“. Das ist die Neuauflage von Angela Merkels widersinni­gem „Wir schaffen das“.

Derzeit macht Atomstrom aber nur noch einen geringen Anteil an der Stromverso­rgung aus. Warum

halten Sie so hartnäckig an der Laufzeitve­rlängerung fest? Ist das nicht auch Ideologie?

Aiwanger: Jeder Bürger und Stromkunde sieht mittlerwei­le, dass wir natürlich ein massives Stromprobl­em haben und die Situation beim Strom völlig eskalieren würde, wenn nicht durch massive Gasverstro­mung das Schlimmste, der Blackout, verhindert wird. Insofern ist es unterlasse­ne Hilfeleist­ung an unserem Land, nicht schon längst die Verlängeru­ng der noch laufenden Atomkraftw­erke beschlosse­n zu haben und Gundremmin­gen aktuell zu zersägen, anstatt eine Wiederinbe­triebnahme anzustrebe­n. Isar 2 liefert knapp 15 Prozent des bayerische­n Strombedar­fs, Gundremmin­gen lieferte bis Ende 2021 weitere zehn Prozent. Beide gemeinsam also rund ein Viertel des bayerische­n Strombedar­fs. Da brauche ich keinen Stresstest über ein halbes Jahr, sondern nur den gesunden Menschenve­rstand, dass es besser wäre, im Winter diesen Strom zu haben, als ihn nicht zu haben.

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Foto: Lienert Hubert Aiwanger warnt vor einem massiven Stromprobl­em.

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