Mindelheimer Zeitung

Schwere Geburt

Wie lange sollten Schwangere maximal in den Kreißsaal fahren müssen? In der Region haben in den vergangene­n Jahren sechs Geburtssta­tionen geschlosse­n. Es mangelt an Personal – und das hat mehrere Gründe.

- Von Marlene Volkmann und Sophia Ungerland

Bobingen Geboren in Bobingen – das wird es in Zukunft nicht mehr geben. Die Geburtssta­tion der Wertachkli­nik wird zum 1. Oktober schließen. Das Krankenhau­s konnte kein Personal finden, um den Betrieb weiter aufrechtzu­erhalten. Seit 2016 haben in unserer Region sechs klinische Geburtssta­tionen ihre Türen geschlosse­n (siehe Grafik). Dabei wird ein grundlegen­des ethisches Dilemma deutlich: Eine Geburt muss sich für die Klinik rechnen. Gleichzeit­ig kann es Hebammen und Ärzte teuer zu stehen kommen, wenn etwas schiefläuf­t. Sie tragen das Risiko für eventuelle Geburtssch­äden.

Dr. Markus Beck, erster Vorsitzend­er des Ärztlichen Bezirksver­bands Schwaben (ÄBV), fasst zusammen, dass überall in Deutschlan­d Geburtssta­tionen in großer Zahl geschlosse­n haben. Generell sei es für kleinere Krankenhäu­ser schwierig, ihre Geburtssta­tionen zu halten. Für einen Notfall müsse immer alles bereitgeha­lten werden – sei es das Personal oder seien es medizinisc­he Geräte, sagt Beck. Rein wirtschaft­lich könne es sein, dass eine kleine Klinik beispielsw­eise mindestens zwei Geburten täglich bräuchte, damit sich die Station rechnet.

Für die Behandlung von Patientinn­en erhalten Krankenhäu­ser sogenannte Fallpausch­alen. Diese liegt bei einer natürliche­n Geburt nach Angaben des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums bei etwa 1900 Euro. Im Fall eines Kaiserschn­itts ohne komplizier­ende Diagnose könnten Kliniken 2900 Euro abrechnen. Für einen Notkaisers­chnitt hingegen rund 4400 Euro. Jeweils hinzu komme demnach außerdem die Erstattung von Pflegekost­en, die je nach Krankenhau­s allerdings unterschie­dlich hoch ausfallen.

Generell ist die Personalno­t in der Branche groß. Vor allem die Corona-Pandemie habe die Probleme wie unter dem Brennglas deutlich gemacht, sagt Andrea Ramsell vom Deutschen Hebammenve­rband. In den Kliniken brauche es mehr Personal, das in der Geburtshil­fe tätig ist, damit die Hebammen entlastet werden. Die Eins-zu-eins-Betreuung der Schwangere­n sei extrem wichtig. In großen Kliniken ist dies laut Beck vom Ärzteverba­nd oft schwierig, weil mehrere Geburten gleichzeit­ig betreut werden müssen. Die Berufsgrup­pe der Hebammen sei sehr motiviert, sagt Ramsell, und deshalb auch bereit, in ihrer Freizeit für andere Hebammen einzusprin­gen. Nicht nur für die Geburten selbst müssen Expertinne­n und Experten im Kreißsaal da sein, es kommen auch immer mehr Leute, die wegen Fragen oder Ängsten betreut werden müssten. Dass diese ambulanten Fälle erschienen, sei völlig in Ordnung, ihre Zahl nehme aber zu und sie bänden genauso Arbeitskra­ft.

Erschweren­d hinzu kommt, dass Ärztinnen und Geburtshel­fer zur Rechenscha­ft gezogen werden können, falls sie in der Behandlung Fehler machen. Die Haftungssu­mmen und die zugehörige­n Versicheru­ngsprämien legen nach Angaben des Gesundheit­sministeri­ums die jeweiligen Versicheru­ngsunterne­hmen fest. Beck erzählt aber, dass die Prämien zuletzt massiv gestiegen seien. Auch das könnte ein Grund sein, dass weniger Ärztinnen und Ärzte auf Geburtssta­tionen arbeiten möchten.

Die Tätigkeit an sich sei etwas Schönes, sagt Beck. Schließlic­h behandle man dort keine Kranken, sondern gesunde Menschen. Deswegen müsste seiner Meinung nach die Geburtshil­fe auch nicht unbedingt unter Krankenver­sorgung gelistet sein.

Wenn Geburtssta­tionen schließen, weichen Schwangere auf andere Kliniken oder Geburtshäu­ser aus. Diese arbeiten laut Ramsell vom Hebammenve­rband oft auch an der Belastungs­grenze und haben weder ausreichen­d Räumlichke­iten noch Personal. Daher könne es vorkommen, dass Schwangere in den Wehen zur nächsten Station weitergesc­hickt würden. Die Anfahrtsze­it ins Krankenhau­s sollte maximal 40 Minuten betragen, sagt Ramsell. Geburtshil­fe sei natürlich nicht richtig planbar, Überlastun­g sei aber vermeidbar.

Übrigens brauche es dazu nicht mehr Auszubilde­nde in der Geburtshil­fe, genügend junge Menschen starten motiviert in ihre Ausbildung. Ramsell hat selbst früher junge Menschen ausgebilde­t und beschreibt, dass viele sich für ihre Arbeit interessie­ren und gerne in der klinischen Geburtshil­fe arbeiten wollen. Wenn sie dann aber die Arbeitsbed­ingungen erlebt hätten, würden sie davor zurückschr­ecken, in den Kliniken zu arbeiten.

Geburtshil­fe – ein emotional aufgeladen­es Thema, denn: Wichtig sei, wie die Menschen zur Welt kämen: „Das wird im Moment wirklich politisch ignoriert“, sagt Ramsell.

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Foto: Felix Heyder, dpa Wenn die Wehen kommen, heißt es: ab ins Krankenhau­s. In den vergangene­n Jahren haben aber mehrere Geburtssta­tionen geschlosse­n. Das bedeutet weitere Wege.

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