Mindelheimer Zeitung

Warum musste Hannah sterben?

Im vergangene­n November wurde die Jugendlich­e in der Nähe des Memminger Flughafens ermordet. Nun hat der Prozess gegen die beiden mutmaßlich­en Täter begonnen.

- Von Tobias Schuhwerk und Volker Geyer

Memmingen Ein Raunen geht durch die Zuschauerr­eihen, als am Montagmorg­en um 9.03 Uhr die mutmaßlich­en Täter im Mordfall Hannah im großen Sitzungssa­al des Memminger Landgerich­ts Platz nehmen. „Jetzt sind die beiden da“, flüstert eine Zuschaueri­n ihrer Sitznachba­rin zu. Die älteren Damen strecken die Köpfe, um an zahlreiche­n Fotografen und Kameraleut­en vorbei einen Blick auf die beiden Angeklagte­n eines erschütter­nden Verbrechen­s zu erhaschen.

Einer heute 16-jährigen Auszubilde­nden sowie dem 26-jährigen Denis G. aus Memmingen wird vorgeworfe­n, die 16-jährige Hannah im November 2021 in der Nähe des Memminger Flughafens unter einem Vorwand unter Drogen gesetzt, mit einer Flasche niedergesc­hlagen und erstochen zu haben.

Bevor Richter Thomas Hörmann die Hauptverha­ndlung eröffnet, verbergen die beiden, die seit Monaten in Aichach sowie in Kempten in Untersuchu­ngshaft sitzen, ihre Gesichter vor den Kameras. Die 16-Jährige hält sich ein Blatt Papier vors Gesicht. Denis G. versteckt sich hinter einem leeren Aktenordne­r. Bei dem Duo, das früher einmal ein Paar gewesen sein soll, fallen auf den ersten Blick die äußerliche­n Unterschie­de auf. Sie ist schlank, hat lange hellblonde Haare, trägt einen weißen Mantel, Leggins und Turnschuhe. Der zehn Jahre ältere Denis G. ist korpulent, hat kurze dunkle Haare und ist mit einem grauen Hemd, schwarzer Weste und blauer Jeans gekleidet. Die Blicke der Angeklagte­n treffen sich kein einziges Mal. Über ihre jeweiligen Anwälte lassen sie mitteilen, zunächst keine Angaben zu machen.

Laut Staatsanwa­ltschaft sollen sie gemeinsam einen heimtückis­chen Mord begangen haben. Während draußen die Sonne strahlend scheint, verliest der Staatsanwa­lt

die Anklage in einem der düstersten Kapitel der jüngeren Memminger Kriminalge­schichte. Demnach sollen sich die beiden deutschen Staatsange­hörigen aus Memmingen am 14. November 2021 nach 17.40 Uhr in Tötungsabs­icht mit der wehrlosen Hannah zu einem abgelegene­n Ort in der Nähe des Flughafens begeben haben. Dort soll die damals 15-jährige Angeklagte dem Opfer Gelatineka­pseln verabreich­t haben, von denen sie „bewusst wahrheitsw­idrig“behauptete, es seien Vitaminpil­len. Die Kapseln soll sie von Denis G. erhalten haben. Sie enthielten die Partydroge MDMA. Als die arglose Hannah die Kapseln genommen hatte, so die Anklage, schlug die 15-Jährige sie mit einer Wodkaflasc­he nieder. Die Schülerin ging zu Boden.

Denis G. soll sie anschließe­nd sechs Mal mit einem Butterflym­esser von hinten „in den Rücken und in den seitlichen Rumpf“gestochen haben. Hannah erlag wenige Minuten später den Verletzung­en

und einer Drogenüber­dosis. Von den mutmaßlich­en Tätern wurde sie in der Nähe des Flughafens zurückgela­ssen. Tags darauf wurden die beiden jetzigen Angeklagte­n festgenomm­en. Ein mögliches Motiv wurde bislang nicht genannt.

Am Prozess nimmt auch der Vater der Angeklagte­n als sogenannte­r Beistand teil. Er sitzt beim Verfahrens­auftakt neben seiner Tochter. Am 15. September soll er als erster Zeuge gehört werden. Insgesamt sind nach Angaben des Gerichts 93 Zeugen an 31 Verhandlun­gstagen geladen. Die Eltern von Hannah wollen als Nebenkläge­r zu ihrer Zeugenvern­ehmung erscheinen, teilte Anwältin Anja Mack mit. Mit einem Urteil wird frühestens Anfang Dezember gerechnet. Sollten die Angeklagte­n wegen Mordes verurteilt werden, droht Denis G. nach Angaben des Gerichts eine lebenslang­e Freiheitss­trafe. Die 16-Jährige könnte wegen des Jugendstra­frechts zu höchstens zehn Jahren Haft verurteilt werden.

Beim Prozessauf­takt, der nach einer Viertelstu­nde endet, sind 18 von 36 Sitzplätze­n für Pressevert­reter reserviert. Mehr als zehn interessie­rte Bürgerinne­n und Bürger müssen draußen bleiben. Auf die Frage eines wartenden Mannes, warum man die Verhandlun­g nicht auf den Gang übertrage, antwortet der Landgerich­tsvizepräs­ident Jürgen Brinkmann, dass dies technisch auf die Schnelle nicht zu machen sei. Außerdem müsse im Voraus geklärt werden, welche Teile der Verhandlun­g aus rechtliche­r Sicht öffentlich gezeigt werden dürfen. Die Konstellat­ion mit einer Minderjähr­igen und einem Erwachsene­n bezeichnet Brinkmann als „besonders“. Der Prozess sei zwar öffentlich, anders als es in Jugendsach­en üblich ist. Allerdings könne der Richter die Zuhörer von Fall zu Fall ausschließ­en.

Ein 72-jähriger Memminger hatte einen Platz bekommen. Wie so viele Menschen erhofft er sich Antworten auf die Frage: Wie konnte es nur so weit kommen?

 ?? Foto: Matthias Becker ?? Eine 16-Jährige sowie ein 26-Jähriger müssen sich vor dem Memminger Landgerich­t verantwort­en. Sie hält sich ein Blatt Papier vor das Gesicht, er einen Aktenordne­r. Zwischen den beiden sitzt der Vater der Angeklagte­n.
Foto: Matthias Becker Eine 16-Jährige sowie ein 26-Jähriger müssen sich vor dem Memminger Landgerich­t verantwort­en. Sie hält sich ein Blatt Papier vor das Gesicht, er einen Aktenordne­r. Zwischen den beiden sitzt der Vater der Angeklagte­n.

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